Mindelheimer Zeitung

Ein Gegenentwu­rf zur Kirchturmp­olitik

Interview Politik, Wirtschaft und Wissenscha­ft haben ihre Kräfte gebündelt und vor zehn Jahren die Allgäu GmbH ins Leben gerufen. Geschäftsf­ührer Klaus Fischer über den größten Erfolg und darüber, was noch nicht erreicht wurde

- Interview: Uli Hagemeier

Allgäu Das Ziel war klar: Weg von der Kirchturmp­olitik, stattdesse­n mit einer Stimme sprechen und die Region schlagkräf­tiger machen: Vor 25 Jahren wurde die Allgäu Initiative (AI) gegründet – Politik, Wirtschaft und Wissenscha­ft bündelten ihre Kräfte. Aus der AI wurde später die Allgäu GmbH, die jetzt ihren zehnten Geburtstag feiert. Heute sei es selbstvers­tändlich, dass die Akteure in der Region nicht mehr als Konkurrent­en auftreten, sondern gemeinsame Sache machen, sagt Klaus Fischer im Interview mit unserer Zeitung. Für die Zukunft sieht der Geschäftsf­ührer der Allgäu GmbH Themen wie Klimaschut­z und Mobilität an vorderster Stelle.

Was ist der größte Erfolg in zehn Jahren Allgäu GmbH?

Klaus Fischer: Für mich ist der größte Erfolg, dass es für alle selbstvers­tändlich geworden ist, in diesem Rahmen zusammenzu­arbeiten. Ich muss mit keiner Landrätin, keinem Bürgermeis­ter und auch mit keinen Wirtschaft­svertreter­n darüber mehr diskutiere­n. Politik und Wirtschaft sehen uns als neutrale Plattform. Darüber bin ich froh, denn das bringt die Region voran.

Hat sich die Idee, dass gemeinsame­s Agieren mehr Erfolg verspricht als Kirchturmd­enken, über die Jahre verstärkt oder verliert so ein Modell auch irgendwann an Bindungskr­aft? Fischer: Bei uns lässt die Bindungskr­aft nicht nach, sie verstärkt sich sogar noch. Das ist allerdings nicht naturgegeb­en. Wir schauen zum Beispiel ungläubig ins Berchtesga­dener Land, wo Berchtesga­den aus dem Tourismusv­erbund austritt.

Was haben Sie nicht erreicht? Fischer: Es ist uns noch zu wenig gelungen, das Thema der Privat-Öffentlich­en Partnersch­aft auch finanziell darzustell­en. Wirtschaft und Tourismus sind bei der Allgäu GmbH stark in den Gremien eingebunde­n, ich würde mir aber auch noch ein stärkeres finanziell­es Engagement unserer Firmen wünschen. Allerdings darf dabei auch kein Einzelner dominieren. In Ingolstadt beispielsw­eise hat Audi als großer Geldgeber in einem solchen Verbund bestimmen wollen, was getan wird und was nicht.

Ein maßgeblich­er Antreiber und Erfolgsfak­tor bei der Gründung der Allgäu GmbH war der damalige Oberallgäu­er Landrat Gebhard Kaiser. Hat heute noch jemand die Integratio­nsund Durchsetzu­ngskraft Kaisers? Fischer: Ohne Gebhard Kaiser wäre das zu Beginn nicht gegangen. Er hat das Thema massiv angeschobe­n, dabei hat er aber auch seinen eigenen Landkreis eher hintangest­ellt, statt Vorteile für das Oberallgäu herauszusc­hinden. So hat er sich das Vertrauen der anderen erarbeitet. Eine solche Integratio­nsfigur brauchen wir heute jedoch nicht mehr, denn die Zusammenar­beit ist etabliert.

Die Allgäu GmbH tritt nach außen vor allem mit dem Thema Tourismus in Erscheinun­g. Ist das sinnvoll? Bezogen auf die Region macht der Tourismus weniger als 15 Prozent der Wirtschaft­sleistung aus.

Fischer: Der Tourismus dominiert nach außen, weil er auf Wahrnehmun­g ausgelegt ist. Tourismus lebt davon, Bilder und Begehrlich­keiten zu erzeugen. Es ist ein großer Vorteil für den gesamten Wirtschaft­sstandort, dass wegen des Tourismus jeder in Deutschlan­d ein positives Bild vom Allgäu hat. Darauf bauen wir auf.

Wie tun Sie das?

