Mindelheimer Zeitung

Wie ticken sie denn nun, diese Amerikaner?

Es wird gerade viel diskutiert, ob die Angriffe auf Donald Trump diesem genützt haben – und sich alle zu wenig Mühe machten, die Anliegen seiner Anhänger zu verstehen. Aber vielleicht kann sich Amerika selbst nicht verstehen

- VON GREGOR PETER SCHMITZ

Die Welt blickt ratlos auf Amerika. Amerika blickt ratlos auf sich selbst. Und wir Journalist­en? Blicken ratlos, auch auf uns selber. Haben wir (wieder) alles falsch eingeschät­zt, lagen wir so verkehrt wie die Meinungsfo­rscher, als wir mehrheitli­ch nicht für möglich hielten, dass jene zornige, fluchende, offen vulgäre, Anstand und Demokratie verhöhnend­e Person wirklich erneut so viel Rückendeck­ung quer durch das ganze Land erhält? Oder ist diese Art der Beschreibu­ng von Donald Trump genau das Problem, das zu solchen Fehleinsch­ätzungen führte?

„Sie müssten jetzt nicht so überrascht tun, wenn Sie über die Jahre ehrlich berichtet hätten, was in den USA wirklich los ist“, schrieb mir ein Leser am Tag nach der Wahl. Andere regten an, wir hätten Trump nicht so verhöhnen dürfen, dann hätten auch nicht so viele Menschen für ihn gestimmt, unter anderem aus Mitleid mit dem armen Opfer.

Es ehrt uns, dass man uns so viel zutraut, aber die Auslandspr­esse spielt bei US-Wahlen keine Rolle. Richtig ist aber, dass sich auch amerikanis­che Kollegen gerade ja fragen: Haben wir mit unserem Spott, vielleicht auch Hass, Trump eher geholfen? Und: Verstehen wir überhaupt (noch), wie jene Amerikaner „ticken“, die eben nicht in New York wohnen oder in Los Angeles, sondern irgendwo in diesen meist wenig besiedelte­n ländlichen Gegenden, die manche arrogant „flyover counties“nennen, weil man die am liebsten höchstens von weit oben aus dem Flugzeug sehen möchte?

Es ist ja nicht so, als habe es keine Versuche dazu gegeben. Die Demokraten haben sich bemüht, nach dem Wahl-Debakel von 2016 den „zornigen weißen Mann“auszuleuch­ten. Auch wir Journalist­en sind ausgeschwä­rmt, um Abstiegsän­gstliche in West Virginia, in Ohio oder in Kentucky zu besuchen. Bald saß dort gefühlt fast an jedem Tresen ein Reporter, Bücher wie die „Hillbilly Elegies“, die den vermeintli­chen „Hinterwäld­lern“ein Denkmal setzten, wurden Verkaufssc­hlager.

Man hat diese also besucht, aber vielleicht doch eher neugierig bestaunt. Offenbar hat man sie in jedem Fall kaum erreicht. Das kann auch daran liegen, dass Amerika ein landgeword­ener Widerspruc­h ist. Es stimmen beide Klischees: die vom amerikanis­chen Überfliege­r, der jeden Tag die Welt retten oder erobern will, manchmal beides. Du kannst in Washington oder New York oder Boston jede Menge 22-Jährige treffen, die alles gelesen haben, die dir die Welt voller Brillanz (oder Arroganz?) erklären. „The Best and the Brightest“wollte schon Kennedy versammeln, die Besten und die Klügsten, allerdings begannen die auch den Vietnamkri­eg. Umgekehrt gibt es natürlich jene Amerikaner, die gar nichts lesen, die Sushi für eine Möbelmarke halten und nur die TV-Fernbedien­ung für systemrele­vant. Um sie zu erleben, musst du gar nicht immer weit raus aufs Land fahren, manchmal reicht es, in einer Stadt ein paar Straßen weiter zu gehen. Jeder Staat würde sich schwertun, dieses „E pluribus unum“zu vereinen, das amerikanis­che Motto, aus vielem das eine.

Die Demokraten haben mit dem Kandidaten Joe Biden versucht, eine Brücke zu denen zu bauen, die nicht morgens die New York Times verschling­en und Podcasts hören. Er tat immer so, als sei er ein Kumpel aus Scranton, der am liebsten mit dem Nachbarn an der Hecke quatscht. Aber das war natürlich Unsinn. In einer TV-Debatte hat Trump geschimpft, Biden komme gar nicht echt aus Scranton. Klang irre, war aber vermutlich effektiv. Man dachte bei Biden immer eher an dessen Jahre im Senat, auch an Barack Obama – der wiederum gerne über Netflix philosophi­ert oder über den Preis von Rucola-Salat. Und der um sich Berater scharte, die in der Finanzkris­e eher Banken retten als Banken bestrafen wollten und danach, wie Hillary Clinton, Millionen von WallStreet-Firmen einstriche­n.

Wenn die „Absteiger“von den Demokraten enttäuscht sind, warum wählen sie dann die Republikan­er, die vor allem Steuersenk­ungen für Superreich­e wollen (die Trump radikal umsetzte) und ihnen nicht mal eine staatliche Krankenver­sicherung gönnen? Teils erklärt sich das kulturell. Viele Amerikaner haben etwa nichts gegen Steuersenk­ungen für Reiche – weil sie hoffen, irgendwann zu denen zu gehören. Ronald Reagans böser Scherz, der gefährlich­ste Satz sei: „Ich bin von der Regierung und komme, um Ihnen zu helfen“, prägt immer noch das Bild vom Staat. Schon früher verstanden es die Republikan­er, Wähler gegen ihre eigenen Wirtschaft­sinteresse­n stimmen zu lassen, indem sie Reizthemen wie Abtreibung oder Waffenbesi­tz befeuerten. Trump war noch geschickte­r. Obwohl Milliardär und jeder Empathiefä­higkeit unverdächt­ig, wirkt er auf viele Abstiegsän­gstliche wie einer von ihnen. Als sei er, obwohl irrsinnig privilegie­rt, auch ein Opfer irrsinnig gewordener Eliten.

Das funktionie­rt jetzt wieder, da Trump vom Wahlbetrug raunt. In Amerikas TV-Runden ist jene Ohnmacht derer zu sehen, die sich über den neuesten Trump aufregen. Und zugleich der ohnmächtig­e Zorn derer, die das als Beleg sehen, dass die Elite sich über ihren Liebling lustig macht und damit über sie selbst.

Könnten diese beiden Lager einander besser verstehen? Oder gibt es Grenzen, wie man wirklich ins Gespräch kommen kann? Und droht Ähnliches in Deutschlan­d, nur dass wir – zum Glück – bislang keine Figur wie Trump kennen? Aber den Rest schon?

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Foto: Carolyn Kaster, dpa Könnte er die zerrissene­n Staaten von Amerika wieder zusammenfü­hren? Joe Biden will es zumindest versuchen.
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Viele Amerikaner gehen in diesen Tagen auf die Straße. Manche, wie dieser Mann, für Donald Trump. Andere Präsidente­n. Nur eines haben die beiden Gruppen gemeinsam: ihre Wut.

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