100 Jahre Hüttenzauber
Jubiläum Wie sich die Mindelheimer Hütte in den vergangenen 100 Jahren verändert hat und was rote Schnürsenkel damit zu tun haben – Hüttenwirt Jochen Krupinski erinnert sich
Die Mindelheimer Hütte gibt es nun seit einem Jahrhundert – eine perfekte Gelegenheit, um mit dem Hüttenwirt auf vergangene Zeiten zurückzublicken.
Mindelheim/Oberstdorf „Da hat sich der Franz Xaver Abt schon ein schönes Plätzchen ausgesucht“, freut sich Hüttenwirt Jochen Krupinski. Vor mehr als 100 Jahren hat der damalige Alpenvereinsvorsitzende Abt nach ausgiebigen Erkundungstouren das ein Tagwerk große Grundstück auf der Galtalpe Taufersberg ausgewählt und durch persönliche Kontakte zum königlichen Revierinhaber konnte er schließlich den Kaufvertrag unterschreiben. Das war die Geburtsstunde der Mindelheimer Hütte.
Zunächst wurde dort ein eisernes Hüttenkreuz aufgestellt und auf einem Muliweg Baumaterial hochtransportiert und schließlich eine Not- und Bauhütte errichtet. Erst in den 50er Jahren wurde die heutige Hütte gebaut, danach immer wieder renoviert, modernisiert und erweitert, aktuell mit einem neuen Anbau für das Hüttenpersonal und für Technik, Material, Waschküche und die Stromversorgung.
Den 100. Geburtstag konnte Hüttenwirt Jochen Krupinski mit seinen Stellvertretern Lucia Kitzelmann und Rainer Müller dieses Jahr coronabedingt nicht feiern und auch die Übernachtungszahlen gingen von 12.000 Übernachtungen (zweimal infolge in den vergangenen Jahren) auf nur etwa 3000 Übernachtungen zurück.
Arbeit gab es aber trotzdem über die ganze Saison. „Der Betrieb bleibt gleich! Gäste sind von morgens halb 6 Uhr bis abends halb 11 Uhr zu versorgen“, erklärt Krupinski. Er hatte weniger Personal eingestellt, aber die zusätzlichen Aufgaben wie Desinfizieren, Dokumentieren, jedem Gast einen Tisch oder Schlafplatz zuweisen, nur schriftlich angemeldete Gäste aufnehmen und vieles mehr hatten wiederum viel Zeit gekostet.
Viel hat sich verändert in den letzten 100 Jahren. Krupinski ist seit 42 Jahren Hüttenwirt der Mindelheimer Hütte, nachdem er zuvor fünf Jahre eine andere Hütte betreut hat. „Auf Fotos von früher waren die Bergwanderer ganz grau: grauer Trachtenhut, grauer Anorak, mehrfach genähte graue Wanderschuhe und dazu oft ein grantiger Gesichtsausdruck“, erinnert er sich. „Dann kamen die roten Schnürsenkel und die Wanderer wurden immer bunter!“Krupinskis Theorie: „Mit der Farbe der Kleider hat sich alles verändert!“
Positiv findet er, dass heute viel mehr junge Menschen in die Berge kommen, auch viel mehr Frauen, früher wären nur ein Bruchteil der Wanderer Frauen gewesen, und dazu heute auch viele Kinder. Was er beklagt ist, dass der Mensch die Natur und die Berge zu einem Sport- und Unterhaltungsobjekt umfunktioniert hätte. Manch einer würde die Schönheit der Natur gar nicht mehr wahrnehmen, abgelenkt vom Blick aufs Handy und dem Leistungsstress, viele Höhenmeter in wenig Zeit zu bewältigen.
Aber zurück zu den Aufgaben: Nicht nur die Gäste müssten versorgt werden, es gebe auch immer etwas zu reparieren. Geht etwas kaputt, müssen Krupinski und sein Team zeitnah ran, denn Handwerker hochkommen lassen, wäre viel zu teuer – und ein „Reparaturstau“katastrophal bei laufendem Hüttenbetrieb.
Lasten müssen längst nicht mehr hochgeschleppt werden, seit 1966 übernimmt dies ein Lastenaufzug. Heute kann mithilfe eines Stromaggregats eine moderne Küche betrieben werden, die Abwärme wird zum Heizen und zum Wassererwärmen genutzt. Trinkwasser wird zunächst gefiltert, Abwasser in der eigenen Kläranlage gereinigt.
Als leidenschaftlicher Koch bereitete Krupinski früher am Wochenende Suppen, Krautspätzle und Sulzen zu. Kühlschrank gab es noch keinen, so wurde viel mit Essig gekocht, Sauerkraut, Blaukraut, Linsen und dazu Obstler, Enzian und Bier vom Fass. Krupinski kocht heute noch und ist Hüttenwirt mit Leidenschaft.
Er lobt die Disziplin der Gäste während der Corona-Saison: „Damit haben sie uns die Arbeit wirklich erleichtert.“Krupinski glaubt, dass der Mensch lernen muss, mit dem Virus zu leben. Ob der wegen des Jubiläums geplante Sternmarsch in die herrlichen Bergregionen rund um die Hütte im nächsten Jahr stattfinden kann und es noch eine 100-Jahr-Feier geben wird, sei unklar – das entscheidet der Vorstand des Alpenvereins. Der Hüttenbetrieb wird aber auch 2021 weitergehen – und die Mindelheimer Hütte bleibt hoffentlich auch in den nächsten 100 Jahren Rastplatz, Übernachtungsmöglichkeit und Ausgangspunkt für herrliche Wanderungen in die Bergwelt.