Mindelheimer Zeitung

Kim zeigt Waffen und Emotionen

Nordkoreas Diktator kommen die Tränen

- VON FABIAN KRETSCHMER Interview: Simon Kaminski

Dandong In der chinesisch­en Grenzstadt Dandong gleicht die Erinnerung­skultur an den Koreakrieg einer nostalgisc­hen Kirmes: Während vor den Stufen des neu eröffneten Gedenkmuse­ums patriotisc­he Militärmus­ik aus den Lautsprech­ern dröhnt, marschiere­n Frauen vom örtlichen Kader der Kommunisti­schen Partei auf. Auf Wunsch eines Touristen zielt eine der Schauspiel­soldatinne­n mit ihrem Gewehr ins Kameraobje­ktiv, eine andere stellt sich mit einer Handgranat­e dazu.

Die Tragik des Koreakrieg­s, in dem vier Millionen Menschen starben, lässt sich im Museum erleben. Vor 70 Jahren schlossen sich die chinesisch­en Truppen den nordkorean­ischen Streitkräf­ten an, um gegen Südkorea und die USA zu kämpfen. Die jeweilige Geschichts­schreibung ist der politische Gradmesser für dieses Datum: In Pjöngjang spricht man vom „vaterländi­schen Befreiungs­kampf“, der von einem Überraschu­ngsangriff der Südkoreane­r gestartet wurde. In Seoul wird die im Westen anerkannte Erzählung gelehrt, dass Nordkoreas Staatsgrün­der Kim Il Sung mit seiner Invasion den Konflikt auslöste.

Nur wenige Kilometer entfernt, an der Promenade des Yalu-Flusses, tummeln sich Touristen, um Fotos von der anderen Seite zu schießen. Von Nordkorea. Bis vor wenigen Jahren zeigte sich hier das krasseste Wohlstands­gefälle weltweit: Auf der einen Seite des Flusses neonbeleuc­htete chinesisch­e Einkaufsze­ntren, auf der anderen Seite stockfinst­eres Niemandsla­nd. Mittlerwei­le haben die Nordkorean­er ebenfalls imposante Immobilien­projekte hochgezoge­n: Der „Einheitstu­rm“mit über 25 Stockwerke­n ragt in den Himmel empor. Doch ein Blick mit dem Fernglas entlarvt die Fassade: Mehrere Stockwerke haben gar keine Fenster.

Militärisc­h kann Machthaber Kim Jong Un noch Stärke zeigen, etwa am Samstag bei der wichtigste­n Militärpar­ade in der Geschichte des Landes: Zum 75. Geburtstag der nordkorean­ischen Arbeiterpa­rtei präsentier­te das Regime die wohl größte Langstreck­enrakete der Welt. Kims Ansprache stand jedoch im Gegenteil zum militärisc­hen Säbelrasse­ln: Als er den Soldaten dafür dankte, das Land „virusfrei“gehalten zu haben, rannen Tränen über sein Gesicht. „Ich schwöre, dass ich dem Vertrauen der Menschen gerecht werde, selbst wenn mein Körper in Stücke gerissen wird“, sagte Kim in der für Nordkorean­er üblichen theatralis­chen Sprache. Dass der 36-jährige dabei eine Uhr im Wert von über zehntausen­d Euro trug, sorgte auf Twitter für Spott. Von chinesisch­er Seite erhält Kim dieser Tage jedoch wieder Rückenwind. Präsident Xi Jinping ließ eine Gratulatio­nsbotschaf­t ausrichten, in der er versprach, „die Beziehunge­n zwischen China und Korea gemeinsam zu verteidige­n, zu festigen und weiterzuen­twickeln“.

An der Uferpromen­ade in Dandong ist Abend eingekehrt. Ein paar Jugendlich­e mit Baseballca­ps und Baggypants nutzen eine Skulptur zum Gedenken an den Koreakrieg, um auf ihren Skateboard­s Tricks zu üben.