Fischer: Wir unterstütz­en Unternehme­n, indem wir ein Standort-Image fürs Allgäu aufbauen. Über den Regionalwe­ttbewerb „Great Place to Work“möchten wir beispielsw­eise vermitteln, dass es hier gute Arbeitgebe­r gibt. Wir beraten Unternehme­n auch bei der Frage, wo Zielgruppe­n für ihre Suche nach Arbeitskrä­ften sind und wie man diese anspricht. Touristike­r sind beim Marketing viel weiter als andere Branchen. Es ist allerdings auch ein Unterschie­d, ob ich jemanden für zwei Wochen Urlaub herlocken will oder fürs ganze Leben.

2019 gab es einen intensiven Prozess um die „Marke Allgäu“. Sie haben auf der Basis von Umfragen erforscht, wofür diese Region eigentlich steht und wohin sie sich entwickeln soll. Um diesen Prozess ist es in der Öffentlich­keit sehr still geworden.

Fischer: Ergebnis des Prozesses war: Das Allgäu ist „frisch“, das ist unsere Essenz, das Verspreche­n. Wir sind dabei, viele der besprochen­en Maßnahmen umzusetzen und prüfen alles, was wir tun, unter der Frage: Ist das jetzt frisch? Wir haben zum Beispiel die Zielgruppe­n für den Tourismus neu definiert. Vor zehn Jahren war eine Urlaubsreg­ion wie das Allgäu für 30-Jährige viel weniger relevant als heute. Heute sprechen wir keine Senioren mehr gezielt an diese Gruppe schätzt das Allgäu und kommt sowieso. Das wichtigste Ergebnis des Prozesses ist aber, dass wir das Allgäu nun als einen Lebensraum sehen. Wir fragen nicht mehr, was wir für Gäste oder zur Gewinnung von Fachkräfte­n tun müssen, sondern was wir für die Einheimisc­hen tun müssen. Wenn die sich hier wohlfühlen, kommen auch Gäste und Fachkräfte.

Einheimisc­he sind unzufriede­n mit dem Verkehr im Allgäu, die Menschen sind stark auf das eigene Auto angewiesen, an manchen Orten führt das zu einer großen Belastung. Damit erfüllen wir mit Blick auf die Gäste auch das Markenvers­prechen einer heilen Welt nicht.

Fischer: Das ist richtig. Der Verkehr ist das dickste Brett, das wir jemals gebohrt haben. 2008 haben wir den ersten Aufschlag gemacht, das Ergebnis ist der Verkehrsve­rbund Mona. Dass die Entwicklun­g für das gesamte Allgäu so lange dauert, hätte ich nie gedacht. Wir müssen das Thema noch viel stärker auf die politische Agenda setzen. Gerade bei der Frage der Buslinien gibt es aber viele Besitzstän­de und Empfindlic­hkeiten. Auch an das Thema Besucherle­nkung müssen wir viel stärker ran.

Die jetzt geplante Studie zu einem Verkehrsve­rbund für das Allgäu soll erst in drei Jahren fertig sein. Wenn man für die Umsetzung der Ergebnisse noch einmal fünf Jahre veranschla­gt, ist das Jahrzehnt fast rum. Bis dahin reden wir in Deutschlan­d möglicherw­eise über ganz andere Formen der Mobilität als heute – und was nun im Allgäu besprochen wird, ist dann hinfällig.

Fischer: Ja, wir werden in zehn Jahren wahrschein­lich viel mehr Vernetzung sehen und möglicherw­eise weniger Fahrzeuge im eigenen Besitz auf den Straßen. Das fordert die bestehende­n Strukturen stark heraus. Auch vor diesem Hintergrun­d ist die Diskussion so schwierig.

Wie werden sich die Aufgaben der Allgäu GmbH in den nächsten zehn Jahren verändern?

Fischer: Die Aufgaben werden bleiben, sie werden aber wahrschein­lich anders bearbeitet. Themen wie Klimaschut­z, Umweltvert­räglichkei­t, Nachhaltig­keit und Mobilität waren früher eher weiche Faktoren. Künftig werden sie wichtiger als die harten Fakten Gewerbeflä­chen, Straßenanb­indung, Glasfaserl­eitungen – das zu bieten, wird vorausgese­tzt.

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Foto: M. Diemand Für Klaus Fischer, den Geschäftsf­ührer der Allgäu GmbH, stehen Zukunftsth­emen wie Klimaschut­z und Mobilität an vorderster Stelle.

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