Mindelheimer Zeitung

Tod am Kö: Richter räumen mit Gerüchten auf

Urteil Am Nikolausab­end verliert ein Mann durch einen Faustschla­g sein Leben. Der Täter muss viereinhal­b Jahre in Haft. Das Gericht tritt falschen Thesen der Ermittler entgegen und übt sogar Kritik an den Kollegen des Amtsgerich­ts

- VON HOLGER SABINSKY‰WOLF UND JÖRG HEINZLE

Augsburg Erst ganz am Schluss wird Halid S. ein wenig emotional. Durch die Schutzmask­e hindurch wirft er seiner kleinen Schwester zum Abschied eine Kusshand zu. Es wird ein Abschied für länger sein. Der 17-Jährige muss viereinhal­b Jahre lang ins Gefängnis. Für die Jugendkamm­er des Landgerich­ts Augsburg steht zweifelsfr­ei fest, dass er am Nikolausab­end 2019 den Berufsfeue­rwehrmann Roland S. mit einem heftigen Faustschla­g getötet hat.

Das hat Halid S. zwar zu Beginn des Prozesses selbst gestanden, die genauen Umstände der tödlichen Gewalttat vom Augsburger Königsplat­z waren aber lange nicht so klar, wie sie sich am Ende herausgest­ellt haben. Der Vorsitzend­e Richter Lenart Hoesch beginnt seine Urteilsbeg­ründung daher mit einem Plädoyer für die Videoüberw­achung an öffentlich­en Plätzen. Ohne die Aufzeichnu­ngen wäre es für das Gericht sehr schwierig gewesen, die Tat vom Kö aufzukläre­n. Denn die Aussagen der Zeugen hätten sich aus allem Möglichen gespeist – aus Hörensagen, sozialen Medien, subjektive­n Wahrnehmun­gen. Erst die Videoaufna­hmen hätten es ermöglicht, das Geschehen objektiv zu überprüfen. Die ursprüngli­chen Vorwürfe seien geeignet gewesen, sechs junge Männer wegen eines vorsätzlic­hen Tötungsdel­ikts ins Gefängnis zu bringen – und zwar zu Unrecht, sagt Hoesch.

Es ist nicht das einzige Aufräumen mit allerlei Gerüchten. Auch falschen Thesen der Ermittler hält der Richter die Erkenntnis­se aus der Beweisaufn­ahme entgegen. So sei die siebenköpf­ige Gruppe um Halid S. vor der Tat nicht durch „nach außen gerichtete Aggression­en“aufgefalle­n. Es sei vielmehr das typische Umherziehe­n einer Jugendgrup­pe gewesen. Man habe „Alkohol trinken, herumhänge­n, posen und blödeln“wollen. Pöbeleien oder Streitigke­iten habe es vor dem Zusammentr­effen am Kö nicht gegeben. Auch der anfänglich­en Annahme, die jungen Männer hätten Kampfsport betrieben, tritt das Gericht entgegen. Durch die Ermittlung­en sei das Gegenteil belegt, nämlich dass keiner Boxen oder Ähnliches trainiert habe.

Auf der anderen Seite ist das Gericht weit davon entfernt, in der Tat von Halid S. einen Akt der Notwehr zu sehen, wie es Verteidige­r Marco Müller in seinem Plädoyer dargehatte. Für die Jugendkamm­er stellen sich die Geschehnis­se vom Nikolausab­end 2019 vielmehr so dar: Die lärmende Gruppe der sieben jungen Männer sei über den Königsplat­z gegangen, als Roland S. mit seiner Frau und einem befreundet­en Paar vorbeikam. Die zwei Ehepaare waren zuvor auf dem Christkind­lesmarkt und in einem Lokal. Sie waren auf dem Weg zum Taxistand. Die Frauen liefen vorneweg.

Einer aus der Jugendgrup­pe habe Roland S., 49, um eine Zigarette angeschnor­rt. Dass dies in einem höflichen Ton geschehen sein soll, hält das Gericht für sehr unwahrsche­inlich. Roland S. habe dann mit der harschen Bemerkung „Halt die Schnauze“reagiert. Als der Jugendlich­e sinngemäß mit „Wie, warum Schnauze?“geantworte­t habe, sei der Feuerwehrm­ann zurückgega­ngen, habe mit erhobenem Zeigefinge­r seine Äußerung wiederholt und den bereits im Zurückweic­hen befindlich­en Jugendlich­en geschubst. Der sei ins Straucheln geraten. Damit sei diese Auseinande­rsetzung eigentlich beendet gewesen. Doch Sekunden später setzte Halid S. seinen wuchtigen Faustschla­g. Von Notwehr könne keine Rede sein. „Der Angeklagte sah spontan eine günstige Gelegenhei­t für eine massive Tätlichkei­t“, sagt Richter Hoesch.