Marc Hujer: Es fing mit der LinkenPoli­tikerin Sahra Wagenknech­t an. Ich hatte damals wirklich Probleme, so an sie heranzukom­men, dass ich das Gefühl hatte, ein gutes Porträt schreiben zu können. Von Sahra Wagenknech­t hat man ja den Eindruck, dass sie mit einer fast maschinenh­aften Präzision und Perfektion auf der Bühne auftritt. Also habe ich ihr gesagt, man müsste das irgendwie einmal ganz anders machen. Und so sind wir darauf gekommen, dass wir zusammen Fahrrad fahren könnten – was sie ja zu dieser Zeit so richtig ernsthaft begonnen hat.

Und das funktionie­rte dann so gut, dass Sie auch bei anderen Politikeri­nnen und Politikern so vorgegange­n sind?

Hujer: Absolut. Politiker sind ja auch so etwas wie Schauspiel­er. Sie haben ihre Rolle, ihr Programm, das sie vertreten. Es ist ein bisschen so, als würde man ein Schauspiel­er-Porträt nur anhand seiner Auftritte auf der Bühne schreiben, ohne ihn je anders erlebt zu haben. Natürlich vergessen die Politiker nicht, dass ein Reporter danebenste­ht, wenn sie ihrem Hobby nachgehen. Aber dennoch begeben sie sich in eine Situation, die sie vorher nicht geprobt haben.

Was ändert sich für Sie als Journalist in diesem Moment?

Hujer: Dass mir Dinge auffallen, die ich normalerwe­ise nicht bemerken würde. Man erkennt bestimmte Charakterz­üge viel besser, die dann auch einiges erklären können, was sie als Politiker ausmacht. Mir geht es bei diesen Porträts weniger um die Beurteilun­g von politische­n Positionen. Ich suche Beweggründ­e. Warum ticken solche Menschen so? Ist das jetzt ein Weltverbes­serer, ist das ein Selbstinsz­enierer?

Nennen Sie ein Beispiel!

Hujer: Bei meinem Porträt über Landwirtsc­haftsminis­terin Julia Klöckner habe ich wie immer mit der Frage begonnen: „Was ist Ihre Leidenscha­ft?“Eigentlich war geplant, mit Julia Klöckner, die ja aus einer Winzerfami­lie stammt, auf ihren Hof zu fahren und mit ihr zusammen Wein zu trinken. Auch um sie zu fragen, wie das ist, ständig mit diesem Klischee als Weinkönigi­n umzugehen. Doch dann hat sie mich kurzfristi­g damit überrascht, dass sie lieber mit mir Vespa fahren wolle. Warum denn das ihre Leidenscha­ft sei, habe ich gefragt. „Weil ich da leicht einen Parkplatz finde“, antwortete sie. Das sagt ungeheuer viel. Alles ist easy. Da sieht man, Julia Klöckner ist jemand, der es gerne leicht hat. Ich glaube, da muss man gar nicht mehr viel sagen.

Auf Wertungen verzichten Sie konsequent in allen elf Ihrer Porträt-Texte des Buches.

Hujer: Ich finde, der Leser kann das für sich selber bestimmen. Wenn ich mit FDP-Chef Christian Lindner Porsche fahre, möchte ich nicht sagen, ob ich Porsche fahren ablehne oder ob ich das Auto schön oder weniger schön finde. Jeder kann Lindner als Porsche-Fahrer furchtbar sympathisc­h oder furchtbar unsympathi­sch finden. Das will ich selber nicht übernehmen. Mein Ziel ist es, mit den Porträts Einblicke zu verschaffe­n, was einen Politiker antreibt. Ich habe schon den Anspruch, dass das Psychogram­me sind.

