Und nun, Amerika?
Wahlen Donald Trump hat sich bereits zum Sieger erklärt. Dabei sind noch nicht einmal alle Stimmen ausgezählt – und Joe Biden liegt vorne. Am Ende könnte es, wie einst bei George W. Bush, auf das höchste Gericht ankommen
Washington/Berlin Sicher ist nach den Präsidentschaftswahlen in den Vereinigten Staaten bisher nur eines: dass noch nichts sicher ist. Holt Donald Trump den Rückstand auf seinen demokratischen Herausforderer Joe Biden noch auf? Schafft Biden es mit einem schnellen Schlussspurt in zwei, drei Bundesstaaten ins Ziel – oder entscheidet am Ende womöglich das höchste amerikanische Gericht, der Supreme Court, über die nächste Präsidentschaft? Der Kampf um das Weiße Haus: Er wurde selten so erbittert geführt wie in diesem Jahr, vor der Wahl, während der Wahl und nach der Wahl.
Obwohl sein Rivale Biden bereits vor ihm lag und noch aus einer Reihe von Bundesstaaten die Ergebnisse ausstanden, hatte sich Trump bereits in der Nacht zum Mittwoch zum Sieger erklärt und gleichzeitig angekündigt, eine weitere Auszählung von Stimmen vom Obersten Gericht stoppen lassen zu wollen. Trump sprach angesichts von Verzögerungen bei der Feststellung des Ergebnisses und der vielen noch ausstehenden Briefwahlstimmen von „massivem Betrug“an der amerikanischen Öffentlichkeit. Wörtlich sagte er: „Offen gesagt haben wir diese Wahl gewonnen. Wir wollen nicht, dass sie um vier Uhr morgens irgendwelche Stimmzettel finden und sie auf die Liste setzen.“Die Demokraten um Biden warfen ihm daraufhin vor, die Auszählung rechtmäßig abgegebener Stimmen stoppen zu wollen. Das sei „empörend, beispiellos und falsch“.
Bis zum späten Mittwochabend deutscher Zeit war das Rennen zwischen Trump und Biden noch offen – allerdings mit Vorteilen für den Herausforderer, der sich bereits eine Bestmarke gesichert hat: Nie zuvor haben so viele US-Bürger einem Kandidaten ihre Stimmen gegeben. „Jetzt, nach einer langen Nacht des Zählens ist es klar, dass wir genug Staaten gewinnen, um 270 Wahlstimmen zu erreichen, die erforderlich sind, um die Präsidentschaft zu gewinnen“, sagte Biden. Er wolle und werde sich nicht zum Sieger der Wahl erklären. Er sei aber optimistisch, was das Ergebnis betrifft. Nach Berechnungen des Fernsehsenders CNN lag Biden mit 253 Wahlmännern da vor dem Amtsinhaber mit 213 Wahlmännern, obwohl alle Umfragen einen deutlich größeren Vorsprung für ihn hatten erwarten lassen. Um zum amerikanischen Präsidenten gewählt zu werden, braucht ein Kandidat mindestens 270 dieser Wahlmänner.
Pennsylvania könnte dabei mit seinen 20 Wahlmännern noch das berühmte Zünglein an der Waage werden. Trump führte dort am
Mittwoch zunächst deutlich. In den wichtigen Staaten Michigan und Wisconsin schmolz sein Vorsprung dagegen unaufhörlich zusammen, beide Staaten gewann Biden für sich. Trumps Wahlkampfteam hatte nach eigenen Angaben bereits Klage bei einem Gericht in Michigan eingereicht und einen Stopp der Auszählung verlangt. Für Wisconsin kündigten die Republikaner an, eine Nachzählung zu beantragen.
Sollte der Präsident tatsächlich vor den Supreme Court ziehen, um das Wahlergebnis anzufechten, wollen die Demokraten mit eigenen juristischen Mitteln dagegen vorgehen. Im Internet sammelt Bidens Wahlkampfteam bereits Geld für den erwarteten Rechtsstreit. Der auf einer Internet-Plattform eingerichtete „Biden Fight Fund“solle das Wahlergebnis schützen, twitterte Biden am Mittwoch. Nicht USPräsident Donald Trump dürfe über den Ausgang der Wahl entscheiden, sondern das amerikanische Volk.
