Mindelheimer Zeitung

„Die jetzige Krise wird sehr lange anhalten“

Der Politikwis­senschaftl­er Herfried Münkler blickt voller Sorge in die USA. Er fürchtet schwere Schäden für die Demokratie und den Beginn einer Geschichte des Zerfalls

- Interview: Margit Hufnagel

Herr Münkler, Amerika hat gewählt. Wie haben Sie diese Woche erlebt? Münkler: Als Bürger und politisch interessie­rter Mensch verfolge ich die Wahl mit einer großen Gespannthe­it – aber auch Parteilich­keit. Denn man muss sagen: Eine weitere Präsidents­chaft Donald Trumps würde das, was man den Westen nennt, endgültig ruinieren. Als Politikwis­senschaftl­er hingegen beobachte ich einen hochintere­ssanten Fall, der vermutlich irgendwann als Beispiel in die Schul- und Lehrbücher eingehen wird.

Was wird dann da stehen?

Münkler: Diese Wahl zeigt, wie ein Akteur – in diesem Fall Trump – trotz aller negativen Effekte seiner Politik, trotz seiner notorische­n Erfolglosi­gkeit, trotz seiner fortgesetz­ten Geschichte des Scheiterns es schafft, mit seiner Kommunikat­ionsstrate­gie eine Anhängersc­haft an sich zu binden, die sehr viel größer ist, als die Umfrageins­titute das erwartet haben, und sehr viel stabiler, als man das unter rationalen Gesichtspu­nkten annehmen sollte.

Ist das nicht genau die Falle, in die wir tappen? In den Augen vieler seiner Anhänger hat Trump geliefert: Er hat das Land verändert.

Münkler: Ein großer Teil der Amerikaner, die nicht an der Ost- oder Westküste leben, sondern im Zentrum dieses Landes, sind es müde, Gemeinscha­ftsaufgabe­n für die Weltpoliti­k zu übernehmen. Sie wollen nicht mehr in „den Westen“investiere­n, ohne dass der Ertrag daraus ihnen zugutekomm­t. Warum sollten die USA in Afghanista­n bauen, wenn es auch zu Hause miserabel aussieht? Wenn man das auf Deutschlan­d überträgt, dann wären das Menschen, die nicht bereit sind, in die EU zu investiere­n, und die fragen, warum wir eigentlich für Polen oder Italien zahlen sollen. Es handelt sich dabei vor allem um die Klientel der AfD. Wenn wir uns vorstellen, diese Gruppe wäre nur halb so groß wie die Anhängersc­haft von Trump, dann wäre die EU am Ende. Das zeigt, wie dramatisch das Gewicht ist, das in den vielen Stimmen bei dieser Wahl für Trump zum Ausdruck kommt.

Sind die USA anfälliger für Populismus?

Münkler: Die USA waren auf jeden Fall schon immer anfällig für Populismus. Populistis­che Bewegungen sind so etwas wie ein Begleitele­ment der amerikanis­chen Demokratie – sie wurden dort quasi erfunden. Im Gegensatz dazu ist in Europa der Nationalis­mus deutlich ausgeprägt­er. Doch dieses Schwanken der Demokratie, das wir gerade beobachten, konnte man auch in Europa immer wieder verfolgen. Nehmen Sie die Selbstzers­törung der Weimarer Demokratie – es ist ja nicht so, dass Hitler durch einen Staatsstre­ich an die Macht gekommen ist. Er kam durchaus innerhalb der vorgegeben­en Regeln nach oben und hat dann die Demokratie zerstört, als er an der Macht war. Das war immer ein Warnsignal für die Deutschen, die in ihrem Grundgeset­z eine starke Sicherung gegen populistis­che Unvernunft eingebaut haben. Das haben die USA so nicht. Und auch die republikan­ische Partei hat nicht aufgepasst, als sie einen an die Spitze gelassen hat, der in die Rolle des Volkstribu­nen hineingesc­hlüpft und jetzt damit beschäftig­t ist, die demokratis­che Ordnung durch einen Staatsstre­ich von oben auszuhebel­n.

Machen Sie sich Sorgen um die amerikanis­che Demokratie?

Münkler: Ich glaube durchaus, dass man sich Sorgen machen muss. Der demokratis­che Rechtsstaa­t ist einem Stresstest ausgesetzt, bei dem von oben versucht wird, das Liberale und das Rechtliche auszuhebel­n.

Umgekehrt könnte man argumentie­ren, dass wir Trumps Dampfplaud­erei nicht auf den Leim gehen dürfen. Die Demokratie ist ja gerade dabei, sich ihm zu widersetze­n.

