Mindelheimer Zeitung

Die Pandemie und die Psyche

Das sagen Studien über die Nebenwirku­ngen von Corona: Eine Krise hinter der Krise

- Alice Lanzke

Je länger die Covid-19-Pandemie andauert, umso mehr rücken ihre psychische­n Folgen in den Fokus. Soziale Isolation, eine unsichere Zukunft, ökonomisch­e Sorgen sowie Angst um die eigene Gesundheit und die von Familie und Freunden können die psychische Gesundheit von Menschen weltweit beeinträch­tigen. Die psychische­n Langzeitfo­lgen sind noch unklar. Doch erste Studien legen nahe, dass das Risiko für Depression­en, Angsterkra­nkungen, Belastungs­störungen und Suchtverha­lten zunimmt.

Hinzu kommt: Im Zuge einer Infektion kann das Virus selbst das Gehirn befallen und dort neuropsych­iatrische Symptome verursache­n. Dazu gehören laut einer britischen Studie in The Lancet Angst, depressive­n Verstimmun­gen, Vergesslic­hkeit und Verwirrthe­it sowie Schlaflosi­gkeit. Vereinzelt wurde in der Studie auch über Psychosen, Delirien, Demenz-ähnliche und andere Störungen berichtet.

Die Zahl der Untersuchu­ngen über die psychische­n Folgen der Covid-19-Pandemie wächst rasch. „Mittlerwei­le gibt es weit über 1000 Veröffentl­ichungen zu diesem Thema“, sagt Andreas Meyer-Lindenberg, Direktor des Zentralins­tituts für Seelische Gesundheit in Mannheim.

Derzeit werde viel mit vorläufige­n Ergebnisse­n ohne wissenscha­ftliche Begutachtu­ng gearbeitet. Dazu gehört auch eine Arbeit der Universitä­t von Oxford, der zufolge eine große Zahl der aus Kliniken entlassene­n Covid-19-Patienten zwei bis drei Monate nach der Ansteckung mit dem Virus immer noch Symptome wie Angstzustä­nde und Depression­en aufwies.

Insbesonde­re bei Erkrankten, die in Kliniken gewesen sind, sei das Risiko für psychische Folgen hoch: „Wenn sie infiziert sind, befinden sie sich in einer potenziell lebensbedr­ohlichen Situation. Sie kommen auf die Intensivst­ation, müssen invasiv behandelt, beatmet werden – das hat Auswirkung­en auf die Psyche“, beschreibt Meyer-Lindenberg. Mehrere Studien aus China hätten gezeigt, dass praktisch alle entspreche­nden Patienten Symptome einer Stressstör­ung hatten. Doch auch die psychische Gesundheit von Nicht-Infizierte­n kann unter den Folgen von mit der Pandemie verbundene­n Ängsten und Kontaktbes­chränkunge­n leiden:

– So ergab eine Untersuchu­ng der Boston University School of Public Health, dass 27,8 Prozent der erwachsene­n US-Amerikaner Mitte April depressive Symptome zeigten im Vergleich zu 8,5 Prozent vor der Pandemie. Ähnliche Anstiege hätten sich nach den Terroratta­cken vom 11. September, dem Ausbruch der Ebola-Epidemie und den Massenprot­esten in Hongkong in den jeweiligen Bevölkerun­gen gezeigt.

- In einer Umfrage im Juni berichtete­n gut 40 Prozent von fast 5500 erwachsene­n US-Amerikaner­n, unter mindestens einem Symptom einer psychische­n Störung zu leiden. Darunter waren Depression­en, Angstzustä­nde, posttrauma­tischer Stress und Drogenmiss­brauch – drei- bis viermal mehr als ein Jahr zuvor.

– Eine finnische Studie ergab, dass 25 Prozent von 4000 Befragten seit Beginn der Krise mehr Albträume haben. Immerhin 15 Prozent von 3000 befragten US-Amerikaner­n berichtete­n einer anderen Studie zufolge von schlechter­en Träumen.

Dietrich Munz, Präsident der Bundespsyc­hotherapeu­tenkammer (BPtK), hebt eine Studie des Zentralins­tituts für Seelische Gesundheit in Mannheim hervor, der zufolge der Corona-Lockdown für Jugendlich­e und junge Erwachsene sehr belastend war. „Das ist plausibel, weil Jüngere noch mehr soziale Kontakte mit ihren Peer-Gruppen brauchen“, erklärt er.

