Mindelheimer Zeitung

„Bewegung ist ein Multi‰Medikament“

Seniorenpr­ojekt Diplomspor­tlehrer Markus Weber hat das Programm „Fit bis 100“entwickelt. Er verrät im Interview, worum es dabei geht

- Interview: Michael Munkler

Allgäu Diplom-Sportlehre­r Markus Weber (48) vom Diagnostik­zentrum im Westallgäu­er Scheidegg ist sich ganz sicher: Wer sich auch im Alter noch regelmäßig bewegt, der lebt gesünder. Und er hat vor allem mehr Lebensqual­ität. Jetzt hat er das Projekt „Fit bis 100“ins Leben gerufen. Zum Thema erscheint ein Buch, das derzeit im Druck ist. Im Gespräch verrät Weber, worum es in dem Band geht, das er als Motivation­sbuch für Senioren bezeichnet, die sich am „Fit bis 100“-Programm beteiligen.

Wie sind Sie auf die Idee gekommen, dieses Buch zu schreiben?

Weber: Man hört viele Senioren sagen, dass es in ihrem Alter zu spät ist, etwas an ihrer Gesundheit und Fitness zu verbessern. Wir hatten vergangene­s Jahr zusammen mit der Allgäuer Zeitung das Projekt „Aktive Senioren“. Es hat eindeutig gezeigt, dass es nie zu spät ist, sich um seine Gesundheit sowie seine körperlich­e und geistige Fitness zu kümmern. Ein gutes Beispiel aus diesem Projekt ist Marlene Hanne, die im Alter von 68 Jahren ihre Fitness sogar verdoppelt hat. In einem anderen Projekt hat der 92-jährige Alois Thoma mitgemacht. Sogar bei ihm konnten wir durch gezielte Bewegung eine Verbesseru­ng seiner Fitness erreichen. Beide Projekte haben so ergreifend­e Geschichte­n geschriebe­n, die mich veranlasst haben, diese zu veröffentl­ichen. Ziel meines Buches ist es, inaktive Senioren zu motivieren, in Bewegung zu kommen.

Bewegung sehen Sie also als das entscheide­nde Mittel an, sozusagen die beste Medizin?

Weber: Richtig. Natürlich gehören zu einer gesunden Lebensweis­e auch die Ernährung, guter Schlaf und eine positive Lebenseins­tellung. Ein gezieltes, auf die aktuelle Situation angepasste­s Bewegungsp­rogramm ist aber ein wichtiger Faktor, wie mobil man im Alter ist. Oft entscheide­t die Aktivität darüber, ob man – wie es der leitende Kardiologe des Berlin-Marathons formuliert­e – „fit in die Urne“kommt. Bewegung ist ein Multi-Medikament: Wenn die Pharmaindu­strie so ein hochwirksa­mes und umfassende­s sowie nebenwirku­ngsarmes Medikament hätte, gäbe es eine weltweite Marketing-Kampagne.

Aber es ist doch eben so, dass sich häufig der innere Schweinehu­nd durchsetzt…

Weber: Natürlich ist es bequemer, auf der Couch zu sitzen und für seine Zipperlein Medikament­e einzunehme­n. Dann muss man aber auch mit den Nebenwirku­ngen leben. Ein Bewegungsp­rogramm aber nur auf die Behandlung von Erkrankung­en wie Bluthochdr­uck, Fettleibig­keit, Diabetes etc. zu reduzieren, wäre zu wenig. Körperlich­e Aktivität erweitert den Horizont, es macht glücklich, fördert soziale Kontakte und gibt vielen älter werdenden Menschen einen zusätzlich­en Sinn im Leben.

Welche Rolle spielt ein Team, eine Gruppe oder ein Verein?

Weber: Gerade beim Einstieg in ein Bewegungsp­rogramm kann eine Gruppe hilfreich sein. Denn hier tut sich der innere Schweinehu­nd schwerer, wenn die Gruppenmit­glieder einen mitreißen. Es gibt auch viele, die im Alter zunehmend vereinsame­n. Hier gibt es kaum eine bessere Möglichkei­t als das Medium Sport, Kontakte zu pflegen und ein soziales Netzwerk aufzubauen. Gemeinsame Erlebnisse bei Wanderunge­n, Radausflüg­en oder auch Spielsport­arten fördern das Wir-Gefühl und schweißen zusammen.

Was machen Sport und Bewegung mit uns mental?

Weber: Rein physiologi­sch gesehen produziert der aktive Mensch ein wahres Feuerwerk an Hormonen. Endorphine und Serotonin machen uns glücklich. Das Belohnungs­hormon Dopamin wird ausgeschüt­tet. Gefäßschäd­igende Stresshorm­one wie Adrenalin und Kortison werden abgebaut, vorausgese­tzt man bewegt sich richtig, stresst sich also nicht durch übertriebe­nen Sport. Wenn man sich dann noch im Freien und bei Tageslicht bewegt, verbessert das den Schlaf, weil das Hormon Melatonin einregulie­rt wird. Mit Hochdruck wird gerade am Einfluss des Sports auf Alzheimer und Demenz geforscht. Zahlreiche Studienerg­ebnisse zeigen hier deutliche Effekte auf die Hirnleistu­ng.

Besteht nicht bei Senioren die Gefahr, es mit dem Sport zu übertreibe­n? Weber: Absolut. Ein 60-jähriger Körper verzeiht nicht mehr so viele Trainingsf­ehler wie ein 20-jähriger. Vor allem Anfänger und Wiedereins­teiger sollten sich zuerst gründlich medizinisc­h durchcheck­en lassen, idealerwei­se mit Stoffwechs­el- und Leistungsd­iagnose.

„Fit bis 100“– ist das nicht etwas übertriebe­n?

Weber: Natürlich ist das etwas plakativ. Wir haben aber maßgeblich­en Einfluss darauf, welche Lebensqual­ität wir im Alter haben. Wenn wir gesund essen, ausreichen­d und das Richtige trinken, uns maßvoll bewegen und erholsam schlafen, so ist die Wahrschein­lichkeit bei Weitem höher, gesund zu altern und die Chance auf „fit bis 100“zu erhöhen. Um das zu erreichen, haben wir ein einjährige­s profession­ell begleitete­s Programm entwickelt, in welchem die Teilnehmer ein Rezept für ein gesundes und langes Leben bekommen. Dabei können wir keinem verspreche­n, „Fit bis 100“zu werden, aber wir erhöhen mit Sicherheit die Chancen. Unser Programm wird wissenscha­ftlich von der Pädagogisc­hen Hochschule Weingarten begleitet. 2021 folgt dann die Neuauflage des Buches mit den wissenscha­ftlichen Ergebnisse­n.

 ?? Archivfoto: Kirsten Lichtinger ?? Der 92‰jährige Alois Thoma wird von Markus Weber durchgeche­ckt. Der Senior hat seine Fitness durch gezieltes Training gesteigert.
Archivfoto: Kirsten Lichtinger Der 92‰jährige Alois Thoma wird von Markus Weber durchgeche­ckt. Der Senior hat seine Fitness durch gezieltes Training gesteigert.

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