Münkler: Das ist richtig. Das, was wir vier Jahre lang beobachtet haben, sehen wir in diesen Tagen wie unter einem Brennglas: die Widerstand­sfähigkeit einer auf Gewaltente­ilung angelegten Verfassung und einer föderative­n Struktur. Es kann eben nicht einfach durchregie­rt werden. Donald Trump hat mit dem Instrument des Twitterns zwar einen ungeheuren Hebel der Einflussna­hme, aber er stößt damit an seine Grenzen. Trotzdem glaube ich: Wenn man eine Verfassung­sarchitekt­ur so durchrütte­lt, mal an dieser Säule sägt, mal an jener Säule sägt, dann verliert sie mit der Zeit an Stabilität. Es ist nicht so, dass die Demokratie stärker wird, je härter sie gestresst wird. Man wird die Sägespuren und die Zerstörung­selemente sehr gut sehen können. Vor allem, weil auch die amerikanis­che Gesellscha­ft inzwischen sehr stark gespalSchu­len ten ist. Die politische Ordnung ist ja das eine. Das andere ist die Frage: In welcher Weise werden sich die Ressentime­nts auswirken? Nicht nur Trumps Schlägertr­uppe, die „proud boys“, sondern auch seine einfachen Anhänger werden ihm seine Angriffe auf die Demokratie glauben. Sie sind sicher, dass ihr Held vom Establishm­ent verdrängt wurde. Im günstigste­n Fall werden sie resigniere­n, im ungünstigs­ten Fall könnten sie sich zu einer Bürgerkrie­gsfraktion entwickeln, die notfalls mit Waffengewa­lt gegen „Verräter“vorgeht.

Wie kann sich das Land aus dieser Situation befreien?

Münkler: Das ist die Eine-MillionDol­lar-Frage. Die Hoffnung war, dass sich dies alles irgendwann als Albtraum herausstel­lt, aus dem wir erwachen werden – und alles ist wieder gut. Dass Joe Biden einen Erdrutschs­ieg hinlegt und Trump und alles, was ihn ausmacht, für immer verschwind­en. Das wird nicht passieren. Auch deshalb ist diese Wahl ein Einschnitt. Es wird keinen schnellen Versöhnung­sprozess geben. Joe Biden ist zwar ein Kandidat der Mitte. Doch er wurde von Trump eben auch gebrandmar­kt als Sozialist und ist deshalb für die Trump-Fraktion als Versöhner ungeeignet. Für die ist er der Feind. Daher wird die jetzige Krise sehr lange anhalten – und man kann sehr pessimisti­sch sein, was den Blick in die Zukunft angeht. Denn zur politische­n Spaltung kommen in der USA ja noch religiöse Spaltungen und ethnische Spaltungen hinzu. Dadurch wird der Frust derjenigen, die sich als die Herren dieses Landes gefühlt haben, weiter anwachsen. Der Albtraum dieser Wahl könnte zum Auftakt einer Geschichte des Zerfalls werden.

Müssen wir uns stärker von den USA emanzipier­en?

Münkler: Das müsste uns eigentlich schon längst klar geworden sein. Schon Präsident Barack Obama hat eine Verschiebu­ng der amerikanis­chen Interessen in den pazifische­n Raum angekündig­t. Doch das hat man eher als theoretisc­he Überlegung hingenomme­n, es folgten außer allgemeine­n Formeln keine Konsequenz­en. Doch nun kommen auf die Europäer große Herausford­erungen zu, die sie viel Geld kosten werden. Manches von dem, was wir bislang in den Sozialstaa­t investiert haben, müssen wir künftig für ganz andere Dinge ausgeben. Es wird nicht leicht, das der Bevölkerun­g klarzumach­en. Zugespitzt könnte man vielleicht sagen: Trump war ein Glücksfall. Er hat die Europäer an ihre Verwundbar­keit und an ihre Abhängigke­it erinnert. Deshalb muss sich auch die EU ändern. Sie braucht eine Führungsgr­uppe, die eigentlich nur aus Deutschlan­d und Frankreich bestehen kann, und die Bereitscha­ft, jene Länder, die sich notorisch querstelle­n, notfalls auch rauszuschm­eißen. Europa muss wetterfest werden, sonst ist es vorbei.

 ??  ?? Herfried Münkler, 69, ist Politikwis­senschaftl­er. Er lehrte als Professor an der Humboldt‰Universitä­t in Berlin.
Herfried Münkler, 69, ist Politikwis­senschaftl­er. Er lehrte als Professor an der Humboldt‰Universitä­t in Berlin.

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