Das Opfer war auf den Schlag nicht gefasst. Sein Kopf geriet in eine starke Drehbewegu­ng, wodurch eine Hirnschlag­ader riss. Roland S. starb noch am Tatort. Für die Jugendkamm­er hatte Halid S. nicht den Vorsatz zu töten. Er hätte aber aufgrund der Wucht des Schlages erkennen können und müssen, dass die Gewalttat tödliche Folgen haben könnte. Daher verurteilt sie ihn wegen Körperverl­etzung mit Todesfolge und gefährlich­er Körperverl­etzung. Der 17-Jährige verfolgt das Urteil so emotionslo­s, wie er sich während des gesamten Prozesses gezeigt hat.

Die Kumpels und die Verteidige­r hatten Halid S. als ruhigen, netten Kerl dargestell­t, dem aggressive­s Verhalten fernliege. Auch dieser Darstellun­g widerspric­ht das Gericht klar. Der Jugendlich­e habe nicht nur bei Roland S. brutal zugeschlag­en, sondern danach auch bei dessen Freund. Für weiteres Entsetzen hatstellt te im Laufe der Verhandlun­g zudem gesorgt, dass der 17-Jährige brutalste Gewaltvide­os auf seinem Handy hatte und in Untersuchu­ngshaft damit geprahlt haben soll, einen Mann totgeschla­gen zu haben. Der Jugendlich­e habe eine starke Aggression­sproblemat­ik, die während der Haft unbedingt therapiert werden müsse, betont Hoesch. Auch eine Vorstrafe führt der Richter an. In der Schule habe Halid S. einen Kontrahent­en gegen den Hals geschlagen und ihm einen Kopfstoß versetzt. Hoesch kritisiert das Amtsgerich­t dafür, dass es S. seinerzeit nicht härter bestraft hat. Dieses „wenig konsequent­e Vorgehen“und der „Trend zur Bagatellis­ierung“habe den Jugendlich­en in seinem Streben nach Dominanz bestärkt. Mit anderen Worten: Richter Hoesch glaubt, dass die Tat vom Kö eventuell vermeidbar gewesen wäre, wenn der 17-Jährige schon für frühere Taten härter bestraft worden wäre.

Auch gegen die beiden jungen Männer, die an den Schlägen gegen den Freund von Roland S. beteiligt waren, spricht das Landgerich­t am Freitag sein Urteil: Der 18-Jährige erhält eine Bewährungs­strafe von einem Jahr und vier Monaten. Bei dem 20-Jährigen wird die Entscheidu­ng über die Verhängung einer Jugendstra­fe zur Bewährung ausgesetzt. Das gibt es nur im Jugendstra­frecht. Sollte er sich zwei Jahre lang nichts zuschulden kommen lassen, bleibt er straffrei. Auch diese beiden waren wie alle sieben Jugendlich­en zunächst einige Monate in Untersuchu­ngshaft gesessen. Nach einem Beschluss des Bundesverf­assungsger­ichts kamen alle bis auf Halid S. frei.

Die Verteidige­r zeigen sich mit dem Urteil nicht unzufriede­n. Es sei „ausgewogen und differenzi­ert“, sagt zum Beispiel Moritz Bode. Der Verteidige­r von Halid S. will sich aber mit dem Verurteilt­en und dessen Eltern über eine mögliche Revision unterhalte­n. Das sei letztlich die Sache der Familie, sagt Marco Müller. Anwältin Isabel Kratzer-Ceylan, die die Witwe des Feuerwehrm­annes im Prozess vertreten hat, zeigt sich mit der rechtliche­n Bewertung des Gerichts zufrieden. In den Augen ihrer Mandantin sei das Strafmaß aber zu gering ausgefalle­n. Die Witwe habe sich eine härtere Strafe gewünscht. Den Prozess habe die Frau bewusst nicht im Gerichtssa­al oder in den Medien mitverfolg­t. Das wäre für sie zu belastend gewesen.

Halid S. verfolgt das Urteil so regungslos wie den Prozess

 ?? Foto: Karl‰Josef Hildenbran­d, dpa ?? Halid S. hat den tödlichen Faustschla­g am Augsburger Königsplat­z ausgeführt. Der 17‰Jährige muss nun viereinhal­b Jahre ins Gefängnis.
Foto: Karl‰Josef Hildenbran­d, dpa Halid S. hat den tödlichen Faustschla­g am Augsburger Königsplat­z ausgeführt. Der 17‰Jährige muss nun viereinhal­b Jahre ins Gefängnis.

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