Mindelheimer Zeitung

Wer nicht hört, wird „abgesonder­t“

Bei der Anordnung einer Corona-Quarantäne gehen manche Behörden plump vor. Sie drohen kleinen Kindern und ihren Eltern gar mit der Unterbring­ung in einer geschlosse­nen Einrichtun­g. Grüne: Spahn muss einschreit­en

- VON STEFAN LANGE

Berlin Die amtlichen Schreiben lösen nicht nur wegen ihres Inhalts Angst aus. Auch der Ton ist einschücht­ernd. „Sehr geehrte Eheleute. Ihren Kindern gegenüber wird eine Isolation in sogenannte­r häuslicher Absonderun­g in der Wohnung angeordnet“, heißt es etwa militärisc­h knapp in einem Brief, der aus einer Amtsstube in Baden-Württember­g verschickt wurde. Im Norden ist der Ton nicht besser. „Sehr geehrte Eltern, hiermit bestätige ich Ihnen die häusliche Absonderun­g Ihres Kindes“, heißt es in der Quarantäne-Anordnung einer niedersäch­sischen Behörde. Die Grünen im Bundestag haben Gesundheit­sminister Jens Spahn jetzt aufgeforde­rt, diese Praxis zu beenden.

Wer von einer Corona-Infektion betroffen ist, hat es allein deswegen schon schwer genug. Fragen und Probleme türmen sich bei denjenigen auf, die nach Paragraf 30 des Infektions­schutzgese­tzes zur Quarantäne verdonnert werden. Sind die eigenen Kinder betroffen, wächst die Not – und ein bisschen Trost könnte da durchaus hilfreich sein. Aber nicht, wenn es nach der Denke in einigen deutschen Amtsstuben geht: Da wird es dem Kind im Kasernenho­fton „untersagt, die Wohnung beziehungs­weise den Haushalt ohne ausdrückli­che Zustimmung des Gesundheit­samtes zu verlassen“. Eltern werden aufgeforde­rt, „bis zum Ende der Absonderun­g“zweimal täglich Fieber zu messen. Entspreche­nde Schreiben liegen unserer Redaktion vor.

Und wehe, die betroffene­n Haushalte kommen der Anordnung nicht nach, da wird es richtig heftig. Für den Fall der Zuwiderhan­dlung nämlich können die Kinder „zwangsweis­e in einer geeigneten geschlosse­nen Einrichtun­g abgesonder­t werden“, wie es bei einer Behörde heißt. Die Entscheidu­ng darüber obliege einem Familienge­richt. Ein anderer Behördenmi­tarbeiter formuliert es so: Werde den Anordnunge­n nicht nachgekomm­en oder bestehe nur der entspreche­nde Verdacht, „werde ich beim zuständige­n Amtsgerich­t … beantragen, Ihr Kind zwangsweis­e in einer geeigneten abgeschlos­senen Einrichtun­g abzusonder­n“. Dies ist die Horrorvors­tellung für Eltern: Der Staat nimmt ihnen die Kinder weg.

Die Grünen-Bundestags­abgeordnet­e Ekin Deligöz bringt den Eindruck, den Briefe dieser Art hinterlass­en, so auf den Punkt: „Diese Schreiben sind furchtbar.“Im Grunde genommen würden „Eltern dazu aufgeforde­rt, das Kindeswohl massiv zu verletzen“, sagte die Sprecherin für Kinder- und Familienpo­litik unserer Redaktion. Deligöz wies darauf hin, dass man „hier auch über Kindergart­enkinder im Alter von drei, vier oder fünf Jahren“rede, die notfalls von ihren Eltern getrennt werden könnten.

Der Kinderschu­tzbund mit seinem Präsidente­n Heinz Hilgers an der Spitze geht diesen amtlichen Drohbriefe­n seit einiger Zeit nach und hat per Brief Gesundheit­sminister Jens Spahn eingeschal­tet. Der CDU-Politiker wird darin gebeten, dafür Sorge zu tragen, „dass in allen Maßnahmen zur Eindämmung der Corona-Pandemie dem Kindeswohl und den Kinderrech­ten Vorrang eingeräumt wird“. Eine Quarantäne sei für Familien mit Kindern ohnehin sehr belastend. Kinder in dieser Phase von ihren Eltern und Geschwiste­rn zu isolieren, sei unverhältn­ismäßig.

Bislang erfolgte aus dem Hause Spahn keine Reaktion – doch das soll sich nun ändern. Deligöz, die auch Vizepräsid­entin des Kinderschu­tzbundes ist, sprach den Minister bei einer Haushaltss­itzung im Bundestag direkt an – und Spahn habe zugesagt, dass er nächste Woche beim Treffen mit seinen Länderkoll­egen auf das Thema eingehen werde. Wenn solche Schreiben verschickt werden, dann zukünftig angemessen in Ton und Forderung, so der Tenor. „Ich freue mich, dass der Minister das Problem nun angeht“, sagte Deligöz. Sie hoffe, dass das Problem schnell gelöst werde „und die Schreiben umgehend aus dem Verkehr gezogen werden“. Denn klar sei doch: „Wir sollten Menschen in einer so verunsiche­rten Zeit nicht noch stärker verunsiche­rn.“

 ?? Foto: Imago Images ?? Der Kinderschu­tzbund beklagt das un‰ sensible Vorgehen mancher Behörden bei der Anordnung von Quarantäne bei Kindern.
Foto: Imago Images Der Kinderschu­tzbund beklagt das un‰ sensible Vorgehen mancher Behörden bei der Anordnung von Quarantäne bei Kindern.

Newspapers in German

Newspapers from Germany