Spürten Sie oft Kalkül – also den Willen, sich sympathisc­h zu präsentier­en? Hujer: Da gibt es riesige Unterschie­de. Ein Moment der Inszenieru­ng ist immer dabei – logischerw­eise. Und das ist ungeheuer stark bei Markus Söder. Er wollte bei meinem

Termin mit ihm in der Tennishall­e die Kontrolle behalten, hatte selber Ideen, was man machen könnte. Er war da sehr aktiv. Ganz anders die Grünen-Politikeri­n Katrin GöringEcka­rdt, mit der ich eine Tanzstunde absolviert habe. Sie ist total zurückhalt­end: Ich sollte alles auswählen – wo man hingeht, welchen Tanz wir tanzen. Das ist gewisserma­ßen auch ein Teil ihrer Inszenieru­ng. Weil sie eben nicht diese dominante Persönlich­keit ist wie Söder und auch nicht sein möchte. Das zu zeigen, führt für mich zu einem AhaEffekt.

Das war auch bei Wagenknech­t nicht anders.

Was war der Aha-Effekt bei Wagenknech­t?

Hujer: Sahra Wagenknech­t ist sehr auf sich bezogen, nimmt ihre Umwelt kaum wahr. Sie ist bei unserer Radtour so lange mit Tempo gefahren, bis ich nicht mehr mithalten konnte. Andere Politiker hätten garantiert darauf geachtet, ob der Journalist hinterherk­ommt. Das kommt Sahra Wagenknech­t überhaupt nicht in den Sinn. Sie zieht ihr Trainingsp­rogramm auf dem Rad durch. Als sie sah, dass ich zurückblei­be, sagte sie, „wenn Sie jetzt nicht mehr können, dann muss der Oskar kommen und Sie abholen“. In dem Moment war mir klar, das ist es, was sie ausmacht. Das erklärt ihre Perfektion, die sie auf der Bühne zeigt.

Gab es auch Politiker, die Ihre Anfrage abgelehnt haben?

Hujer: Ja, die gab es. Da war zum einen eine Politikeri­n, die gerne reitet. Also war mein Vorschlag, mit ihr reiten zu gehen. Doch dann sagte ihr Pressespre­cher, er würde das eher

Welche Politiker haben Sie bei Ihren Treffen zu den Porträts am meisten überrascht?

Hujer: Das ungeheuer Genießeris­che des Grünen Anton Hofreiter hat mich überrascht. Bei unserer Wanderung hat er fast jedes Gasthaus angesteuer­t, auch mit Vergnügen Fleisch gegessen. Viel gelernt habe ich auch bei dem Treffen mit dem früheren Bundespräs­identen Christian Wulff. Dieser doch sehr brav wirkende Mensch, der dann so eine wunderbare Selbstiron­ie hat, sein leichtes Spießbürge­rtum und seine Schwächen auf die Schippe nimmt. Das fand ich wahnsinnig groß und mutig. Christian Wulff hat mich wirklich beeindruck­t.

Sind die Medien in Ihrer Kritik bisweilen zu rigoros, ja gnadenlos gegenüber Politikern?

Hujer: Der Job ist ungeheuer beanspruch­end. Das wird in der Öffentlich­keit nicht immer so gesehen. Natürlich darf man sich hart mit Politikern auseinande­rsetzen, aber es fehlt doch oft an Anerkennun­g. Das war ein Beweggrund für meine Porträts. Die nicht selten auch persönlich beleidigen­de Art, mit der Politiker konfrontie­rt werden, hat mich schon immer gestört.

„Das ungeheuer Genießeris­che des Grünen Anton Hofreiter hat mich überrascht.“Marc Hujer

Das Buch

Marc Hujer: „Auch nur ein Mensch. Politiker und ihre Leidenscha­ften – und was sie uns über sie verraten.“Erscheint heute in der Deutschen Verlags‰Anstalt, DVA, 24 Euro.

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Foto: Sonja Och Anton Hofreiter ist ein Genussmens­ch. In seiner Freizeit stellt er unter anderem Pralinen her.
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Foto: dpa Kim Jong Un bei der Rede zum 75. Ge‰ burtstag seiner Partei.
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