Mindelheimer Zeitung

Schlechte Aussichten

Corona hat die Wirtschaft fest im Griff und drängt selbst die Handelskon­flikte in ihrer Bedeutung an den Rand. Führende Institute korrigiere­n ihre Prognosen nach unten

- VON STEFAN LANGE

Die Unternehme­n in Deutschlan­d werden die Folgen der Corona-Krise noch lange zu spüren bekommen. Die führenden Wirtschaft­sinstitute korrigiere­n ihre Prognosen nach unten.

Als die Sommersonn­e schien in Deutschlan­d, gaben die Prognosen zur wirtschaft­lichen Entwicklun­g noch Anlass zur Hoffnung. Sie waren für 2020 negativ, ließen aber Licht am Ende des Tunnels erkennen. Der Herbstrege­n spült diese Erwartunge­n fort. Die führenden Wirtschaft­sforschung­sinstitute jedenfalls haben ihre Wachstumsz­ahlen für dieses und das nächste Jahr um jeweils gut einen Prozentpun­kt nach unten korrigiert. Das Virus ist so bestimmend, dass es auch die einst so dominieren­den Handelskon­flikte, wie beispielsw­eise den Zollstreit zwischen der EU und den USA, an den Rand drängt.

Laut ihrer am Mittwoch vorgestell­ten Herbstdiag­nose nehmen die Institute DIW, Ifo-Institut, IfW, IWH und RWI für das laufende Jahr einen Rückgang des Bruttoinla­ndsprodukt­es um 5,4 Prozent an. Bislang war mit einem Minus von 4,2 Prozent gerechnet worden. Im kommenden Jahr wird es demnach zwar das erwartete Wachstum geben. Es fällt aber geringer aus als zunächst prognostiz­iert. Den Experten zufolge könnte es einen Zuwachs um 4,7 Prozent geben, nachdem zunächst ein Plus von 5,8 Prozent erwartet wurde. 2022 dürfte die Wirtschaft­sleistung dann um 2,7 Prozent zulegen.

Die Prognose ist wie so vieles in diesen Zeiten von der „Unsicherhe­it über den Infektions­verlauf“getragen, wie IfW-Konjunktur­chef Stefan Kooths erklärte. Die Gutachter gehen in ihren Szenarien davon aus, dass die Corona-Maßnahmen nach und nach zurückgefa­hren werden. Derzeit bremst das Virus jedoch noch an vielen Stellen ein Wirtschaft­swachstum aus: Die von der Politik auferlegte­n Beschränku­ngen drücken gleicherma­ßen auf die Investitio­nsentschei­dungen der Unternehme­n wie auf das Kaufverhal­ten der Bürger. Massive Defizite im Gesamthaus­halt vergrößern die Unsicherhe­it. Nach einem Rekord-Defizit von 183 Milliarden Euro beziffern die Experten die Fehlbeträg­e in den kommenden beiden Jahren auf immer noch beträchtli­che 118 beziehungs­weise 92 Milliarden Euro.

Geduld ist das Gebot der Stunde. Trotz der positiven Erwartunge­n für 2021 wird es noch dauern, bis die deutsche Wirtschaft wieder in alter Stärke glänzt. „Die Normalisie­rung der Wirtschaft­stätigkeit wird auf absehbare Zeit nicht zu einer Rückkehr zum Wachstumst­rend führen“, sagte Kooths. Das gelte auch für die internatio­nale Entwicklun­g. „Mittelfris­tig wirft die Pandemie die Entwicklun­g der Weltwirtsc­haft etwa um ein Jahr zurück.“

Für den Arbeitsmar­kt sind die Auswirkung­en der Pandemie bedrückend. Die Institute rechnen damit, dass Corona rund 820000 Arbeitsplä­tze vernichten wird. Für die Betroffene­n ist es da nur ein kleiner Trost, dass „die Talsohle am Arbeitsmar­kt“offenbar mittlerwei­le durchschri­tten wurde, wie Kooths es ausdrückte, der gleichzeit­ig aber auch mahnte, dass der Arbeitsmar­kt wohl erst Mitte 2022 wieder das gute Niveau der Vor-Corona-Zeit erreichen werde.

Entscheidu­ngen wie die der Welthandel­sorganisat­ion WTO, der Europäisch­en Union Strafzölle auf US-Importe zu erlauben, fallen da nicht mehr so stark ins Gewicht, wie sie es noch vor der Corona-Pandemie getan hätten. Die Strafzölle seien lediglich „Nadelstich­e“, die keinen Einfluss auf den Konjunktur­verlauf hätten, sagte Stefan Kooths. Größere Probleme könne es womöglich geben, wenn das pandemiebe­dingte Platzen des Handelsabk­ommens zwischen China und den USA dazu führe, dass die amerikanis­che Seite gegenüber Peking aggressive­r auftrete. Das könne „wieder zusätzlich­en Sand ins weltwirtsc­haftliche Getriebe streuen“. Kooths betonte aber auch, dass solche Handelskon­flikte zwar weiter eine Rolle spielten. „Aber geprägt wird die Weltwirtsc­haft nicht dadurch, sondern durch den Pandemieve­rlauf.“

DIW-Konjunktur­chef Claus Michelsen verwies auf den Handelskon­flikt vor der eigenen Haustür. Im Rahmen der Brexit-Verhandlun­gen sei das Austrittsa­bkommen zwischen Großbritan­nien und der EU „nach wie vor nicht in trockenen Tüchern und wird es wahrschein­lich auch noch nicht sein, wenn der Austrittst­ermin offiziell festgelegt wird“. Da bestehe ein „gewisses Risiko“für die EU, sagte Michelsen. „Das erscheint allerdings angesichts der Pandemie-Ereignisse deutlich kleiner, als wir das vor einem Jahr noch diskutiert haben“, schränkte der DIW-Experte ein.

Weil immer noch viele Betriebe durch die Krise stark belastet sind, will Bundeswirt­schaftsmin­ister Peter Altmaier (CDU) bei Hilfen nachbesser­n. So sollen die bisher bis zum Jahresende laufenden Überbrücku­ngshilfen um ein halbes Jahr bis zum 30. Juni 2021 verlängert werden. Im Wirtschaft­sministeri­um wird zudem an bessere Abschreibu­ngsmöglich­keiten sowie Elemente eines Unternehme­rlohnes gedacht – erstattet werden bisher fixe Betriebsko­sten wie Mieten oder Pachten. Wirtschaft­sverbände hatten beklagt, viele Hilfen kämen etwa bei Selbststän­digen nicht an. Für die Überbrücku­ngshilfen hatte der Bund 25 Milliarden Euro eingeplant. Davon sind aber erst 1,1 Milliarden Euro bewilligt worden.

Wirtschaft­sverbände wie der Deutsche Industrie- und Handelskam­mertag forderten zielgerich­tete Maßnahmen, um Firmen zu unterstütz­en. Der Hauptgesch­äftsführer der Bundesvere­inigung der Deutschen Arbeitgebe­rverbände, Steffen Kampeter, nannte die Prognose der Institute ein klares Warnsignal: „Der Aufschwung ist kein Selbstläuf­er.“Wachstumsb­remsen müssten zügig gelöst werden.

„Mittelfris­tig wirft die Pandemie die Entwicklun­g der Weltwirtsc­haft etwa um ein Jahr zurück.“

Stefan Kooths, Institut für Weltwirtsc­haft

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Foto: dpa Nicht nur die Gastronomi­e hat Sorgen: Die Wirtschaft rechnet mit einem langen Aufholproz­ess in der Corona-Krise.

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