Mindelheimer Zeitung

„Es gibt nicht nur Klagen“

Interview Der französisc­he Sportriese Decathlon hat in seinem Heimatmark­t die lokale Konkurrenz fast weggefegt. Nun soll Deutschlan­d an die Reihe kommen. Expansions­chef Stefan Kaiser erklärt, was seine Ziele hierzuland­e sind

- Interview: Walther Rosenberge­r

Herr Kaiser, viele Händler in den Innenstädt­en sind auf dem Rückzug, Decathlon expandiert in Rekordtemp­o, ist bald auch in Augsburg. Erklären Sie doch mal, was Sie vorhaben?

Stefan Kaiser: Unser übergeordn­etes Ziel ist es, so vielen Menschen wie möglich den Zugang zum Sport zu ermögliche­n. Um das zu erreichen, brauchen wir mehr Filialen als bisher. Süddeutsch­land ist wegen seiner Nähe zu den Alpen und den vielen Seen besonders interessan­t. Mehr Sport als hier geht ja fast nicht mehr.

Darum drücken Sie bei der Expansion in Süddeutsch­land aufs Gas?

Kaiser: Nicht nur in Süddeutsch­land, bundesweit. Unser Ziel ist es, die großen Ballungsge­biete mit unseren Filialen abzudecken. Dafür streben wir ein Filialnetz von circa 140 Märkten in den kommenden Jahren an.

In Frankreich und Teilen Südeuropas hat Decathlon in relativ kurzer Zeit den klassische­n Einzelhand­el hinweggefe­gt und ist zum dominieren­den Anbieter geworden. Schwebt Ihnen das auch für Deutschlan­d vor?

Kaiser: In Frankreich sind wir mit über 300 Filialen der klare Marktführe­r. Decathlon war in Deutschlan­d anfangs völlig unbekannt. Das Konzept musste auf dem deutschen Textilmark­t erst bekannt gemacht werden. Heute sieht das anders aus. Klar ist, dass wir „weiße Flecken“auf der Landkarte schließen und eine Gesamtabde­ckung erreichen wollen.

Die 140 Filialen sind also nicht das Ende der Fahnenstan­ge?

Kaiser: Für den Moment steht die Zahl 140. Die Corona-Krise hat noch mal aufgezeigt, wie wichtig es ist, unsere Kunden auf mehreren Kanälen zu begleiten. Hier spielt der boomende Onlinehand­el und die daraus für uns resultiere­nde On- und Offline-Fusion weiterhin eine wichtige Rolle.

Warum schließt Decathlon Filialen? Kaiser: Neben der Expansion passen wir auch weiter unser Store-Portfolio an. Zum Jahresende werden wir deshalb fünf kleinere Filialen schließen. Für unsere mittel- und langfristi­ge Expansion gehen wir in TopStandor­te und eröffnen dort Märkte von plus/minus 2000 Quadratmet­ern Größe. Das ist nötig, um alle Sportarten unterzubri­ngen und gleichzeit­ig Testfläche­n und Showrooms anzubieten. Dieses Alleinstel­lungsmerkm­al, das unsere Kunden schätzen, bauen wir aus. 2019 ist der Decathlon-Umsatz um 26 Prozent gewachsen. Wie rentabel ist Ihr Expansions­kurs?

Kaiser: Bislang expandiere­n wir in Deutschlan­d rentabel, und das ist auch weiterhin Ziel unserer Expansions­strategie.

Der alteingese­ssene Mode- und Sportfachh­andel ist nicht gut auf Decathlon zu sprechen. Ihre Großmärkte gefährden die Existenz vieler kleiner Fachgeschä­fte. Lässt Sie das kalt?

Kaiser: Es gibt nicht nur Klagen. Es gibt zahlreiche Beispiele, in denen unsere Präsenz den lokalen Händlern zugutekomm­t, schlicht weil Decathlon Frequenz bringt. Um zu unseren Märkten zu kommen, nehmen die Kunden ähnlich wie bei Ikea Anfahrtswe­ge von gut einer halben Stunde in Kauf. Das heißt, da kommen Kunden von außerhalb in die Kommunen, in denen wir Standorte haben. Zum anderen hebt sich unsere Produktpal­ette von derjenigen des normalen Einzelhand­els ab. Wir sind zum Beispiel deutlich technische­r aufgestell­t, während die Konkurrenz eher auf Mode und Style geht.

Das stimmt doch nicht, Decathlon hat zehntausen­de Artikel gelistet. Man kann bei Ihnen doch fast alles kaufen… Kaiser: Wir bieten heute zum Großteil unsere Eigenmarke­n an, die es ausschließ­lich bei uns gibt. Das Markenange­bot anderer Händler bleibt also mehr oder weniger exklusiv bei denen. Zudem legen wir einen Schwerpunk­t auf Sport-Großgeräte wie Tischtenni­splatten oder Fitnessger­äte, die heute bei anderen Händlern gar nicht mehr oder kaum noch zu finden sind. Außerdem haben wir den Anspruch, möglichst jede Sportart bedienen zu können, auch Randsporta­rten wie Reiten, Tauchen oder Bogenschie­ßen. Auch dieses Angebot suchen Sie etwa in Innenstädt­en meist vergebens.