Wie genau Trump eine laufende Auszählung vor Gericht stoppen möchte, ließ er offen. Einfacher wäre es für ihn, Ergebnisse in einzelnen Bundesstaaten juristisch anzufechten, etwa wegen geänderter Fristen bei der Briefwahl – das allerdings ginge erst nach der Wahl und nicht während der noch laufenden Auszählung, die noch mehrere Tage dauern könnte. Geht es Trump also nur darum, das Vertrauen in die Rechtmäßigkeit der Wahl weiter zu untergraben, falls das Ergebnis doch noch zu seinen Ungunsten ausfällt?
Bereits vor der Wahl hatte er wiederholt gefordert, dass ein Ergebnis noch in der Nacht feststehen müsse. Die Auszählung von Stimmen auch nach dem Wahltag ist in vielen Bundesstaaten allerdings gängige Praxis. Pennsylvania zum Beispiel beginnt erst am Wahlabend damit, die Briefstimmen zu öffnen und zu sortieren, und akzeptiert Briefwahlstimmen mit einem fristgerechten Poststempel noch drei Tage nach der Wahl. In anderen Staaten dagegen werden nur die Stimmen gezählt, die bis zum Wahltag eingegangen sind.
Wegen der Corona-Pandemie haben mehrere Bundesstaaten ihre Abläufe und Fristen für die Briefwahl noch geändert. Solche Änderungen, vermuten seine Gegner, könnte Trump nun als Vorwand nutzen, um das Ergebnis anzugreifen. Im Kurznachrichtendienst Twitter hatte der Präsident sich bereits am Wahltag beklagt, die Demokraten versuchten, das Ergebnis der Wahl zu stehlen.
„Ein Auszählungsstopp wäre ein Angriff auf die Demokratie“, warnt der Kölner Amerika-Experte Thomas Jäger im Interview mit unserer Redaktion. „Trump hat das demokratische System schon vor der Wahl beschädigt, indem er gesagt hat, wenn er verliere, sei es Betrug,
Amerika könne sich nicht auf seine Institutionen verlassen und das Briefwahlsystem funktioniere nicht.“Ähnlich hart wie Jäger urteilt auch das politische Berlin: Von einem „Staatsstreich“sprachen in ersten Reaktionen der SPD-Veteran Ralf Stegner und der Grünen-Abgeordnete Sven-Christian Kindler. Linken-Chefin Katja Kipping erklärte: „Nun ist es offenkundig: Gespaltene Staaten von Amerika.“Die CDU-Vorsitzende Annegret Kramp-Karrenbauer nannte die unklare Situation „sehr explosiv“und sprach von einer „Schlacht um die Legitimität des Ergebnisses“. Angesichts des Auftretens von Trump warnte sie vor einer Verfassungskrise in den Vereinigten Staaten.
Sollte am Ende tatsächlich der Oberste Gerichtshof über den künftigen Präsidenten entscheiden, wäre das nicht das erste Mal. In einem ähnlich knappen Rennen hatte der Supreme Court die Wahl im Jahr 2000 schon zugunsten des Republikaners George W. Bush entschieden. Dessen Herausforderer Al Gore hatte damals in Florida nur wenige hundert Stimmen zurückgelegen und eine erneute Auszählung der Stimmen verlangt.
Direkt vor den Obersten Gerichtshof kann Trump nach Einschätzung der Augsburger Amerikanistik-Professorin Katja Sarkowsky ohnehin nicht ziehen. „Das ist völliger Quatsch“, sagt sie im Gespräch mit unserer Redaktion. Um den Fall höchstrichterlich klären zu lassen, müsse der Präsident erst ein Gericht in einem der Bundesstaaten anrufen – beispielsweise in Michigan, wo das Ergebnis besonders knapp ausfallen dürfte. Erst wenn der Rechtsweg dort ausgeschöpft ist, können Streitfälle vor dem Supreme Court landen, an dem Trump einen Heimvorteil hat: Sechs der neun Richter dort gelten als konservativ, drei davon hat der Präsident selbst nominiert. Die erst Ende Oktober ernannte konservative Richterin Amy Coney Barrett hatte sich zuletzt allerdings bei mehreren Entscheidungen zur Wahl enthalten.
Pennsylvania braucht noch Zeit
KrampKarrenbauer spricht von einer Verfassungskrise