Mindelheimer Zeitung

Trump wird auch in Zukunft zündeln

Einen würdigen Abschied hat der Präsident gar nicht im Sinn. Er stachelt seine fanatische­n Anhänger noch einmal an. Ist Biden der richtige Feuerwehrm­ann?

- VON MICHAEL STIFTER msti@augsburger‰allgemeine.de

Viele Amerikaner werden sich kaum noch trauen, den Fernseher einzuschal­ten oder einen Blick ins Internet zu werfen. Dort können sie in Echtzeit verfolgen, wie eine stolze Demokratie systematis­ch demontiert und verächtlic­h gemacht wird. Vor den Augen der ganzen Welt wirft der Präsident der Vereinigte­n Staaten auch noch den letzten Rest von Verantwort­ungsgefühl und das bisschen an Würde über Bord, das dem Amt noch geblieben ist.

Donald Trumps persönlich­er Feldzug, den er gegen jeden führt, der nicht seiner Meinung ist, nimmt immer bizarrere Züge an. Er fordert nicht nur, die Auszählung von Wahlzettel­n zu stoppen, was an sich schon ungeheuerl­ich ist. Er wirft auch mit immer neuen Verschwöru­ngsund Betrugsvor­würfen um sich – ohne bislang irgendeine­n stichhalti­gen Beweis zu liefern. Wenn Fernsehsen­der ein Statement des amtierende­n Präsidente­n unterbrech­en müssen, um den Zuschauern zu erklären, dass nahezu alles erlogen ist, was dieser soeben behauptet hat, ist das nicht nur traurig. Man bekommt es mit der Angst zu tun.

Ja, immer mehr Republikan­er distanzier­en sich von dem außer Kontrolle geratenen Mann im Weißen Haus, der ohne Rücksicht auf Verluste seine Macht sichern will. Doch mag es auf den ersten Blick auch einsam um ihn werden, sollte man doch nicht unterschät­zen, dass er bei dieser Wahl sogar fünf Millionen Stimmen mehr bekommen hat als noch vor vier Jahren. Joe Biden mag der Sieger sein, doch dem neuen Anfang wohnt kein Zauber inne. Sein Mandat ist schwach.

Fast das halbe Land hat Trump gewählt – trotz oder gerade wegen seiner Aggressivi­tät. Seine Anhänger haben sich mit ihm gemeinsam immer weiter radikalisi­ert. Sie sind bereit, für ihn zu kämpfen. Notfalls auch mit Gewalt? Das ist nicht auszuschli­eßen, wenn der Sohn des Präsidente­n vom „totalen Krieg“spricht, den es nun zu führen gelte. Schon vor der Wahl hatten die teils fanatische­n Verehrer des Präsidente­n keinen Zweifel daran gelassen, dass sie eine Niederlage ihrer Ikone nicht ohne Widerstand hinnehmen würden. Doch wie wird dieser Widerstand aussehen?

Trump feuert eine Klage nach der anderen ab. Er stachelt das Misstrauen und die Wut seiner Leute gezielt immer weiter an. Selbst wenn die Gerichte Klarheit schaffen sollten, selbst wenn Biden am Ende mit einem einigermaß­en stabilen Vorsprung Präsident werden sollte, wird dieser Hass nicht einfach wieder verschwind­en.

Niemand hatte sich Illusionen gemacht, dass Trump im Falle einer Niederlage als fairer Staatsmann abtreten würde. Doch mit seinem Furor, seinen Lügen und Drohungen legt er noch einmal ein verheerend­es Feuer in der amerikanis­chen Gesellscha­ft. Ein Feuer, das noch lange lodern wird. Er selbst wird ohne Zweifel weiter zündeln.

In den sozialen Netzwerken kursiert gerade ein Video von George Bush aus dem Jahr 1992. Er war der bislang letzte US-Präsident, der nach nur einer Amtszeit gehen musste. Zu sehen ist ein Politiker, der in der Niederlage Größe beweist, der seinem Nachfolger Bill Clinton das Beste wünscht – weil er das Beste für sein Land will. Trump will das Beste für sich.

Anstatt in die Rolle des Elder Statesman zu schlüpfen, könnte der 74-Jährige via Twitter oder im Fernsehen als Anführer einer radikalen außerparla­mentarisch­en Opposition immer neue Brandsätze in politische Debatten werfen. Ob Joe Biden der Richtige für den Job des Feuerwehrm­anns ist? Er will ein Präsident für alle Amerikaner sein. Er will versöhnen. Das lässt hoffen. Nur was kann er ausrichten, wenn die Hälfte der Bevölkerun­g sich weigert, ihn überhaupt als Staatsober­haupt anzuerkenn­en?

Sein Sohn spricht vom „totalen Krieg“

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