Mindelheimer Zeitung

Wie ein Dorf zum Super‰Hotspot wurde

Pandemie 45 positive Corona-Fälle bei gerade mal 320 Einwohnern – hochgerech­net ein Inzidenzwe­rt von 14000. Wie konnte es so weit kommen im kleinen unterfränk­ischen Ort Dornheim? Die Rekonstruk­tion eines Kontrollve­rlusts

- VON EIKE LENZ

Dornheim Es ist Freitagmit­tag und die Ruhe nach dem Sturm, der zuvor durch das kleine Dornheim gefegt ist; der die Idylle mitgenomme­n hat und ein paar Hoffnungen mit dazu. Die Annahme etwa, dass Corona-Hotspots sich auf Großstädte konzentrie­ren, wo viele Menschen auf engem Raum leben, und dass das platte Land vor großen Ausbrüchen verschont bliebe. Jetzt ist es anders gekommen.

Kein Ort im Landkreis Kitzingen, keiner in Unterfrank­en ist – gemessen an seiner Einwohnerz­ahl – derart von der Wucht des Coronaviru­s getroffen worden wie Dornheim. Hilflos wie ratlos stehen Einwohner und Behörden einem Geschehen gegenüber, das sich wie ein Lauffeuer durch Häuser, Gassen, ja ganze Straßenzüg­e gefressen hat. Es ist die Bestätigun­g für einen Verdacht: Der Nährboden des Virus liegt im privaten Raum.

Vor allem eine Zahl ist es, die das ganze Ausmaß des Desasters deutlich macht: 14 000. So hoch wäre der Sieben-Tage-Inzidenzwe­rt in Dornheim, hochgerech­net auf 100000 Einwohner. Die Zahl lässt sich relativ leicht errechnen: Man muss die 45 positiv getesteten Personen ins Verhältnis der 320 Einwohner setzen. Schon landet man bei diesem unglaublic­hen Wert. Nur, wie konnte es so weit kommen?

Dornheim ist einer von sieben Iphöfer Stadtteile­n im Landkreis Kitzingen. Viel gibt es hier draußen nicht: Feuerwehr, Schützen, Landfrauen – und die Kerwabursc­hen über die es in einem Zeitungsar­tikel von 2015 heißt: „Eine lustige Gesellscha­ft, nicht nur, aber vor allem zur Kirchweih.“Die Kirchweih also, das wohl wichtigste Fest im Jahr. Sie hätte auch heuer am Wochenende vom 16. bis 18. Oktober stattfinde­n sollen. Doch schon im hatten sich die maßgeblich­en Vertreter darauf verständig­t, sie wegen Corona ausfallen zu lassen. An dieser Stelle könnte die Geschichte zu Ende sein. Damit fängt sie jedoch erst an. Denn was sich dann zuträgt, wird mutmaßlich dafür verantwort­lich sein, dass der Ort zum Hotspot der Region wächst.

Die Handlung im relevanten Zeitraum zu rekonstrui­eren, ist nicht ganz einfach. Weil es keinen gibt, der offen darüber sprechen will. Das Bild, das sich bei den Recherchen ergeben hat, basiert auf Erzählunge­n von Menschen aus dem Ort, die bereit waren, ihr Wissen mitzuteile­n – unter der Bedingung, dass ihr Name nicht erscheint. Sie fürchten sonst Nachteile im Dorf, in dem jeder jeden kennt. Unist, dass die Ausbrüche auf private Feierlichk­eiten zurückgehe­n, die – auch das gehört zur Wahrheit – zu dieser Zeit nicht verboten waren.

Der Kerwa-Freitag fiel in ein Zeitfenste­r, in dem der Sieben-Tage-Inzidenzwe­rt im Landkreis Kitzingen noch unter der als kritisch angesehene­n Grenze von 35 Neuinfekti­onen lag. „Am Wochenende, an dem die Feier stattfand, waren private Feiern mit 100 Personen noch erlaubt“, schreibt das Kitzinger Landratsam­t auf Anfrage.

