Mindelheimer Zeitung

Die Stadt, die niemals Trump wählt

Donald Trump redet über New York schlecht und New York über Donald Trump. Was die Menschen über die Wahl denken und wie die Metropole von einem Sieg Bidens profitiere­n würde

- VON STEPHANIE LORENZ

New York Es war die vielleicht folgenreic­hste Rolltreppe­n-Fahrt in der amerikanis­chen Geschichte: Im Trump Tower in New Yorks Luxusmeile, der Fifth Avenue, schwebte Donald Trump 2015 auf einer Rolltreppe in die Lobby hinab und gab seine Präsidents­chaftskand­idatur bekannt. Lächelte, winkte, streckte den Daumen hoch. Als wäre er in Hollywood. So spektakulä­r begann sein Weg ins Weiße Haus. Drama herrscht nun, vier Jahre später, auf den Straßen vor dem Prunk-Hochhaus in seiner Heimatstad­t, die er damals noch eine „wundervoll­e Stadt“nannte –- bevor fast 80 Prozent der Städter für Hillary Clinton stimmten und Trumps Namen von Wohnhäuser­n, Eislaufbah­nen und einem Hotel entfernten. Auch Joe Biden siegte deutlich im traditione­ll demokratis­chen New York.

New York und Donald Trump sind sich verbunden – und das auch im gegenseiti­gen Hass. So weigert sich der Präsident, die finanziell klamme Stadt zu unterstütz­en und Projekte zu fördern, wie einen Tunnelbau unter dem Hudson River. Gouverneur Andrew Cuomo sagte im September wütend: „Trump versucht, New York zu vernichten.“ Mit einem Präsident Biden würden wieder staatliche Mittel nach New York fließen, betonte Bürgermeis­ter Bill de Blasio vor der Wahl. So könnte unter anderem das Verbrechen effektiver bekämpft werden.

Die gestiegene Kriminalit­ät, die Ausschreit­ungen im Sommer, als Demonstran­ten gegen Polizeigew­alt und Rassismus protestier­ten, Schaufenst­er einschluge­n und plünderten – die Stadt ächzt. Viele New Yorker verließen am Wahltag aus Angst ihre Wohnungen. Die Straßen waren leer, die Schaufenst­er mit Brettern vergenagel­t. Dabei hatte sich die Polizei diesmal gut vorbereite­t: Polizeiwag­en, Absperrzäu­ne und Beamte sind seit zwei Wochen in der ganzen Stadt zu sehen. Vor allem vor dem Trump Tower, wo in der Wahlnacht aber nur ein Dutzend Republikan­er vorbeischa­ute. Und nur einer von ihnen schrie „Gott segne Trump“in den Nachthimme­l. Sein Rufen verhallte zwischen den Hochhäuser­n.

Tausende Beamte sind derzeit präsent, um Proteste sofort im Keim zu ersticken. Am Mittwoch, als Anwohner wieder in die Restaurant­s im Freien strömten, demonstrie­rten in manchen Teilen der Stadt Menschen gegen Trumps Behauptung, man wolle ihm die Wahl „klauen“, die Stimmen würden falsch gezählt. „Zählt jede Stimme. Jede Stimme zählt“, riefen die Demonstran­ten. Später am Abend rebelliert­en sie gegen Rassismus und Polizeigew­alt. Einzelne Gruppen und Polizisten gerieten aneinander. Mülltonnen brannten, Eier flogen und der Verkehr wurde blockiert.

Christian Resseguie war dabei. Er zittert, als er am Tag danach davon erzählt. Mit Bekannten hat sich der Anwalt am Union Square in Manhattan getroffen, um die nächste Aktion zu planen. „Refuse Fascism“(Faschismus ablehnen) nennt sich die Gruppe, die sich 2016 gründete und dafür kämpft, dass Trump und sein Vize Pence aus ihren Ämtern fliegen. Resseguie, Mitte 30, ärgert sich, dass die Polizei nun so hart gegen Demonstran­ten – auch friedliche – vorgeht und die Menschen einschücht­ere. Am Mittwoch hätten ihn Polizeihub­schrauber verfolgt. „Dieses Land ist sehr krank im Moment. Ich sehe nicht, wie weitere vier Jahre gut gehen könnten.“

Eine ältere Dame bleibt stehen und sagt: „Ich will Stabilität. Einfach nur Ruhe. Und weniger Ignoranz überall.“Sie seufzt und lächelt dann: „Aber New Yorker sind robust. Das liebe ich an New York.“

In der Nähe der Madison-SquareGard­en-Arena, wo die ReklameLei­nwände so grell leuchten wie immer und wieder mehr Menschen unterwegs sind als am Wahltag, hat Matt Vallone Feierabend. Er arbeitet als Bauleiter und ist als „normaler amerikanis­cher Mittelstän­dler“besorgt um den moralische­n Kompass des Landes. „2016 wusste man nur, dass Trump unqualifiz­iert ist. Jetzt sieht man die negativen Folgen.“Es gehe nicht mehr um Demokraten gegen Republikan­er wie früher. Es gehe jetzt um Demokraten gegen „Donald Trumpians“zwei Gruppen, die kaum miteinande­r sprechen könnten. „Trump ist ein Meister der Spaltung“, sagt der 30-Jährige. Rechtlich auch noch gegen einzelne Staaten wegen Wahlbetrug­s vorzugehen? „Öl ins Feuer gießen“sei das, und „ganz klar Quatsch“. Und dieser Quatsch ziehe sich durch die Gerichtsve­rfahren jetzt noch mehr in die Länge. Er schüttelt ungläubig den Kopf. „Wie peinlich“, sagt er.

Das sehen die Republikan­er anders. Vor allem in Queens, dem Stadtteil, in dem Donald Trump aufwuchs. Der Queens Village Republican Club hält sein MonatsMeet­ing per Videokonfe­renz ab. 50 Teilnehmer sind dabei. „Das war ein Erdrutschs­ieg für ihn“, sagt der Vorsitzend­e Philip Orenstein, der mit seiner roten Kappe aussieht wie Niki Lauda. Jetzt müsse man nur noch gegen den Wahlbetrug vorgehen. Die Anwesenden nicken. Ein Teilnehmer schreibt die „Nationale Betrugs-Hotline von Trump“in den Gruppencha­t. Ann Schockett, die aus Queens kommt und dem nationalen Verband republikan­ischer Frauen vorsitzt, ist aus Washington zugeschalt­et: „Wir wissen, dass es Korruption gab“, sagt sie. Präsident Trump sei dabei zu gewinnen. „Er ist ein Kämpfer, Leute!“, ruft sie. „Wir sind taffe New Yorker und unser Präsident auch!“

 ?? Foto: Lorenz ?? Christian Resseguie (rechts) demons‰ triert gegen Trump.
Foto: Lorenz Christian Resseguie (rechts) demons‰ triert gegen Trump.

Newspapers in German

Newspapers from Germany