Kim zeigt Waffen und Emotionen
Nordkoreas Diktator kommen die Tränen
Dandong In der chinesischen Grenzstadt Dandong gleicht die Erinnerungskultur an den Koreakrieg einer nostalgischen Kirmes: Während vor den Stufen des neu eröffneten Gedenkmuseums patriotische Militärmusik aus den Lautsprechern dröhnt, marschieren Frauen vom örtlichen Kader der Kommunistischen Partei auf. Auf Wunsch eines Touristen zielt eine der Schauspielsoldatinnen mit ihrem Gewehr ins Kameraobjektiv, eine andere stellt sich mit einer Handgranate dazu.
Die Tragik des Koreakriegs, in dem vier Millionen Menschen starben, lässt sich im Museum erleben. Vor 70 Jahren schlossen sich die chinesischen Truppen den nordkoreanischen Streitkräften an, um gegen Südkorea und die USA zu kämpfen. Die jeweilige Geschichtsschreibung ist der politische Gradmesser für dieses Datum: In Pjöngjang spricht man vom „vaterländischen Befreiungskampf“, der von einem Überraschungsangriff der Südkoreaner gestartet wurde. In Seoul wird die im Westen anerkannte Erzählung gelehrt, dass Nordkoreas Staatsgründer Kim Il Sung mit seiner Invasion den Konflikt auslöste.
Nur wenige Kilometer entfernt, an der Promenade des Yalu-Flusses, tummeln sich Touristen, um Fotos von der anderen Seite zu schießen. Von Nordkorea. Bis vor wenigen Jahren zeigte sich hier das krasseste Wohlstandsgefälle weltweit: Auf der einen Seite des Flusses neonbeleuchtete chinesische Einkaufszentren, auf der anderen Seite stockfinsteres Niemandsland. Mittlerweile haben die Nordkoreaner ebenfalls imposante Immobilienprojekte hochgezogen: Der „Einheitsturm“mit über 25 Stockwerken ragt in den Himmel empor. Doch ein Blick mit dem Fernglas entlarvt die Fassade: Mehrere Stockwerke haben gar keine Fenster.
Militärisch kann Machthaber Kim Jong Un noch Stärke zeigen, etwa am Samstag bei der wichtigsten Militärparade in der Geschichte des Landes: Zum 75. Geburtstag der nordkoreanischen Arbeiterpartei präsentierte das Regime die wohl größte Langstreckenrakete der Welt. Kims Ansprache stand jedoch im Gegenteil zum militärischen Säbelrasseln: Als er den Soldaten dafür dankte, das Land „virusfrei“gehalten zu haben, rannen Tränen über sein Gesicht. „Ich schwöre, dass ich dem Vertrauen der Menschen gerecht werde, selbst wenn mein Körper in Stücke gerissen wird“, sagte Kim in der für Nordkoreaner üblichen theatralischen Sprache. Dass der 36-jährige dabei eine Uhr im Wert von über zehntausend Euro trug, sorgte auf Twitter für Spott. Von chinesischer Seite erhält Kim dieser Tage jedoch wieder Rückenwind. Präsident Xi Jinping ließ eine Gratulationsbotschaft ausrichten, in der er versprach, „die Beziehungen zwischen China und Korea gemeinsam zu verteidigen, zu festigen und weiterzuentwickeln“.
An der Uferpromenade in Dandong ist Abend eingekehrt. Ein paar Jugendliche mit Baseballcaps und Baggypants nutzen eine Skulptur zum Gedenken an den Koreakrieg, um auf ihren Skateboards Tricks zu üben.
Marc Hujer: Es fing mit der LinkenPolitikerin Sahra Wagenknecht an. Ich hatte damals wirklich Probleme, so an sie heranzukommen, dass ich das Gefühl hatte, ein gutes Porträt schreiben zu können. Von Sahra Wagenknecht hat man ja den Eindruck, dass sie mit einer fast maschinenhaften Präzision und Perfektion auf der Bühne auftritt. Also habe ich ihr gesagt, man müsste das irgendwie einmal ganz anders machen. Und so sind wir darauf gekommen, dass wir zusammen Fahrrad fahren könnten – was sie ja zu dieser Zeit so richtig ernsthaft begonnen hat.
Und das funktionierte dann so gut, dass Sie auch bei anderen Politikerinnen und Politikern so vorgegangen sind?
Hujer: Absolut. Politiker sind ja auch so etwas wie Schauspieler. Sie haben ihre Rolle, ihr Programm, das sie vertreten. Es ist ein bisschen so, als würde man ein Schauspieler-Porträt nur anhand seiner Auftritte auf der Bühne schreiben, ohne ihn je anders erlebt zu haben. Natürlich vergessen die Politiker nicht, dass ein Reporter danebensteht, wenn sie ihrem Hobby nachgehen. Aber dennoch begeben sie sich in eine Situation, die sie vorher nicht geprobt haben.
Was ändert sich für Sie als Journalist in diesem Moment?
Hujer: Dass mir Dinge auffallen, die ich normalerweise nicht bemerken würde. Man erkennt bestimmte Charakterzüge viel besser, die dann auch einiges erklären können, was sie als Politiker ausmacht. Mir geht es bei diesen Porträts weniger um die Beurteilung von politischen Positionen. Ich suche Beweggründe. Warum ticken solche Menschen so? Ist das jetzt ein Weltverbesserer, ist das ein Selbstinszenierer?