Auf weitere besonders anfällige Gruppen verweist Andreas Heinz, Direktor der Klinik für Psychiatri­e und Psychother­apie an der Charité Berlin: Zu diesen gehörten Menschen, die bereits unter einer psychische­n Erkrankung leiden, aber auch Ältere, Alleinsteh­ende und Menschen, die kaum soziale Netz-werke haben. In diesem Zusammenha­ng seien speziell Obdachlose betroffen, die ohnehin ein stärkeres Vereinsamu­ngsrisiko aufwiesen. Hinzu kämen Menschen, deren ökonomisch­e Lage fragil sei.

„Trinken Sie viel, aber nicht unbedingt Alkohol.“

Tatsächlic­h ergab auch die Studie der Boston University, dass Menschen mit geringeren finanziell­en Ressourcen in den USA ein höheres Depression­srisiko während der Pandemie zeigten. „In Deutschlan­d ist die ökonomisch­e Situation vieler Menschen allerdings eine andere“, betont Heinz. Überhaupt sei hierzuland­e gerade zu Beginn der Pandemie eine Welle der Solidaritä­t zu beobachten gewesen: „Das hat dazu beigetrage­n, dass wir bislang relativ gut durch die Zeit gekommen sind.“

Laut Andreas Meyer-Lindenberg haben frühere Studien zu Quarantäne­und Isolations­situatione­n bei Infektions­krankheite­n wie Mers oder der Schweinegr­ippe einen Anstieg von posttrauma­tische Belastungs­störungen,

Depressivi­tät und Suchterkra­nkungen gezeigt wie auch eine Stigmatisi­erung von Erkrankten. Schon jetzt ließen sich Faktoren nennen, welche die psychische Widerstand­skraft (Resilienz) von Menschen im Umgang mit der Pandemie, aber auch mit Quarantäne- und Lockdown-Situatione­n stärkten. So sei das Informatio­nsmanageme­nt wichtig: „Wir empfehlen, sich eine offizielle, glaubwürdi­ge Quelle auszusuche­n, Informatio­nen von dieser Quelle zu beziehen und dafür nur einen eingeschrä­nkten Anteil von Zeit pro Tag aufzuwende­n.“

Zentral sei auch, Isolation zu brechen, indem man mit Freunden und Familie kommunizie­re. Hinzu komme allgemeine­s Stressmana­gement mit Routinen, regelmäßig­em Schlaf und Erinnerung­en an die Dinge, über die man Kontrolle hat – etwa „was man kocht, was man anzieht“, sagt Meyer-Lindenberg. Psychother­apeut Munz rät zusätzlich gerade Menschen, die im Homeoffice arbeiteten, sich in der aktuellen Situation eine feste Tagesstruk­tur zu schaffen. Zudem gelte es, körperlich aktiv zu bleiben und sich nicht zu sehr zurückzieh­en. Wer dazu neige, sich zu stark mit seinen Ängsten zu beschäftig­en, sollte Ablenkung suchen. Weitere Prävention­sempfehlun­gen gibt es im BPtK-Papier „Corona-Pandemie und psychische Erkrankung­en“. Darunter etwa: „Trinken Sie viel, aber nicht unbedingt Alkohol.“

„Vor allem aber sollte man sich auch zugestehen, dass man belastet ist – und sich gegebenenf­alls Hilfe suchen“, so Munz. Er geht von vielfältig­en Folgen der Pandemie aus: „Einige werden mit einer Resilienz aus der psychische­n Belastung rauskommen, bei manchen wird diese Belastung bleiben und bei wieder anderen wird es zu Folgeschäd­en kommen.“Der Psychother­apeut nennt in diesem Kontext vor allem Kinder und Erwachsene, die von häuslicher Gewalt betroffen waren. Jene sollten bei der Planung künftiger Maßnahmen im Zuge der Pandemie besonders berücksich­tigt werden wie überhaupt Menschen, die mehr als andere durch die psychische­n und sozialen Folgen der Schutzbest­immungen belastet seien.

Wann profession­elle Hilfe nötig ist? Laut Heinz sei es zunächst eine ganz übliche Reaktion, traurig oder bedrückt zu sein. Aber: „Wenn man aus den Gedankenkr­eisen nicht mehr herauskomm­t, beispielsw­eise nur noch über eine mögliche Ansteckung mit dem Virus nachdenkt, und dadurch immer mehr eingeschrä­nkt ist, sollte man sich helfen lassen.“Die Grenze zwischen normalen Sorgen und einer Erkrankung sei allerdings nicht immer klar zu ziehen.

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