Mindelheimer Zeitung

Müssen die Anlieger für den Ausbau der Türkheimer Badstraße zahlen?

Justiz Nicht nur betroffene Grundstück­sbesitzer warten mit Spannung auf die Entscheidu­ng des Verwaltung­sgerichts, ob die Kosten auf die Anlieger umgelegt werden dürfen. Das Urteil könnte landesweit­e Bedeutung haben

- VON ALF GEIGER

Türkheim Gestern Abend stand das Thema „Badstraße“wieder einmal auf der Tagesordnu­ng des Marktgemei­nderates. Doch unter dem Punkt 6 der Tagesordnu­ng ging es diesmal lediglich um einen „Abwägungsb­eschluss“und damit um eine Formalie, die nicht direkt im Zusammenha­ng mit der Klage von Anliegern der Badstraße gegen die Marktgemei­nde steht. Der Abwägungsb­eschluss musste laut Verwaltung gefasst werden, weil es sich bei der Badstraße um einen Innenberei­ch ohne Bebauungsp­lan handelt.

Viel spannender wird wohl der Donnerstag, 22. Oktober, wenn um 9 Uhr vor dem Verwaltung­sgericht Augsburg darüber entschiede­n wird, ob Grundstück­sbesitzer für den Ausbau der Badstraße blechen sollen – oder eben nicht.

Zwei Anlieger der im Jahr 2019 fertig ausgebaute­n Badstraße haben gegen die Gemeinde Türkheim geklagt, weil sie den Erschließu­ngsbeitrag­sbescheid für rechtswidr­ig halten und sich daher in ihren Rechten verletzt sehen. Ende Juni machte sich das Verwaltung­sgericht

War die Badstraße zum Stichtag „historisch“?

Augsburg ein Bild von der Situation vor Ort, nun findet die mündliche Verhandlun­g statt und wird zeigen, ob es rechtens war, dass die Gemeinde Türkheim die Anlieger der Badstraße für den Straßenaus­bau zur Kasse gebeten hat. Das Urteil könnte Signalwirk­ung für viele Grundstück­sbesitzer in ganz Bayern haben, deren Kommunen die Kosten für den Ausbau maroder Straßen via Erschließu­ngsbeiträg­en und/ oder Straßenaus­baubeiträg­en auf die Anlieger umlegen wollen.

Wie mehrfach berichtet, fühlen sich einige Anlieger der Badstraße „überfahren“und wollen partout nicht einsehen, warum der Ausbau der sanierungs­bedürftige­n Straße als „Ersterschl­ießung“abgerechne­t werden soll. Den Betroffene­n stehen teure Rechnungen ins Haus, wenn die Gesamtkost­en von insgesamt rund einer halben Million Euro auf die gut zwei Dutzend Grundstück­sbesitzer umgelegt werden.

Die Anlieger waren immer davon überzeugt, dass es sich bei der Badstraße vielmehr um eine „Historisch­e Straße“handelt. Hintergrun­d ist eine relativ komplizier­te Gesetzesla­ge: 1961 hatte der Bund eine Satzung erlassen, nach der alle bis zu diesem Stichtag bestehenen­den und gut ausgebaute­n Straßen eben als solche „historisch­en Straßen“zu gelten hätten. Damit hätten die Grundstück­sbesitzer in der Badstraße gar keinen Beitrag zu den Ausbaukost­en mehr bezahlen müssen.

Und davon gingen auch diejenigen aus, die in den vergangene­n Jahren Häuser oder Grundstück­e in der Badstraße gekauft haben und in deren Notar-Verträgen auch schwarz auf weiß steht, dass „alle Erschließu­ngsbeiträg­e bereits bezahlt“worden seien.

Je nach Grundstück­sgröße und Bebauung kamen erhebliche Summen auf die Betroffene­n zu, Beträge von bis zu 30.000 Euro wurden genannt. In einem Einzelfall soll der Besitzer eines Grundstück­es sogar mit 130.000 Euro zur Kasse gebeten worden sein. Das wollen sich die betroffene­n Anlieger jedoch nicht gefallen lassen und ziehen vor das Verwaltung­sgericht. Vertreten werden die Kläger von Rechtsanwa­lt Wolfgang Schubaur (Burgau; Kreis Günzburg), einem ausgewiese­nen Fachanwalt für Verwaltung­srecht.

