Blick in die Dichterstuben
Lesen Obwohl die Frankfurter Buchmesse nur digital stattfinden konnte, ist die Bilanz positiv. Es gab 200 000 User weltweit
Frankfurt Keine Menschenmassen, die sich vorbei an Bücherregalen schieben, Gespräche mit Autoren im Live-Chat und Lesungen an wenigen Orten in der Stadt vor kleinem Publikum: Die 72. Frankfurter Buchmesse war eine besondere, doch die Verantwortlichen haben auch nach einer ungewöhnlichen Ausgabe in der Corona-Krise an diesem Sonntag für ihre digitalen Formate eine positive Bilanz gezogen.
Mehr als 200000 Userinnen und User weltweit haben an den virtuellen Angeboten der 72. Ausgabe teilgenommen, wie die Messe am Sonntag bilanzierte. Mehr als 4400 Aussteller aus 103 Ländern hatten sich für diese virtuelle „Sonderausgabe“angemeldet. Auf den Kanälen der Buchmesse in sozialen Medien habe es binnen sieben Tagen 1,2 Millionen Interaktionen und Aufrufe gegeben. Im Messekalender standen demnach 3644 Veranstaltungen. Die Online-Show „Bookfest“hat der
Messe zufolge mit ihren 28 Stunden Programm 1,5 Millionen Menschen erreicht.
„In diesem Jahr ist es uns gelungen, neben dem Fachangebot für die internationale Buchbranche und einem Fest für das Lesen, die Frankfurter Buchmesse auch als politische Plattform ins Netz zu transferieren, um den dringend benötigten Diskurs dort stattfinden zu lassen“, teilte der Direktor der Buchmesse, Juergen Boos, mit. Es sei damit gelungen, dem Buch in dieser Woche eine große digitale und mediale Bühne zu bieten, sagte die Vorsteherin des Börsenvereins des Deutschen Buchhandels, Karin SchmidtFriderichs.
Im Netz gab es jede Menge gesellschaftliche Debatten zu sehen. Zahlreiche Autorinnen und Autoren, aber auch Tennisspielerin Andrea Petkovic, Sänger Campino und Schauspieler Lars Eidinger stellten ihre Bücher vor. Auch die Verleihung des Deutschen Jugendliteraturpreises
fand am Freitagabend nicht wie gewohnt statt, sondern wurde per Live-Stream aus dem Berliner Kinder- und Jugendtheater Grips gesendet. Die Gewinnerin des Sonderpreises für das Gesamtwerk, die in Kalifornien lebende Bestseller-Autorin
Cornelia Funke, wurde im Video-Chat zugeschaltet.
Zum Abschluss der Buchmesse wurde am Sonntag der indische Wissenschaftler Amartya Sen mit dem mit 25 000 Euro dotierten Friedenspreis des Deutschen Buchhandels
ausgezeichnet. Sen habe sich „als Vordenker seit Jahrzehnten mit Fragen der globalen Gerechtigkeit auseinandergesetzt“, heißt es in der Begründung des Stiftungsrats. Seine Arbeiten trügen zur Bekämpfung sozialer Ungleichheit bei und seien heute so relevant wie nie zuvor. Der in den USA lebende Wissenschaftler und Philosoph konnte wegen der Pandemie nicht persönlich in die Paulskirche kommen, stattdessen wurde der 86-Jährige aus Boston zugeschaltet – für ihn war es sehr früher Morgen. Auch die Teilnahme von Laudator Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier wurde am Wochenende kurzfristig abgesagt. Nach dem positiven Corona-Test eines Personenschützers befindet sich das Staatsoberhaupt weiterhin in Quarantäne. Seine Laudatio wurde vom Schauspieler Burghart Klaußner in einer ziemlich leeren Paulskirche verlesen. Das Publikum war, ebenfalls wegen Corona, ausgeladen worden.