Raumschiff Surprise
Neuvorstellung Wer Mercedes oder gar die ganze deutsche Autoindustrie schon abgeschrieben hat, sollte sich von der neuen S-Klasse überraschen lassen. Der Sternenkreuzer macht einen technologischen Quantensprung
Die S-Klasse ist das wichtigste Auto des Jahres. Für Daimler sowieso, aber auch für andere deutsche Hersteller. Der traditionell technisch hochgerüstete Luxusliner muss nämlich die Frage beantworten: Was hat die deutsche Autobranche in Zeiten von Digitalisierung und Konkurrenzdruck durch Tesla, Silicon Valley und Co noch drauf?
Technologieträger S-Klasse. Von außen würde man das nicht vermuten. Hier gilt: S-Klasse bleibt S-Klasse fürs konservative Publikum aus der Führungsetage. Selbst die Türgriffe aus Chrom kann man noch bestellen, obwohl die Limousine eigentlich mit versenkbaren Griffen ausgestattet ist. Dass das Interieur mit schwelgerischem Luxus von dezent bis protzig aufwartet – nicht verwunderlich.
Sobald aber der Startknopf gedrückt wird, zeigt die S-Klasse, was sie wirklich ist. Raumschiff Surprise: ein Cockpit wie in einem GeorgeLucas-Sternenkreuzer. Informationen gibt es gleich auf drei Displays. Einmal auf der digitalen 12,3 Zoll großen Tacholandschaft hinter dem Lenkrad, die sich entweder mit den zwei bekannten silberfarbenen Rundinstrumenten bestücken lässt oder mit einem tiefroten ScienceFiction-Layout aufwartet. Alles in 3D-Optik, die ganz ohne Spezialbrille funktioniert.
Wer sich auf die Straße konzentrieren will, benützt das neue und riesige Head-Up-Display. Es liegt tiefer als sonst, so als ob es über der Straße direkt vor dem Auto schweben würde. Über das HUD erfährt man alle wichtigen Fahrdaten, außerdem jagt ein kleiner blauer Pfeil über die Scheibe und zeigt einem exakt an, wo man abbiegen muss. Augmented Reality (AR) heißt das.
Und dann gibt es noch den zentralen Bildschirm, der brettlbreit auf der Mittelkonsole thront. Optional 12,8 Zoll groß und mit hochauflösender OLED-Technik. Hier kann man seiner S-Klasse beim Einparken zusehen. Nicht nur von oben, sondern sogar von schräg seitlich, so als ob eine Drohne darüber schweben würde. Schont die Felgen. Beim Abbiegen hilft ebenfalls die AR. Nur dass die blauen Pfeile dieses Mal über das Livebild der Frontkameras flitzen, um Orientierung zu geben. So praktisch und gut das auch sein mag: Wer alle Systeme gleichzeitig in Betrieb hat, fühlt sich von der farbigen Digitalwelt leicht überfordert.
Verblüffend sind die Fähigkeiten der S-Klasse beim automatischen Fahren. Denn Daimler bietet ab Mitte des nächsten Jahres Stufe 3 an. Bis Tempo 60 macht das Auto dann
geeigneten Autobahnabschnitten alles selbst. Erstmalig gibt der Fahrer damit seine Verantwortung ab. Jetzt bewegt Daimler die S-Klasse mit allen Konsequenzen und der Fahrer kann sich anderen Dingen widmen, wie zum Beispiel dem Checken und Schreiben von E-Mails.
Wie gut der Drive Pilot funktioniert, zeigte Mercedes auf dem konzerneignen Testgelände in Immendingen. Die S-Klasse bewegte sich in einem Pulk von Autos nicht nur sicher mit oder leitete die nötige
Notbremsung am Stau-Ende ein, sondern bildete sogar eine Rettungsgasse. Möglich ist das nur, weil neue Techniken an Bord sind. Mit dem Laser-Radar Lidar lässt sich die Gegend viel genauer anschauen – aber auch hochauflösende Karten spielen eine Rolle. Ab Level 3 müssen die Werte bis auf den Zentimeter genau stimmen – sogar die Kontinentaldrift wird mit berechnet.
Bewegt wird die S-Klasse konventionell. Noch. Am Start stehen vorerst die beiden Reihen-Sechszylinder. Als Benziner leistet die Maauf schine 367 respektive 435 PS, zusätzlich wird sie von einem StarterGenerator angeschoben. Das Diesel-Aggregat verfügt über 286 oder 330 PS. Das Drehmoment steigt beim Selbstzünder um 100 auf 600 Newtonmeter.
Spannend wird es bei den alternativen Antrieben. Die elektrische S-Klasse lässt zwar noch auf sich warten. Aber in greifbare Nähe rückt der Plug-in-Hybrid, der im Frühjahr kommt. Wir fuhren schon den S 580e – und haben dadurch einen ersten Eindruck bekommen, wie sich der elektrische Bruder anfühlen wird. Denn der Plug-In-Hybrid kommt mit seiner 143 PS großen E-Maschine rund 100 Kilometer weit. Sie ist so stark, dass selbst bei dynamischer Testfahrt über Landstraßen der 367-PS-Benziner nie eingreifen musste. Trotz 200 Kilogramm mehr war der Fahrspaß groß – dank des tieferen Schwerpunkts.
● Unser Fazit Mercedes hat verstanden. Wer in der Premiumklasse ganz oben mitmischen will, muss die digitale Welt beherrschen. Mit Level 3 bietet Mercedes jetzt das erste Serienauto in Deutschland an, das hoch automatisiert fahren kann. Ein Luxus, der wertvoller ist als Lack und Leder.