Warum digitale Wahlen ein Problem sind
Hintergrund Die CDU liebäugelt mit einem Online-Parteitag, um in Corona-Zeiten ihren neuen Vorsitzenden zu küren. Doch die Abstimmung im Netz birgt weniger technische als rechtliche Schwierigkeiten. Wie die Parteien Druck machen
Berlin Die erste rein digitale Vorstandswahl in der Geschichte der CDU verlief völlig reibungslos. Dank Online-Abstimmung waren der Vorstandsvorsitzende, Stellvertreter, Schriftführer, Beisitzer und der Vertreter für den Landesparteitag in kürzester Zeit bestimmt, obwohl die Wahlberechtigten bis nach Shanghai auf der Welt verstreut waren. Allerdings war die Herausforderung überschaubar: Als das „Virtuelle Netzwerk“der CDU Hessen zur Abstimmung schritt, waren ganze vier Mitglieder wahlberechtigt. Dennoch war die Wahl 2016 für den Berliner Online-Abstimmungsanbieter Polyas ein wichtiger Meilenstein: Ein Jahr später sorgte das Unternehmen dafür, dass tausende Mitglieder der FDP und der Grünen in Schleswig-Holstein online ihre Zustimmung zur Jamaika-Koalition mit der CDU geben konnten, kombiniert mit einer „analogen“Briefwahl per Post. Wäre das auch ein Modell für den CDU-Parteitag?
„Technisch und organisatorisch trauen wir uns das auf jeden Fall zu, das ist schließlich unser Kerngeschäft“, sagt Polyas-Kommunikationschefin Anna-Maria Palzkill. Das digitale Wahlverfahren erfülle theoretisch alle Voraussetzungen einer freien, geheimen Wahl mit transparenten Kontrollmöglichkeiten wie wiederholtes Nachzählen und der Nachverfolgbarkeit, dass die Stimkorrekt eingegangen ist. Im Prinzip funktioniert das System wie eine Mischung aus Online-Banking und Internet-Shopping: Jeder Wähler bekommt beispielsweise einen Identifikations-Code, ein Passwort und eine TAN-Nummer. Dann wird die Stimme wie in einen Online-Einkaufswagen in die virtuelle Wahlurne abgegeben und wenn gewünscht, kann der Wähler eine Trackingnummer bekommen – zur Kontrolle, ob seine Stimme angekommen ist und gezählt wurde.
Eine Art „Mini-Blockchain“wie bei der Online-Währung Bitcoin soll dabei die Fälschungssicherheit garantieren. „Wenn es Hacker-Angriffe
von außen geben sollte, bekommen wir das in jedem Fall mit“, sagt Polyas-Mitarbeiterin Palzkill. Im Ernstfall könne die Wahl wiederholt werden.
In der Praxis gibt es allerdings ein ganz anderes, großes Problem: die Rechtsgültigkeit. Bei Parteien reicht es nicht, nur die Satzung zu ändern: „Nach gegenwärtiger Lage des einfachen Rechts ist es unzulässig, elektronische Abstimmungen bei parteiinternen Wahlen durchzuführen“, erklären die Experten des Wissenschaftlichen Dienstes des Bundestags in einem Kurzgutachten, das Bundestagspräsident WolfSchäuble (CDU) in Auftrag gegeben hat. Dafür müsste auf jeden Fall das Parteiengesetz, möglicherweise aber auch das Grundgesetz geändert werden, erklären die Rechtsexperten. Zuletzt wurde diskutiert, ins Grundgesetz den Satz aufzunehmen: „Für parteiinterne Wahlen können Abweichungen von den Wahlrechtsgrundsätzen zugelassen werden.“Doch diese Notlösung findet derzeit in Berlin kaum Anhänger.
Mehrere Partei-Generalsekretäre fordern nun CSU-Innenminister Horst Seehofer auf, die Rechtmäßigkeit von digitalen Wahlen auf Online-Parteitagen zu prüfen. „Das Innenministerium muss die bestehenden verfassungsrechtlichen Bedenken aus dem Weg räumen und endlich klären, unter welchen Bedingungen parteiinterne Wahlen digital möglich sind“, fordert SPDGeneralsekretär Lars Klingbeil. „Vielleicht führt der Druck in der CDU ja dazu, dass sich etwas bewegt“, sagt er mit Blick auf den für Januar geplanten CDU-Parteitag. Klingbeil verweist darauf, dass die SPD bereits – ohne Wahlen – in Niedersachsen und Rheinland-Pfalz digitale Parteitage erprobt habe.
Auch die FDP dringt auf eine rasche Prüfung der rechtlichen Voraussetzungen für Online-Wahlen: „Wir Freien Demokraten wollen digitale Abstimmungen auf Parteitagen möglich machen und sind bereit, an einer entsprechenden Ändeme rung des Parteiengesetzes konstruktiv mitzuwirken“, sagt FDP-Generalsekretär Volker Wissing unserer Redaktion. „Ziel muss sein, dass echte virtuelle Parteitage möglich sind, dafür müssen sie im Parteiengesetz verankert werden“, betont er. „Sollte sich bei der rechtlichen Prüfung über digitale Wahlen allerdings ergeben, dass eine Änderung des Grundgesetzes notwendig ist, sollte die Debatte darüber mit der notwendigen Sorgfalt erfolgen“, sagt Wissing. „Hauruck-Verfahren, nur um den nächsten CDU-Parteitag zu retten, darf es nicht geben.“
CSU-Generalsekretär Markus Blume begrüßt die Debatte um digitale Abstimmungen. „Wir sind sehr offen dafür, Online-Wahlen rechtssicher zu ermöglichen und die nötigen Voraussetzungen dafür zu schaffen“, betont der CSU-Politiker. „Ob es technisch möglich ist, die Grundsätze der geheimen Wahl und der Nachvollziehbarkeit der Stimmabgabe zuverlässig zu erfüllen, muss sich zeigen.“
Auch die Grünen fordern eine rasche Klärung der offenen Fragen: „Die Corona-Pandemie führt uns allen vor Augen, dass wir in dieser Lage unbedingt mehr Rechtssicherheit für die Parteien brauchen“, sagt die Parlamentarische Geschäftsführerin der Bundestagsfraktion, Britta Haßelmann. Die Grünen sprechen sich für parallele Schlussabstimmungen per Briefwahl aus, um digitale Abstimmungen rechtlich abzugang sichern: „Wichtig ist, dass elektronisch erfolgte Wahlen über eine Briefwahl bestätigt werden“, sagt Haßelmann.
Die Linke-Fraktion lehnt eine Verfassungsänderung dagegen ab:
Verfassungsänderung gilt nur als Notlösung
„Auch unser Parteitag ist abgesagt worden, wir kämen aber nicht auf die Idee, von der Republik spontane Gesetzänderungen zu fordern, nur weil es besser in unsere Agenda passt“, sagt der Parlamentarische Geschäftsführer der Linken-Fraktion, Jan Korte. „Digitalen Wahlen stehe ich extrem skeptisch gegenüber, es sind schon etliche als sicher geltende Systeme gehackt worden.“