Die Tradition in Dornheim sieht vor, am Kirchweihs­amstag gemeinsam den Kerwa-Baum aufzustell­en. Dieser Teil des Brauchtums sollte auch in Corona-Zeiten nicht geopfert werden. Am frühen Abend richVorfel­d teten die Jugendlich­en also am Dorfplatz den stattliche­n Baum auf und verließen anschließe­nd den Platz – offenbar, um sich privat zu treffen und eine „Ersatz-Kirchweih“zu feiern. Zwei Partys, die offenbar aus dem Ruder liefen. Den ganzen Abend soll in der Scheune ein reges Kommen und Gehen geherrscht haben, die Zahl der Teilnehmer lässt sich deshalb nur schwer eingrenzen.

Über den weiteren Ablauf des Abends gibt es nur vage Angaben – auch darüber, ob Rituale wie das gemeinsame Trinken aus ein und demselben Maßkrug, möglicherw­eise unter dem Einfluss von entspreche­nd viel Alkohol, auch bei dieser Gelegenhei­t praktizier­t wurden. „Es wäre keine Kirchweih, wenn es anumstritt­en ders wäre“, sagt eine Person aus dem Umfeld. Bewiesen ist das nicht.

Tags darauf zogen die Burschen durch den Ort und hängten an manchen Anwesen Plakate mit den schönsten Anekdoten des vergangene­n Jahres auf. Auf der Straße wurde Bier ausgeschen­kt, es ging lustig zu. Und im Dorf standen – von der Stadt Iphofen genehmigt – ein Kinderkaru­ssell und eine Süßwarenbu­de. Ob es auch hier zu kritischen Kontakten kam, ist unklar. Wenige Tage später traten im Ort die ersten Corona-Fälle auf.

Obwohl kein offensicht­licher Verstoß vorlag, ließ sich das Landratsam­t von „Teilnehmer­n“schildern, dass „20 bis 25 Personen rein privat gefeiert“hätten. Weiter heißt es: „Ein Hygienekon­zept wurde uns vorgelegt.“Wie viele der 320 Einwohner Dornheims in Quarantäne waren oder sind, kann das Amt nicht sagen. Für die Behörden ist der Fall damit erledigt. Doch was ist mit den Menschen im Dorf? Wie sehr wird diese Geschichte die Gemeinscha­ft belasten? „Im Moment hat man das Gefühl, dass das Dorf zusammenhä­lt. Man hilft einander, etwa beim Einkaufen“, heißt es. Und: „Man sucht keine Schuldigen. Die werden eher von Leuten aus anderen Dörfern gesucht.“

Als kürzlich im Ort ein Wohnhaus brannte, konnte die örtliche Feuerwehr nicht ausrücken. Es gab einfach zu viele infizierte Wehrleute. Von der Wucht der Ereignisse getroffen, sagt Iphofens Bürgermeis­ter Dieter Lenzer: „Private Feiern sind zu unterlasse­n.“

Dass die Dynamik nicht abgeschlos­sen ist, zeigen die aktuellen Zahlen des Landratsam­ts. Im Iphöfer Stadtteil Dornheim gibt es – Stand heute – nach Auskunft des Landratsam­ts noch 16 infizierte Personen. Damit läge der errechnete Inzidenzwe­rt pro 100000 Einwohner bei etwa 5000.

 ?? Foto: Eike Lenz ?? Kein Ort in Unterfrank­en ist – gemessen an seiner Einwohnerz­ahl – derart von der Wucht des Coronaviru­s getroffen worden wie Dornheim im Landkreis Kitzingen. Das Infektions­geschehen verbreitet­e sich wie ein Lauffeuer.
Foto: Eike Lenz Kein Ort in Unterfrank­en ist – gemessen an seiner Einwohnerz­ahl – derart von der Wucht des Coronaviru­s getroffen worden wie Dornheim im Landkreis Kitzingen. Das Infektions­geschehen verbreitet­e sich wie ein Lauffeuer.

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