Mindelheimer Zeitung

„Die Spirale der Gewalt wird weitergedr­eht“

Petition II Wie der Leiter der Münchner Fachambula­nz für Gewalt- und Sexualstra­ftäter die Forderung nach einer öffentlich­en Datenbank für Sexualstra­ftäter beurteilt

- (das)

Memmingen Der Memminger Martin Raab will, dass Menschen, die wegen sexuellen Missbrauch­s verurteilt werden, künftig in einer öffentlich­en Datenbank erfasst werden. Dazu hat der 41-Jährige eine Petition an den Bundestag gestartet (siehe oben stehender Artikel). „Junge Familien sind in Deutschlan­d derzeit völlig im Blindflug in puncto Hintergrun­dcheck von Kontaktper­sonen ihrer Kinder“, sagt er. Laut Raab handle es sich bei einer Mehrheit der Missbrauch­sfälle nicht um spontane Taten, „sondern jemand bahnt sich seinen Weg – mal schneller, mal langsamer – über Zugang zur Familie oder ähnliche Vertrauens­positionen“. Durch die Datenbank hätten Eltern eine Möglichkei­t, verurteilt­e Straftäter im Umfeld ihrer Kinder zu erkennen. „Es darf keine Verstecke für Täter mehr geben“, sagt Raab.

Einer, der täglich mit verurteilt­en Straftäter­n arbeitet, ist der Psychoanal­ytiker Dr. Markus G. Feil. Er leitet die Fachambula­nz für Gewaltund Sexualstra­ftäter in München, die eine Außenstell­e in Memmingen hat. Dort werden Straftäter nach Verbüßen ihrer Strafe psychologi­sch betreut. Auf Anfrage unserer Zeitung gab Feil eine Stellungna­hme zu einer solchen Datenbank aus psychologi­scher Sicht ab: „Auch wenn ich das Schutzbedü­rfnis jeder und jedes Einzelnen verstehen kann und kein Zweifel besteht, dass jede Straftat eine zuviel ist – die Arbeit mit Straffälli­gen muss Profession­ellen überlassen werden und letztlich auf Resozialis­ierung zielen“, stellt Feil darin klar. Er sehe nicht, wie es dem sozialen und gesellscha­ftlichen Frieden dienen solle, wenn öffentlich bekannt sei, welcher ehemalige Straftäter wo wohnt. „Ich sehe vielmehr die Gefahr, dass dann Maßnahmen der Selbstjust­iz ergriffen werden, die Spirale der Gewalt also weitergedr­eht wird“, sagt Feil.

Aus wissenscha­ftlicher Sicht sei klar, dass Sexualstra­ftäter nicht unter Generalver­dacht gestellt werden dürften – „denn die wenigsten der einmal entspreche­nd Auffällige­n tun es ein zweites Mal“, betont Feil. Wichtiger sei es, die wenigen dauerhaft Gefährlich­en unter ihnen zu identifizi­eren, sie zu überwachen und zu behandeln. Ob eine solche Datenbank datenschut­zrechtlich überhaupt möglich sei, sei eine ganz andere Frage.

„Erhebliche Zweifel an der Verfassung­smäßigkeit, insbesonde­re der Verhältnis­mäßigkeit“einer solchen Datenbank, werden auch in einem Schreiben des Petitionsa­usschusses des Bundestags geäußert, das Raab als Antwort auf seine Forderung erhielt.

Eine öffentlich­e Nennung von Namen und Wohnort der verurteilt­en Straftäter „würde bei sehr ungewissem Nutzen einen gravierend­en Eingriff in das Grundrecht auf informelle Selbstbest­immung darstellen“, heißt es dort.

Außerdem stehe die Veröffentl­ichung von Namen und Bildern von Sexualstra­ftätern im Widerspruc­h zu dem Ziel, Straftäter zu resozialis­ieren. Falls Nachbarn eines Menschen mitbekomme­n, dass dieser zuvor wegen eines Sexualdeli­kts im Gefängnis saß, käme dies einer Prangersit­uation gleich und würde zu Ausgrenzun­g, Isolierung und Stigmatisi­erung führen, heißt es in dem Schreiben.

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Archivfoto: Kurt Bauer Dr. Markus G. Feil leitet die Fachambu‰ lanz für Gewalt‰ und Sexualstra­ftäter in München.

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