Nennen Sie ein Beispiel!
Hujer: Bei meinem Porträt über Landwirtschaftsministerin Julia Klöckner habe ich wie immer mit der Frage begonnen: „Was ist Ihre Leidenschaft?“Eigentlich war geplant, mit Julia Klöckner, die ja aus einer Winzerfamilie stammt, auf ihren Hof zu fahren und mit ihr zusammen Wein zu trinken. Auch um sie zu fragen, wie das ist, ständig mit diesem Klischee als Weinkönigin umzugehen. Doch dann hat sie mich kurzfristig damit überrascht, dass sie lieber mit mir Vespa fahren wolle. Warum denn das ihre Leidenschaft sei, habe ich gefragt. „Weil ich da leicht einen Parkplatz finde“, antwortete sie. Das sagt ungeheuer viel. Alles ist easy. Da sieht man, Julia Klöckner ist jemand, der es gerne leicht hat. Ich glaube, da muss man gar nicht mehr viel sagen.
Auf Wertungen verzichten Sie konsequent in allen elf Ihrer Porträt-Texte des Buches.
Hujer: Ich finde, der Leser kann das für sich selber bestimmen. Wenn ich mit FDP-Chef Christian Lindner Porsche fahre, möchte ich nicht sagen, ob ich Porsche fahren ablehne oder ob ich das Auto schön oder weniger schön finde. Jeder kann Lindner als Porsche-Fahrer furchtbar sympathisch oder furchtbar unsympathisch finden. Das will ich selber nicht übernehmen. Mein Ziel ist es, mit den Porträts Einblicke zu verschaffen, was einen Politiker antreibt. Ich habe schon den Anspruch, dass das Psychogramme sind.
Spürten Sie oft Kalkül – also den Willen, sich sympathisch zu präsentieren? Hujer: Da gibt es riesige Unterschiede. Ein Moment der Inszenierung ist immer dabei – logischerweise. Und das ist ungeheuer stark bei Markus Söder. Er wollte bei meinem
Termin mit ihm in der Tennishalle die Kontrolle behalten, hatte selber Ideen, was man machen könnte. Er war da sehr aktiv. Ganz anders die Grünen-Politikerin Katrin GöringEckardt, mit der ich eine Tanzstunde absolviert habe. Sie ist total zurückhaltend: Ich sollte alles auswählen – wo man hingeht, welchen Tanz wir tanzen. Das ist gewissermaßen auch ein Teil ihrer Inszenierung. Weil sie eben nicht diese dominante Persönlichkeit ist wie Söder und auch nicht sein möchte. Das zu zeigen, führt für mich zu einem AhaEffekt.
Das war auch bei Wagenknecht nicht anders.
Was war der Aha-Effekt bei Wagenknecht?
Hujer: Sahra Wagenknecht ist sehr auf sich bezogen, nimmt ihre Umwelt kaum wahr. Sie ist bei unserer Radtour so lange mit Tempo gefahren, bis ich nicht mehr mithalten konnte. Andere Politiker hätten garantiert darauf geachtet, ob der Journalist hinterherkommt. Das kommt Sahra Wagenknecht überhaupt nicht in den Sinn. Sie zieht ihr Trainingsprogramm auf dem Rad durch. Als sie sah, dass ich zurückbleibe, sagte sie, „wenn Sie jetzt nicht mehr können, dann muss der Oskar kommen und Sie abholen“. In dem Moment war mir klar, das ist es, was sie ausmacht. Das erklärt ihre Perfektion, die sie auf der Bühne zeigt.
Gab es auch Politiker, die Ihre Anfrage abgelehnt haben?
Hujer: Ja, die gab es. Da war zum einen eine Politikerin, die gerne reitet. Also war mein Vorschlag, mit ihr reiten zu gehen. Doch dann sagte ihr Pressesprecher, er würde das eher
Welche Politiker haben Sie bei Ihren Treffen zu den Porträts am meisten überrascht?
Hujer: Das ungeheuer Genießerische des Grünen Anton Hofreiter hat mich überrascht. Bei unserer Wanderung hat er fast jedes Gasthaus angesteuert, auch mit Vergnügen Fleisch gegessen. Viel gelernt habe ich auch bei dem Treffen mit dem früheren Bundespräsidenten Christian Wulff. Dieser doch sehr brav wirkende Mensch, der dann so eine wunderbare Selbstironie hat, sein leichtes Spießbürgertum und seine Schwächen auf die Schippe nimmt. Das fand ich wahnsinnig groß und mutig. Christian Wulff hat mich wirklich beeindruckt.
Sind die Medien in Ihrer Kritik bisweilen zu rigoros, ja gnadenlos gegenüber Politikern?
Hujer: Der Job ist ungeheuer beanspruchend. Das wird in der Öffentlichkeit nicht immer so gesehen. Natürlich darf man sich hart mit Politikern auseinandersetzen, aber es fehlt doch oft an Anerkennung. Das war ein Beweggrund für meine Porträts. Die nicht selten auch persönlich beleidigende Art, mit der Politiker konfrontiert werden, hat mich schon immer gestört.
„Das ungeheuer Genießerische des Grünen Anton Hofreiter hat mich überrascht.“Marc Hujer
Das Buch
Marc Hujer: „Auch nur ein Mensch. Politiker und ihre Leidenschaften – und was sie uns über sie verraten.“Erscheint heute in der Deutschen VerlagsAnstalt, DVA, 24 Euro.