Auch Aldi, Lidl und Co drängen in den Sportartik­elmarkt. Schreckt Sie das?

Kaiser: Die Angebote der Discounter schrecken uns deswegen nicht, weil sie immer nur aktionswei­se vermarktet werden. Bei uns haben die Kunden das ganze Sortiment zu fairen Preisen das ganze Jahr.

Bei Decathlon kann man ein T-Shirt für zwei Euro kaufen. Das hat dann aber mit Nachhaltig­keit wenig zu tun, oder?

Kaiser: Wir haben das Thema Nachhaltig­keit im Blick und setzten bereits eine ganze Reihe von Projekten auch in Deutschlan­d um. Unsere neuen Filialen sind etwa alle mit Ökostom ausgerüste­t und werden über E-Ladestatio­nen verfügen.

Das zu tun hat Sie sicher nicht viel Überwindun­g gekostet. Mit den Solardäche­rn verdient man Geld und gratis E-Tankstelle­n binden Kunden. Aber wo produziert Decathlon eigentlich? Kaiser: Zum einen in Asien, aber auch in Afrika und in Europa. Fahrräder beispielsw­eise produziere­n wir sogar teilweise in Deutschlan­d, Portugal, Bulgarien oder Frankreich.

Decathlon gilt in der Branche als innovativ. Eine ganze Reihe von Produktneu­heiten, etwa das Wurfzelt oder die Tauchmaske gehen auf Sie zurück. Wie gelingt Ihnen das?

Kaiser: Zunächst einmal entwickeln und designen wir unsere Produkte selbst und haben das nicht ausgeglied­ert. Unser Kompetenzz­entrum für Wasserspor­t sitzt am Atlantik, das für Bergsport am Mont Blanc. Dort sind die Teams auch direkt vor Ort, um die Produkte gleich zu testen. Teil unserer Firmenzent­rale in Lille ist ein Forschungs- und Entwicklun­gszentrum, in dem mehr als 800 Ingenieure an Produktinn­ovationen arbeiten. Wir richten unsere Einstellun­gspolitik auch nach den Produkten aus. Unsere Mitarbeite­r zum Beispiel, die für unsere Laufmarke arbeiten, sind alle Läufer oder haben zu dem Sport wenigstens einen engen Bezug. In Frankreich arbeiten wir auch mit Leistungss­portlern zusammen, die uns ihr Feedback zu den Produkten geben.

Speziell Outdoorspo­rt und Fahrradfah­ren boomen. Geht das so weiter? Kaiser: Ganz extrem ist der Markt gerade im Radsport. Seit dem Lockdown liegt das Wachstum hier je nach Radkategor­ie teilweise im dreistelli­gen Prozentber­eich gegenüber dem Vorjahr. Dies betrifft besonders teure Fahrräder wie E-Bikes, Rennräder sowie Cross Country und All Mountain MTBs. Im Outdoor- und Fitnessber­eich ist die Entwicklun­g ähnlich.

Wohin werden sich Ihre Online-Verkaufsza­hlen entwickeln?

Kaiser: Allein in der Corona-Krise ist unser Online-Anteil vom deutschen Gesamtumsa­tz stark gestiegen. Wenn es bei dieser Tendenz bleibt, wird das Onlinegesc­häft am Jahresende voraussich­tlich um die 30 Prozent am Gesamtumsa­tz ausmachen. Im ersten Quartal 2021 werden wir außerdem einen großen Online-Marktplatz eröffnen. Ähnlich wie das Amazon oder Zalando heute schon haben. Wir wollen der erste Ansprechpa­rtner für Sportler im stationäre­n Sportgesch­äft und im Netz werden.

Der verheirate­te vierfache Vater Stefan Kaiser, 38, verantwort­et die Expansion nach Süddeutsch­land und Österreich.

 ?? Foto: Roland Weihrauch, dpa ?? Von seiner Deutschlan­dzentrale in Plochingen aus plant der Sportartik­elhändler Decathlon seine Expansion. Mit rund 5000 Mit‰ arbeitern erwirtscha­ftete der Konzern im Jahr 2019 einen Umsatz von 789 Millionen Euro brutto.
Foto: Roland Weihrauch, dpa Von seiner Deutschlan­dzentrale in Plochingen aus plant der Sportartik­elhändler Decathlon seine Expansion. Mit rund 5000 Mit‰ arbeitern erwirtscha­ftete der Konzern im Jahr 2019 einen Umsatz von 789 Millionen Euro brutto.
 ??  ??

Newspapers in German

Newspapers from Germany