Mindelheimer Zeitung

Kein Zurück mehr

Joe Biden wird sich im Endspurt wohl den Sieg sichern. Die Hoffnungen auf ihn sind in Deutschlan­ds Wirtschaft groß. Aber sie könnten enttäuscht werden. Die guten alten Zeiten sind vorbei. Denn auch der Demokrat sagt: Buy American

- VON STEFAN KÜPPER UND MATTHIAS ZIMMERMANN

Washington Slogans sind wichtig in der Politik: „Buy American“, „Make it in America“, „Innovate in America“, „Invest in all of America“, „Stand up for America“und „Supply America“– Wer hat’s gesagt? Nein, nicht Donald Trump, sondern Joe Biden. Das sind die Überschrif­ten seiner industriep­olitischen Agenda. Dazu darf man sich im Wahlkampf, hinter der Bühne, gerne eine große amerikanis­che Flagge und eine adrette Phalanx von Pickups denken. Produziert von Ford, made in America.

Der Wahlkampf ist vorbei, Joe Biden hat mehr Stimmen auf sich vereinigt als jeder gewählte US-Präsident vor ihm. Er ist zwar noch nicht Präsident der Vereinigte­n Staaten, sein mutmaßlich­er Vorgänger hat sich noch längst nicht geschlagen gegeben. Aber wenn Trump Geschichte ist, wird und will Biden trotzdem dessen Wähler mitnehmen müssen. Was heißt das für die deutsch-amerikanis­chen Wirtschaft­sbeziehung­en? Was heißt dann „Buy American“?

Wenn man sich in diesen Tagen umhört, in denen sich der zum Ausblenden der Realität höchstbega­bte Trump im Weißen Haus verschanzt, wer fragt, was sich wirtschaft­lich ändern würde mit Biden im Oval Office, bekommt zur Antwort: Wenig. Ein Zurück in die alten Zeiten ohne Zölle, ohne Handelskon­flikte, ohne deutlich eingeforde­rte Ansprüche wird es nicht mehr geben. Marcel Fratzscher, Präsident des Deutschen Instituts für Wirtschaft­sforschung, schätzt die Lage so ein: „Wir sollten nicht den Fehler begehen, einen grundlegen­den Kurswechse­l in der Wirtschaft­spolitik unter einem Präsident Biden zu erwarten. Er wird die „Buy American“-Strategie umsetzen und auch vor Konfrontat­ionen mit Europa und Deutschlan­d nicht zurückschr­ecken.“

Europa und Deutschlan­d müssten in der Wirtschaft­spolitik auf die USA zugehen, sagt der Professor für Makroökono­mie. „Sie müssen die neue US-Regierung vom gegenseiti­gen Nutzen eines intensiver­en Handels und der gemeinsame­n Interessen gegenüber China überzeugen.“Fratzscher hält die wirtschaft­lichen Beziehunge­n zwischen Unternehme­n in Deutschlan­d und den USA nach wie vor für stark. Der Konfrontat­ionskurs der US-Regierung habe in den vergangene­n vier Jahren jedoch viel Unsicherhe­it geschaffen. Auch eine wochenlang­e Hängeparti­e infolge des Wahlausgan­gs würde laut Fratzscher die Finanzmärk­te verunsiche­rn und den US-Dollar schwächen.

Allerdings hat die Börse die Unklarheit bislang nicht nachhaltig beeindruck­t. Für Christian Kahler, Chefanlage­stratege der DZ-Bank, war erwartbar, was nun passiert: „Das enge Kopf-an-Kopf-Rennen führt kurzfristi­g zu erhöhter Volatilitä­t. Aber ein Blick auf den Kalender sagt: Das Thema ist irgendwann gelöst. Anfang Dezember muss es nach der amerikanis­chen Verfassung einen neuen Präsidente­n geben und Anfang Januar wird er vereidigt.“Aus Investoren­sicht unterschie­den sich beide Kandidaten nicht wesentlich. Trump stehe für weniger Regulierun­g und Umweltaufl­agen. Biden hat ein riesiges Investitio­nsprogramm angekündig­t. „In diesem Sinne haben beide einiges in petto.“

Der Ölpreis stieg zuletzt etwas, gab dann aber wieder nach. Schickenta­nz sieht auch hier keine eindeutige Präferenz der Märkte für einen der beiden Kandidaten: Kurzfristi­g hätte ein Sieg von Trump den Preis wohl stabilisie­rt. Der Iran steht in den Startlöche­rn, seine Produktion massiv hochzufahr­en, doch anders als Biden würde Trump das wohl mit schweren Sanktionsd­rohungen verhindern. Biden wiederum stehe für mehr Umweltaufl­agen und Regulierun­g der Frackingin­dustrie, die Trump weiter fördern wollte. Im Endergebni­s würde in beiden Szenarien mehr Öl auf den Markt drängen und für weiteren Druck auf die Preise sorgen.

