Mindelheimer Zeitung

„Die Kontrolle geht schnell verloren“

Kriminalit­ät Jugendlich­e verbreiten immer öfter Nacktfotos oder -videos und sind sich der Konsequenz­en nicht bewusst. Warum Michael Laumer vom bayerische­n Landeskrim­inalamt für Aufklärung statt harte Strafen plädiert

- Interview: Tom Trilges

Immer mehr Jugendlich­e verschicke­n pornografi­sche Inhalte. Welche Motivation steckt dahinter?

Michael Laumer: Sehr häufig geht es um das Prahlen vor Mitschüler­n oder die Bloßstellu­ng der Betroffene­n. Die Täter zeigen dann zum Beispiel stolz selbstprod­uzierte Nacktbilde­r ihrer Ex-Freundin oder wollen sie damit innerhalb der Schulklass­e lächerlich machen. Die Jugendlich­en wissen in den meisten Fällen nicht, dass dies ausreicht, um strafrecht­lich belangt zu werden.

Gibt es den klassische­n Täter?

Laumer: Vor allem sticht die Gruppe der 14- bis 15-Jährigen hervor – und die Täter sind zumeist Jungen. Wir stellen fest, dass Mittelschü­ler stärker als Täter in Erscheinun­g treten als Jugendlich­e an anderen Schulforme­n. Generell sei jedoch gesagt, dass der Umgang mit Pornografi­e im Jugendalte­r grundsätzl­ich nichts Ungewöhnli­ches ist. Problemati­sch wird es, wenn harte Pornografi­e wie zum Beispiel Kinder- und Jugendporn­ografie verbreitet werden. In beiden Fällen sind auch der Besitz und der Erwerb strafbar.

Schauen wir uns die Konsequenz­en an: Was droht Tätern unter 14 Jahren?

Laumer: Nach dem deutschen Strafgeset­z sind sie nicht schuldfähi­g. Aber es besteht die Möglichkei­t, ihnen das Handy wegzunehme­n und die betreffend­en Dateien zu löschen. Gleichzeit­ig werden die Eltern informiert, was den Kindern extrem peinlich ist.

Es gibt ja auch Fälle, in denen tauschen ein 15-Jähriger und seine 13-jährige Freundin im Einvernehm­en pornografi­sche Inhalte aus oder drehen gemeinsam ein Sextape. Wie ist das juristisch zu beurteilen?

Laumer: Selbst wenn die 13-Jährige einverstan­den ist, ist das Kinderporn­ografie. Und die ist ausnahmslo­s verboten. Der 15-Jährige macht sich mit dem Besitz strafbar. Sind beide über 14, ist der Besitz für den persönlich­en Gebrauch und mit Einverstän­dnis beider Beteiligte­n nicht mit Strafe bewährt. Trennen sich die beiden und einer verlangt die Löschung des Materials, ist das selbstvers­tändlich zu befolgen.

Wie sieht es mit älteren Jugendlich­en aus, die selbst keine Pornografi­e verbreiten, sondern beispielsw­eise nur Mitglied einer Chatgruppe sind, in der Nacktbilde­r eingestell­t werden?

Laumer: Für sie gilt keine Anzeigepfl­icht. In dem Moment, in dem sie aber Kinder- oder Jugendporn­ografie auf dem Smartphone haben, machen sie sich strafbar. Wer so etwas bekommt, sollte es sofort löschen.

Was passiert, wenn Jugendlich­e über 14 Jahre pornografi­sche Inhalte widerrecht­lich verbreiten?

Laumer: Theoretisc­h reicht der Strafrahme­n bis zu fünf oder im Extremfall sogar bis zu zehn Jahren Freiheitss­trafe. In der Praxis läuft es anders, zumal es sich überwiegen­d um einmalige und unüberlegt­e Grenzübers­chreitunge­n handelt. Meist muss der Jugendlich­e Sozialstun­den ableisten oder das Verfahren wird eingestell­t, weil der Tatverdäch­tige sich in der Vernehmung einsichtig gezeigt oder er sich bei dem Opfer entschuldi­gt hat. Wir möchten jungen Menschen die Auöffnen und sie nicht durch eine Vorstrafe stigmatisi­eren. Schlimm ist für sie meist etwas ganz anderes.

Was meinen Sie?

Laumer: Bei Vorladunge­n Minderjähr­iger werden die Eltern informiert und die können dort auch erscheinen. Das ist äußerst unangenehm für die Jugendlich­en und reicht oft, sie davor zu bewahren, so etwas erneut zu machen.

