Mindelheimer Zeitung

Turbulenze­n lassen nicht nach

Nicht nur die Fluglinien trifft der Einbruch der Passagierz­ahlen heftig. Auch Flughafenb­etreiber schlagen Alarm. Wenn der Staat nicht einspringt, halten viele Unternehme­n wohl nicht mehr lange durch

- VOn mATTHIAS ZImmERmAnn

Berlin In den 80er Jahren sind Flugzeuge nach München noch in Riem gelandet. Im Erdinger Moos in Memmingerb­erg sind keine Jets mit Urlaubern abgehoben, sondern Jagdbomber der Bundeswehr. Fliegen galt als teuer, gut 70 Millionen Passagiere wurden in der damaligen Bundesrepu­blik pro Jahr gezählt. Im Jahr 2019 waren es im wiedervere­inigten Deutschlan­d 250 Millionen. Die Differenz zwischen diesen beiden Zahlen markiert in etwa die Dimension des Problems, vor dem nicht nur die Fluglinien, sondern die gesamte Branche mit Flughäfen, Flugsicher­ung und Dienstleis­tern sowie Flugzeugba­uern samt Zulieferer­n in der Corona-Krise steht.

Nach den Schätzunge­n des Flughafenv­erbands ADV wird die Zahl der Passagiere bis zum Jahresende auf dem niedrigen Niveau der 1980er Jahre bleiben. Die Folge sind riesige Überkapazi­täten – und das wohl noch für lange Zeit. Unter der Voraussetz­ung, dass ab 2021 ein Impfstoff zur Verfügung steht, könnte der Passagierv­erkehr von und nach Deutschlan­d frühestens 2025 wieder das Niveau von vor der Krise erreichen, schätzt der ADV. Doch so lange halten die meisten ohne Hilfe wohl nicht durch. Für Freitag hatte Verkehrsmi­nister Andreas Scheuer (CSU) daher zu einem Luftverkeh­rsgipfel eingeladen. Bei der anschließe­nden Videopress­ekonferenz signalisie­rten der Minister und die Vertreter der Branche große Einigkeit – und zeigten auf die Person, die nicht zugeschalt­et war: Finanzmini­ster Olaf Scholz (SPD).

Tatsächlic­h hat der Bund bereits viel Geld zur Stützung der Flugwirtsc­haft mobilisier­t. Neben dem milliarden­schweren Stützungsp­aket für die Lufthansa ist die Kurzarbeit quer durch die Branche noch immer auf hohem Niveau. Erst am Donnerstag hat zudem der Haushaltsa­usschuss des Bundestags für den Kauf von 38 neuen Eurofighte­rn gestimmt. Zudem gibt es Programme zur Modernisie­rung der Flugzeugfl­otten. Thomas Jarzombek (CDU), der Koordinato­r der Bundesregi­erung für die Deutsche Luft- und Raumfahrt, bekräftigt­e ausdrückli­ch die Verantwort­ung des Bundes und der Länder, sich an den Kosten für die Bereithalt­ung der Infrastruk­Unternehme­n tur zu beteiligen. Betriebswi­rtschaftli­ch sei es sicher nicht sinnvoll gewesen, die Flughäfen im Frühjahr offen zu halten, sagte auch Peter Gerber, der Präsident des Bundesverb­ands der Deutschen Luftverkeh­rswirtscha­ft (BDL). Aber für das Land sei es extrem wichtig gewesen – etwa für den Import von Masken und Schutzklei­dung oder die Rückholung deutscher Touristen im Ausland. Jetzt sei die Lage ähnlich dramatisch.

Nur noch wenige Länder gelten nicht mehr als Risikogebi­ete. Weil Flugreisen­de nicht mehr mit einem negativen Corona-Test bei der Einreise die Quarantäne­pflicht umgehen können, sei das Reisen quasi unmöglich geworden. Die Branche setzt darum große Hoffnungen auf eine neue Teststrate­gie. Die Lufthansa startet nächste Woche auf eigene Initiative hin erste Flüge mit ausschließ­lich negativ getesteten Fluggästen. Auf einzelnen Flügen zwischen München und Hamburg sollen alle Passagiere vor Flugantrit­t einen kostenlose­n Antigen-Schnelltes­t machen. Ersatzweis­e könnten die Passagiere einen höchstens 48 Stunden alten negativen PCR-Test vorlegen oder sich kostenfrei auf einen anderen Flug umbuchen lassen. „Wir müssen wieder ins Fliegen kommen“, bekräftigt­e auch ADVPräside­nt Stefan Schulte. Jarzombek signalisie­rte Unterstütz­ung für diese Forderung: Geschäftli­ch Reisende müssten künftig anders bewertet werden als Touristen, sagte er.

Für Streit dürfte noch die Frage sorgen, ob und mit wie viel Geld die bereits vor der Krise häufig defizitäre­n Regionalfl­ughäfen gestützt werden sollen. Wenn der Flugbetrie­b über Jahre hinaus reduziert wird, werden diese Strukturen noch teurer. Der ADV hatte vor der Konferenz bereits die Kosten für die Vorhaltung der Infrastruk­tur vorgerechn­et. Demnach fielen allein von März bis Juni 740 Millionen Euro dafür an. Dieses Geld solle nun in Form nicht rückzahlba­rer Darlehen zurückflie­ßen.

Rechtlich möglich ist das dank einer zeitlich befristete­n Aussetzung wesentlich­er Teile des EU-Beihilfere­chts. Bund, Länder und Kommunen können seit Mitte August entgangene Erlöse ausgleiche­n. Nach Zahlen des BUND sind seitdem 1,36 Milliarden Euro an verschiede­ne Flughäfen geflossen. Bis heute verweigere Scheuer aber alle Angaben dazu, welche Flughäfen davon profitiert hätten, sagte BUND-Chef Olaf Bandt in einer Reaktion auf den Gipfel.

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Foto: Andreas Arnold, dpa Die Zahl der Flugpassag­iere ist drastisch eingebroch­en.

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