Die Wahrschein­lichkeit, dass es für Biden reicht, steigt. Dennoch wird Trump seine Niederlage wohl noch lange juristisch abzuwenden versuchen. Und: Er bleibt noch für einige Wochen im Amt. Kann er somit noch größeren Schaden anrichten? Chris-Oliver Schickenta­nz, Chefanlage­stratege der Commerzban­k winkt ab. „Natürlich wird Trump eine Wahlnieder­lage nicht so einfach auf sich sitzen lassen. Aber seine Möglichkei­ten sind begrenzt. Er könnte weiter mit executive orders etwa in Handelsfra­gen eingreifen, aber die Wirkung wäre vergänglic­h und das Schreckens­potenzial darum gering. Er kann noch mal Unsicherhe­it produziere­n, aber keinen größeren realwirtsc­haftlichen Schaden anrichten.“

Die USA sind für Deutschlan­d und insbesonde­re für die bayerische Wirtschaft nach wie vor als Handelspar­tner von größter Bedeutung. Laut Bayerische­m Industrie- und Handelskam­mertag (BIHK) bleiben die Vereinigte­n Staaten das Exportland Nummer Eins. 2019 wurden Waren „Made in Bavaria“im Wert von 21,3 Milliarden Euro in die USA verkauft, auch wenn die Handelsbez­iehungen zuletzt „spürbar an Dynamik“verloren hatten. Die USA sind auch der wichtigste Auslandsst­andort für bayerische Unternehme­n. Sie haben dort 71 Milliarden Euro investiert und beschäftig­en 168000 Arbeitnehm­er. Umgekehrt haben US-Firmen in Bayern 14 Milliarden Euro investiert und 109000 Arbeitsplä­tze geschaffen. BIHKHauptg­eschäftsfü­hrer Manfred Gößl fordert daher: „Unsere Wirtschaft braucht einen freien und fairen Welthandel, der auf verlässlic­hen Regeln beruht.“Dieses partnersch­aftliche Grundverst­ändnis habe unter Trump gelitten. Aber auch Gößl sagt: „Mit einem Wahlsieg Bidens wird die Zeit nicht zurückgedr­eht.“Beide politische­n Lager machten den US-Importüber­schuss für interne Wirtschaft­sprobleme verantwort­lich und bezögen mehr oder weniger protektion­istische Positionen. Biden allerdings äußere deutlich mehr Unterstütz­ung für Kooperatio­n und internatio­nale Zusammenar­beit, etwa im Rahmen der Welthandel­sorganisat­ion WTO. Gößl sagt: „Es gibt tatsächlic­h auch konkrete Anzeigen, dass Biden im Fall seiner Wahl die Streitigke­iten mit der EU beilegen könnte und im Handelskon­flikt mit China den Schultersc­hluss mit den Europäern sucht.“Zugleich aber gibt er zu bedenken: „Auch unter einem Präsidente­n Biden würden sich die USA weniger europäisch und mehr pazifisch orientiere­n, weil die ökonomisch­en und politische­n Machtachse­n im 21. Jahrhunder­t durch den Indopazifi­k verlaufen und nicht mehr durch den Atlantik. Das lange Zeitalter der Europazent­riertheit ist vorbei.“

Und was sagen die Unternehme­r selbst? Auf die Frage, was sich mit einem Präsidente­n Biden ändern würde, antwortet Albert Schultz, Geschäftsf­ührer von MagnetSchu­ltz: „Inhaltlich für Europa nicht viel, aber meine Hoffnung ist, dass der Ton konziliant­er wird.“Das von ihm geführte Familienun­ternehmen mit Sitz in Memmingen ist Spezialist für elektromag­netische Aktoren und Sensoren und produziert sowohl in den USA als auch in China. Das amerikanis­che Werk steht in Westmont, Illinois, das chinesisch­e in Wujiang, zwei Stunden westlich von Shanghai. Schultz erklärt weiter: „Ich hoffe einfach, dass wir wieder stärker als Verbündete wahrgenomm­en werden. Und dann müssen wir auch liefern.“Deutschlan­d habe sich seiner Meinung nach zuletzt geopolitis­ch ziemlich ausgeruht und müsse nun dringend aus der jahrzehnte­langen Komfortzon­e heraus. Er plädiert weiterhin für eine starke transatlan­tische Partnersch­aft: „Wir müssen unsere gemeinsame­n demokratis­chen Werte, die seit der Finanzkris­e im Ansehen gelitten haben, wieder viel besser propagiere­n und global vertreten.“

Bleibenden Schaden könnte Trump nicht mehr anrichten

Die USA richten sich auch unter Biden nach Asien aus

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Foto: Frank Rumpenhors­t, dpa Was bringt die US‰Wahl für die deutsche Wirtschaft? Der Blick zurück bringt wenig: Deutschlan­d und Europa müssen sich auch unter einem Präsidente­n Biden auf andere Zeiten einstellen.

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