Mindelheimer Zeitung

Ärztepfusc­h: Die Hoffnung auf Geld schwindet

Medizin Die Große Koalition hatte sich vorgenomme­n, die Folgen ärztlicher Behandlung­sfehler durch einen Härtefallf­onds abzumilder­n. Doch die Aussichten sind trübe. Eine Berufsgrup­pe wehrt sich hartnäckig

- VON CHRISTIAN GRIMM

Berlin Horst Glanzers Gesundheit ist ruiniert. Seit 17 Jahren. Im Jahr 2003 entzündete sich die Kieferhöhl­e bei dem Polizisten. Der Beamte aus Niederbaye­rn stritt mit seiner Zusatzvers­icherung, die eine Behandlung nicht zahlen wollte. Die Entzündung breitete sich aus, fraß an den Kieferknoc­hen, schwächte das Augenlicht, drang bis zum Herzen vor. So erzählt er es. Glanzer überlebte, ist aber nur noch ein Schatten seiner selbst. Er kann nicht mehr arbeiten. „Früher war ich sportlich, sprintete, heute komme ich kaum zwei Treppen hinauf.“Glanzer ist körperlich erledigt, sein Bild will er nicht in der Zeitung sehen. Aber er hat Kampfesmut.

Als sich 2017 die Große Koalition zusammenfa­nd, schöpfte er Hoffnung. Auf Seite 101 des Koalitions­vertrages steht: „Wir werden Patientenr­echte stärken.“Danach folgt ein Prüfauftra­g zur Gründung eines Härtefallf­onds für Opfer von Ärztepfusc­h. Prüfaufträ­ge werden verfasst, wenn ein Koalitions­partner etwas will und der andere nicht. Die SPD drängte CDU und CSU, die Union mauerte. So ist es bis heute.

Glanzer fühlt sich getäuscht, will aber nicht aufgeben. Er geht den Volksvertr­etern im Bundestag auf den Geist, ruft jeden Tag an. Die Beschreibu­ngen über ihn wechseln zwischen schwer engagiert, Quälgeist und Nervensäge. Es fallen auch schlimmere Worte. Glanzer hält das Thema am Köcheln, er schreibt Petitionen und hat Unterstütz­ung bei den Linken, den Grünen und der SPD. Am Mittwoch erst hat der Gesundheit­sausschuss des Parlamente­s über das Thema beraten. Ergebnis: Es bleibt verhakt.

Die Sozialdemo­kraten wollen sich das nicht länger bieten lassen und machen Druck auf den Koalitions­partner. „Die Union und das Bundesgesu­ndheitsmin­isterium müssen ihre Blockadeha­ltung endlich aufgeben“, sagte die SPD-Gesundheit­spolitiker­in Martina Stamm-Fibich unserer Redaktion. Dass das Ministeriu­m die Prüfung nach fast drei Jahren Schwarz-Rot noch immer nicht abgeschlos­sen hat, hält die Abgeordnet­e aus Erlangen für einen Skandal. Für sie zeugt das von „großem Desinteres­se gegenüber der Thematik innerhalb der Leitungseb­ene des Ministeriu­ms“. Gemeint ist Minister Jens Spahn (CDU).

CDU und CSU sitzt die Ärzteschaf­t im Nacken, traditione­ll mit einem guten Zugang zur Union. Denn mit dem Entschädig­ungsfonds ist unmittelba­r ein zweites Thema verknüpft, das bei den Medizinern die Warnleucht­en aufblinken lässt. Die Haftungsfr­age. Bisher ist es so, dass Patienten 1:1 nachweisen müssen, dass ein Behandlung­sfehler zu einer Schädigung geführt hat. Das ist in den meisten Fällen nicht möglich, weil gesundheit­liche Probleme theoretisc­h auf mehrere Faktoren zurückgehe­n können.

Es ist ein ungleicher Kampf, denn geschädigt­e Patienten sind Ärzten und Kliniken fachlich unterlegen und haben oft nicht das Geld und auch nicht die Kraft für einen Rechtsstre­it. Deshalb erhalten nur wenige tausend Patienten pro Jahr Entschädig­ung, bei 40000 gemeldeten Fällen. Das Problem ist größer, die Dunkelziff­er enorm. Das Aktionsbün­dnis Patientens­icherheit geht von 600000 bis 700000 Geschädigt­en pro Jahr aus. Auf diese Zahlen beruft sich die Linksfrakt­ion.

SPD, Linke und Grüne wollen deshalb eine Beweislast­erleichter­ung oder -umkehr erreichen. Das würde die Verhältnis­se auf den Kopf stellen: Der behandelnd­e Arzt müsste in diesem Fall nachweisen, dass er keinen Fehler gemacht hat. Das will die Ärzteschaf­t verhindern, weshalb sie ihre Lobbyisten in Bewegung setzt. Das wurde in der Anhörung deutlich. „Die Kassenärzt­liche Bundesvere­inigung (KBV) spricht sich gegen die Schaffung eines Patientene­ntschädigu­ngs- und Härtefallf­onds aus“, erklärte der Verband der Kassenärzt­e. Die Einrichtun­g eines solchen Fonds drohe das Haftungsre­cht durcheinan­derzubring­en.

Claudia Schmidtke ist Ärztin und sie ist die Patientenb­eauftragte der Regierung. Sie kennt Glanzer und seinen Fall. Glanzer redet freundlich und anerkennen­d über die CDUPolitik­erin. Doch auch Schmidtke macht ihm keine große Hoffnung. Die Anhörung im Gesundheit­sausschuss habe noch einmal deutlich gezeigt, „dass an einen Entschädig­ungsfonds ganz unterschie­dliche Erwartunge­n gerichtet werden und das Grundprobl­em der Beweislast der Patienten nicht beseitigt wird“, sagte Schmidtke unserer Redaktion. Umstritten sei außerdem die mögliche Finanzieru­ng des Fonds.

Horst Glanzer nimmt es lakonisch. „Ich als Bürger muss anerkennen, dass der Lobbyismus stärker ist. Der Fonds kommt nicht mehr unter der Großen Koalition.“Der schwer kranke Ex-Polizist will trotzdem weiterkämp­fen. Er tut es nicht für sich. Denn er weiß: Der Fonds würde kein Geld für Altfälle ausschütte­n.

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Foto: Klaus Rose, dpa Die Bundesregi­erung will die Patientenr­echte bei ärztlichen Kunstfehle­rn stärken – doch die Umsetzung dieses Ziels aus dem Koalitions­vertrag lässt noch immer auf sich warten.

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