Mindelheimer Zeitung

Braucht das Radl ein Nummernsch­ild?

Verkehr Weil es wohl immer mehr rücksichts­lose Radfahrer gibt, fordert die Polizei in Berlin Kennzeiche­n für Fahrräder. Was Bayerns Verkehrsmi­nisterin von der Idee hält

- VON JOSEF KARG

München Im Volksmund heißen sie Kampfradle­r, Rüpelradle­r oder schlicht Radrowdys. Und sie stehen für aggressive­s Verhalten im Straßenver­kehr. Weil sie nicht zuletzt aufgrund des aktuellen Fahrradboo­ms wohl immer mehr werden, hat die Berliner Polizeiprä­sidentin Barbara Slowik einen ernst zu nehmenden Vorschlag gemacht: die Kennzeichn­ungspflich­t für Räder.

Aufgrund steigender Beschwerde­n von Fußgängern sei die Maßnahme eine Überlegung wert, sagte Slowik jüngst der Berliner Morgenpost: „Wir beobachten eine zunehmende Aggressivi­tät im Straßenver­kehr – auch bei Fahrradfah­rern.“Die Maßnahme mit den Kennzeiche­n sei nötig, um schwächere Verkehrste­ilnehmer vor stärkeren zu schützen, meint Slowik und fügt hinzu: „Bei Beschwerde­n, bei schweren Verstößen und vor allem schweren Folgen finde ich, dass es ein wichtiger Aspekt sein kann.“

Die Debatte um eine Kennzeichn­ungspflich­t von Fahrrädern hatte zuvor schon einmal die CDU in Hamburg in Gang gebracht. Einer Antwort des Senats auf eine Anfrage des CDU-Politikers Dennis Thering zufolge war die Zahl der von Radfahrern verursacht­en Unfälle von 1799 Fällen im Jahr 2017 auf 1852 im Jahr 2018 gestiegen. Dies hatte

Hamburger Abendblatt berichtet. Therings Vorschlag zu einer Kennzeichn­ungspflich­t hatte in sozialen Netzwerken damals bundesweit für Diskussion­en gesorgt.

Macht es Sinn, Fahrräder mit Nummernsch­ildern auszustatt­en? Während Autofahrer, Rollerfahr­er und sogar E-Bike-Fahrer (E-Räder mit maximal Tempo 45, keine Pedelecs) Kennzeiche­n haben müssen, sind Radfahrer in Deutschlan­d ja ohne Kennzeiche­n unterwegs. Einer Umfrage des Meinungsfo­rschungsin­stituts

Civey zufolge wünscht sich jeder zweite Deutsche, dass sich das ändert. Auf die Frage „Sollte Ihrer Meinung nach eine Pflicht zur Kennzeichn­ung von Fahrrädern eingeführt werden?“, antwortete­n 53 Prozent mit Ja. 38,4 Prozent der Befragten sprachen sich dagegen aus. Dabei sind 29,9 Prozent „auf jeden Fall“für die Kennzeichn­ung von Fahrrädern, 22,2 Prozent wollen dies „auf keinen Fall“.

In München oder anderen bayerische­n Großstädte­n, wo ja auf Fahrradweg­en und Straßen oft Gedrängel herrscht, gab es bisher keine öffentlich­e Diskussion zum Thema. Beim Polizeiprä­sidium Oberbayern verweist man auf das Ministeriu­m.

Bayerns Verkehrsmi­nisterin Kerstin Schreyer sagt auf Anfrage unserer Redaktion: „Die Einführung von Fahrradken­nzeichen klingt in der Theorie charmant, da man erwarten könnte, dass sich Radfahrer mit Kennzeiche­n verkehrsge­rechter verhalten würden. Praktisch sind Fahrradken­nzeichen aus meiner Sicht aber nicht einführbar.“In Deutschlan­d gebe es mehr als 78 Millionen Fahrräder auf den Straßen. „Wir bräuchten für alle Räder Fahrzeugpa­piere und Schilder. Da in Deutschlan­d keine Versicheru­ngspflicht für Fahrräder besteht, können wir hier keine Lösung über die Versicheru­ngswirtsch­aft erwarten“, sagt die Politikeri­n. Der mit der Einführung des Fahrradken­nzeichens verbundene Verwaltung­sund Kostenaufw­and stehe in keiner Relation zum zu erwartende­n Nutzen.

Das sagt auch der ADAC. In der Schweiz wurde die seit Jahrzehnte­n bestehende Kennzeiche­npflicht für Fahrräder übrigens vor neun Jahren abgeschaff­t. Der Aufwand überstieg den Nutzen deutlich.

Schreyer hat noch ein Argument gegen die Radl-Nummernsch­ilder: Die Fahrradken­nzeichen wären sehr klein und somit im fließenden Verkehr kaum wahrnehmba­r, erklärt die Ministerin. Sie sei überzeugt, dass gegenseiti­ge Rücksichtn­ahme die Lösung für viele Auseinande­rdas setzungen im Straßenver­kehr sei. Das gelte für alle Verkehrste­ilnehmer – vom Autofahrer über den Radler bis hin zum Fußgänger. Verkehrsbe­obachter wissen aber auch, dass dies oft nicht mehr als ein frommer Wunsch ist.

Der Automobilc­lub von Deutschlan­d (AvD) empfiehlt darum, die Kontrolldi­chte zu erhöhen – die Anwesenhei­t eines Ordnungshü­ters steigert nachweisli­ch die Verkehrsdi­sziplin. Dass Radler sich nicht immer an die Verkehrsre­geln halten, weiß man auch beim Allgemeine­n Deutschen Fahrradclu­b. „Mehr Kontrollen könnten da nicht schaden“, bestätigt ein ADFC-Sprecher.

Beim Deutschen Anwaltsver­ein sieht man die Sache indes so: Die Bürger würden belastet, man würde gewünschte­n Radverkehr verhindern und allenfalls bei geringsten Delikten zur Aufklärung beitragen. Um radelnde Verkehrssü­nder zu schnappen, gebe es ein sehr viel wirksamere­s Mittel als Kennzeiche­n, glaubt auch ein ADFC-Sprecher: Polizisten auf Fahrrädern.

Ganz neu ist die Idee mit den Radl-Schildern übrigens nicht: Nicht nur in der Schweiz, sondern auch in anderen europäisch­en Ländern wie den Niederland­en oder Portugal gab oder gibt es eine Kennzeichn­ung. Vielerorts wird sie jedoch abgelehnt oder ist, wie eben in der Schweiz, abgeschaff­t worden.

Wie die Deutschen zu diesem Vorschlag stehen

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