Der Erschließu­ngsbeitrag­sbescheid der Gemeinde sei „rechtswidr­ig, weil für die Straßenbau­maßnahmen, die an der Badstraße vorgenomme­n wurden, weder Erschließu­ngsbeiträg­e noch Straßenaus­baubeiträg­e hätten erhoben werden dürfen, führt Schubaur in seiner Klagebegrü­ndung aus. Schließlic­h sei der Straßenaus­baubeitrag in Bayern schon 2018 abgeschaff­t worden und damit hätten „keine Straßenaus­baubeitrag­sbescheide mehr erlassen werden dürfen“, so Schubaur.

Die Gemeinde Türkheim sei „bei der Festsetzun­g des Erschließu­ngsbeitrag­s von einem fehlerhaft­en Ermittlung­sraum ausgegange­n“.

Auch die Höhe des beitragsfä­higen Aufwands von rund 530.000 Euro sei von der Gemeinde Türkheim aus mehrerlei Gründen als „zu hoch bemessen“worden, schreibt der Rechtsanwa­lt. Als Beispiel werden die Kosten für die Verrohrung des Langweidba­ches und die Entsorgung des als kontaminie­rt bewerteten Bodens der bisherigen Fahrbahn der Badstraße und für den Erdaushub im Bereich der seitlichen Randstreif­en genannt. Dafür habe der Markt Türkheim gut 86.000 Euro berechnet, die in den Augen der Kläger aber „nicht zum beitragsfä­higen Aufwand“gehören.

Nach dem im Erschließu­ngsbeitrag­srecht geltenden Grundsatz der Erforderli­chkeit würden die beitragsfä­higen Kosten der Höhe nach durch den Grundsatz der Verhältnis­mäßigkeit begrenzt.

Die Marktgemei­nde Türkheim sei daher „nicht berechtigt, die entstehend­en Aufwendung­en für eine Straßenbau­maßnahme grenzenlos auf die Anlieger der erschlosse­nen Grundstück­e umzulegen“, heißt es in der Klagebegrü­ndung. Vielmehr bedürfe es „einer den konkreten Umständen entspreche­nden angemessen­en Risikobegr­enzung“.

Die Marktgemei­nde Türkheim hätte bei der Berechnung des Beitragssa­tzes lediglich von beitragsfä­higen Kosten von insgesamt 399.415,79 Euro ausgehen dürfen, ist der Rechtsanwa­lt überzeugt.

Unter Berücksich­tigung des gemeindlic­hen Eigenantei­ls kommt der Rechtsanwa­lt auf eine Summe von knapp 360.000 Euro, die von der Marktgemei­nde als „umlagefähi­ger Aufwand“hätte eingeforde­rt werden dürfen. Schubaur: „Der festgesetz­te Erschließu­ngsbeitrag ist daher deutlich überhöht und nicht gerechtfer­tigt“.

Nachdem die Gemeinde Türkheim bei ihrer Beitragser­hebung „einen fehlerhaft­en Ermittlung­sraum zugrunde gelegt hat und davon auszugehen ist, dass die Erschließu­ngsanlage „Badstraße“erst am Eisstadion endet, hätten auch die am östlichen Teilbereic­h der Badstraße anliegende­n und erschlosse­nen Grundstück­e bei der Verteilung des beitragsfä­higen Aufwands berücksich­tigt werden müssen“, heißt es in der Klagebegrü­ndung.

Der Erschließu­ngsbeitrag­sbescheid sei auch deswegen rechtswidr­ig, weil zum Zeitpunkt des Erlasses bereits die 20-jährige Ausschluss­frist abgelaufen sei.

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Archivfoto: Alf Geiger So sah die Badstraße vor dem Ausbau im Jahr 2017 aus: Die Gemeinde will sich einen Teil der Ausbaukost­en von den Anliegern zurückhole­n.
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Foto: alf Die Badstraße heute: Einige Anlieger klagen gegen die Gemeinde und wollen verhin‰ dern, dass die Ausbaukost­en auf die Grundstück­sbesitzer umgelegt werden.

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