„Bewegung ist ein MultiMedikament“
Seniorenprojekt Diplomsportlehrer Markus Weber hat das Programm „Fit bis 100“entwickelt. Er verrät im Interview, worum es dabei geht
Allgäu Diplom-Sportlehrer Markus Weber (48) vom Diagnostikzentrum im Westallgäuer Scheidegg ist sich ganz sicher: Wer sich auch im Alter noch regelmäßig bewegt, der lebt gesünder. Und er hat vor allem mehr Lebensqualität. Jetzt hat er das Projekt „Fit bis 100“ins Leben gerufen. Zum Thema erscheint ein Buch, das derzeit im Druck ist. Im Gespräch verrät Weber, worum es in dem Band geht, das er als Motivationsbuch für Senioren bezeichnet, die sich am „Fit bis 100“-Programm beteiligen.
Wie sind Sie auf die Idee gekommen, dieses Buch zu schreiben?
Weber: Man hört viele Senioren sagen, dass es in ihrem Alter zu spät ist, etwas an ihrer Gesundheit und Fitness zu verbessern. Wir hatten vergangenes Jahr zusammen mit der Allgäuer Zeitung das Projekt „Aktive Senioren“. Es hat eindeutig gezeigt, dass es nie zu spät ist, sich um seine Gesundheit sowie seine körperliche und geistige Fitness zu kümmern. Ein gutes Beispiel aus diesem Projekt ist Marlene Hanne, die im Alter von 68 Jahren ihre Fitness sogar verdoppelt hat. In einem anderen Projekt hat der 92-jährige Alois Thoma mitgemacht. Sogar bei ihm konnten wir durch gezielte Bewegung eine Verbesserung seiner Fitness erreichen. Beide Projekte haben so ergreifende Geschichten geschrieben, die mich veranlasst haben, diese zu veröffentlichen. Ziel meines Buches ist es, inaktive Senioren zu motivieren, in Bewegung zu kommen.
Bewegung sehen Sie also als das entscheidende Mittel an, sozusagen die beste Medizin?
Weber: Richtig. Natürlich gehören zu einer gesunden Lebensweise auch die Ernährung, guter Schlaf und eine positive Lebenseinstellung. Ein gezieltes, auf die aktuelle Situation angepasstes Bewegungsprogramm ist aber ein wichtiger Faktor, wie mobil man im Alter ist. Oft entscheidet die Aktivität darüber, ob man – wie es der leitende Kardiologe des Berlin-Marathons formulierte – „fit in die Urne“kommt. Bewegung ist ein Multi-Medikament: Wenn die Pharmaindustrie so ein hochwirksames und umfassendes sowie nebenwirkungsarmes Medikament hätte, gäbe es eine weltweite Marketing-Kampagne.
Aber es ist doch eben so, dass sich häufig der innere Schweinehund durchsetzt…
Weber: Natürlich ist es bequemer, auf der Couch zu sitzen und für seine Zipperlein Medikamente einzunehmen. Dann muss man aber auch mit den Nebenwirkungen leben. Ein Bewegungsprogramm aber nur auf die Behandlung von Erkrankungen wie Bluthochdruck, Fettleibigkeit, Diabetes etc. zu reduzieren, wäre zu wenig. Körperliche Aktivität erweitert den Horizont, es macht glücklich, fördert soziale Kontakte und gibt vielen älter werdenden Menschen einen zusätzlichen Sinn im Leben.
Welche Rolle spielt ein Team, eine Gruppe oder ein Verein?
Weber: Gerade beim Einstieg in ein Bewegungsprogramm kann eine Gruppe hilfreich sein. Denn hier tut sich der innere Schweinehund schwerer, wenn die Gruppenmitglieder einen mitreißen. Es gibt auch viele, die im Alter zunehmend vereinsamen. Hier gibt es kaum eine bessere Möglichkeit als das Medium Sport, Kontakte zu pflegen und ein soziales Netzwerk aufzubauen. Gemeinsame Erlebnisse bei Wanderungen, Radausflügen oder auch Spielsportarten fördern das Wir-Gefühl und schweißen zusammen.
Was machen Sport und Bewegung mit uns mental?
Weber: Rein physiologisch gesehen produziert der aktive Mensch ein wahres Feuerwerk an Hormonen. Endorphine und Serotonin machen uns glücklich. Das Belohnungshormon Dopamin wird ausgeschüttet. Gefäßschädigende Stresshormone wie Adrenalin und Kortison werden abgebaut, vorausgesetzt man bewegt sich richtig, stresst sich also nicht durch übertriebenen Sport. Wenn man sich dann noch im Freien und bei Tageslicht bewegt, verbessert das den Schlaf, weil das Hormon Melatonin einreguliert wird. Mit Hochdruck wird gerade am Einfluss des Sports auf Alzheimer und Demenz geforscht. Zahlreiche Studienergebnisse zeigen hier deutliche Effekte auf die Hirnleistung.
Besteht nicht bei Senioren die Gefahr, es mit dem Sport zu übertreiben? Weber: Absolut. Ein 60-jähriger Körper verzeiht nicht mehr so viele Trainingsfehler wie ein 20-jähriger. Vor allem Anfänger und Wiedereinsteiger sollten sich zuerst gründlich medizinisch durchchecken lassen, idealerweise mit Stoffwechsel- und Leistungsdiagnose.
„Fit bis 100“– ist das nicht etwas übertrieben?
Weber: Natürlich ist das etwas plakativ. Wir haben aber maßgeblichen Einfluss darauf, welche Lebensqualität wir im Alter haben. Wenn wir gesund essen, ausreichend und das Richtige trinken, uns maßvoll bewegen und erholsam schlafen, so ist die Wahrscheinlichkeit bei Weitem höher, gesund zu altern und die Chance auf „fit bis 100“zu erhöhen. Um das zu erreichen, haben wir ein einjähriges professionell begleitetes Programm entwickelt, in welchem die Teilnehmer ein Rezept für ein gesundes und langes Leben bekommen. Dabei können wir keinem versprechen, „Fit bis 100“zu werden, aber wir erhöhen mit Sicherheit die Chancen. Unser Programm wird wissenschaftlich von der Pädagogischen Hochschule Weingarten begleitet. 2021 folgt dann die Neuauflage des Buches mit den wissenschaftlichen Ergebnissen.