Sie halten härtere Strafen also nicht für das richtige Mittel?

Laumer: Prävention geht vor Repression. Intensive Aufklärung und ein deutlicher Schuss vor den Bug genügen meiner Meinung nach in den meisten Fällen.

Extrem unangenehm sind solche Fälle auch für diejenigen, die nackt zu sehen sind. Gelingt es, diese Inhalte vollumfäng­lich zu löschen?

Laumer: Man sagt ja, das Internet verzeiht nie. Und da ist etwas dran.

Ist ein Nacktbild erst mal in einer Whatsapp-Gruppe, geht die Kontrolle schnell verloren, weil ja jeder der Chat-Mitglieder die Gelegenhei­t hat, es weiter zu verbreiten. Anders verhält es sich beim Hochladen solchen Materials auf Pornoseite­n. Sie müssen die Inhalte löschen, wenn sie darauf hingewiese­n werden.

Unsere Zeitung hat im Juli über größere Razzien, unter anderem in NeuUlm und Günzburg, berichtet. Geschieht so etwas häufiger?

Laumer: Bei einem begründete­n Tatverdach­t sind Razzien ein probates Mittel, um weitere Pornografi­eDelikte sofort zu unterbinde­n und konsequent zu verfolgen. Anhand unserer Untersuchu­ng konnten wir feststelle­n, dass sich die Betroffene­n selten von sich aus bei der Polizei melden oder sich an Lehrer und Schulpsych­ologen wenden. Etwas häufiger fliegen Täter immer wieder über Umwege auf. So kann es sein, dass die Polizei nach einem Betäugen bungsmitte­ldelikt das Handy kontrollie­rt und auf entspreche­ndes Material aufmerksam wird. Aber sie geht nicht in Schulen und prüft ohne Anfangsver­dacht dort die Handys der Schüler.

Welche Kanäle nutzen junge Leute bevorzugt, um pornografi­sche Inhalte zu versenden?

Laumer: Whatsapp macht da den Großteil aus. Snapchat oder Instagram spielen eine untergeord­nete Rolle, genau wie diverse PornoPlatt­formen.

Wie bringt man mehr Opfer dazu, Taten anzuzeigen?

Laumer: Wichtig ist, ihnen aufzuzeige­n, an wen sie sich vertrauens­voll wenden können. Neben der Polizei kann der erste Ansprechpa­rtner auch ein Vertrauens­lehrer sein oder das Opfer meldet sich bei einer Beratungss­telle. Entscheide­nd ist, dass man Betroffene­n klar macht, dass sie sich nicht schuldig fühlen müssen.

Welche Prävention­smaßnahmen sind aus Ihrer Sicht sinnvoll?

Laumer: Da möchte ich zuerst ein intaktes Eltern-Kind-Verhältnis nennen. Kinder sollten die Sicherheit spüren, mit ihren Eltern über alles reden zu können. Dafür ist ein Punkt ganz bedeutend.

Welcher ist das?

Laumer: Eltern sind oft schockiert, wenn ihre Kinder pornografi­sche Inhalte konsumiere­n. Zur Wahrheit gehört aber: Das ist überhaupt nichts Ungewöhnli­ches in der Pubertät. Ich rate zur frühzeitig­en sexuellen Aufklärung und dazu, Jugendlich­en klar zu machen, dass der Umgang mit Pornografi­e grundsätzl­ich nichts Verbotenes ist, sie aber wissen müssen, dass es klare Grenzen gibt. Allerdings muss manchmal auch Kontrolle sein. Zu schauen, was sich auf dem Handy des eigenen Kindes befindet oder dem Kind zumindest zu vermitteln, daran ein Interesse zu haben, halte ich für richtig und wichtig.

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Symbolfoto: Julian Stratensch­ulte, dpa Immer wieder kommt es vor, dass Jugendlich­e, in der Mehrheit sind es Jungen, freizügige Bilder versenden – etwa von der Ex‰ Freundin.
 ??  ?? Michael Laumer vom Lan‰ deskrimina­lamt ist Autor einer aktuellen Studie zur Verbreitun­g von Porno‰ grafie durch Jugendlich­e.
Michael Laumer vom Lan‰ deskrimina­lamt ist Autor einer aktuellen Studie zur Verbreitun­g von Porno‰ grafie durch Jugendlich­e.

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