Mindelheimer Zeitung

„Ohne den Willen zur Macht geht es nicht“

Interview Ständig präsent sein, ständig erreichbar und ständig in der Öffentlich­keit: Ist der Druck auf die Politiker zu groß? Die Journalist­en Peter Dausend und Horand Knaup über die Schattense­iten des Berliner Betriebes

- Interview: Christian Grimm

Sie zeichnen ein erschütter­ndes Bild des Politikbet­riebs. Machtverse­ssene Narzissten fällen die Entscheidu­ngen über die Zukunft des Landes. Sie schildern Sucht, Wutausbrüc­he und fliegende Aktenordne­r, zerrüttete Familien. Ist dieses System krank?

Dausend: Die Tage von Abgeordnet­en, Staatssekr­etären und Ministern sind ohne Frage extrem vollgepack­t. Da wird auf Verschleiß gefahren. Wolfgang Bosbach hat unser Buch vorgestell­t und dabei erzählt, dass er seine Büroleiter­in am meisten vermisst. Die hat ihm früher als Abgeordnet­er jeden Morgen einen Laufzettel in die Hand gedrückt. Der wusste nach seinem Ausscheide­n aus dem Bundestag gar nicht mehr, was er zu machen hatte. Früher war der ganze Tag für ihn verplant bis in die späten Abendstund­en hinein. Was den Druck in den letzten Jahren verstärkt hat, sind die sozialen Medien. Die Abgeordnet­en müssen sich permanent äußern oder haben zumindest das Gefühl, das tun zu müssen. Und sie werden auch bei Facebook und Twitter massiv angegriffe­n und bewertet. Diese ständige Präsenzpfl­icht und Erreichbar­keit ist relativ neu. Das macht das Leben von Abgeordnet­en härter, als es vor 15 Jahren war.

Knaup: Neu sind auch die offene Aggression und der Hass, den Politiker zu spüren bekommen. Es gibt viele Fälle von Morddrohun­gen. Claudia Roth wird damit überzogen, aber auch unbekannte­re Abgeordnet­e wie Helge Lindh oder Karamba Diaby von der SPD.

der Kommandoto­n. Die CSUPolitik­erin Emmi Zeulner aus Franken hat uns erzählt, dass sie ein Ritual hat: Bevor sie zu Hause in Kulmbach durch die Tür geht, hält sie erst mal inne, um Berlin aus sich rauszuschü­tteln.

Hat sich in Ihren Recherchen das Vorurteil bestätigt, hier in Berlin dreht sich eine abgehobene, machtsücht­ige Politikerk­aste nur um sich selbst? Dausend: Eigentlich nicht. Denn was man in Berlin zu wenig sieht und auch in der Betrachtun­g der Hauptstadt­blase außen vor gelassen wird, ist, dass es ein zweites Leben für die Abgeordnet­en gibt, nämlich das im Wahlkreis. Das reale Leben begegnet den Abgeordnet­en jedes Wochenende und in den Nicht-Sitzungswo­chen zu Hause. Es sorgt auch dafür, dass es kein abgehobene­s System ist. Nichtsdest­otrotz ist es ein raues System.

Muss man Mitleid mit den Abgeordnet­en haben?

Knaup: Nein, jeder macht das freiwillig. Und sie bekommen ja auch viel dafür: Aufmerksam­keit, Gestaltung­smöglichke­iten, Anerkennun­g und Bewunderun­g, das Gefühl zu einer Elite zu gehören. Es gibt Privilegie­n wie den Fahrdienst und die Bahncard 100. Die kleinen Sorgen des Alltags werden einem auch abgenommen. Wenn man es nicht schafft, besorgt ein Mitarbeite­r die Geschenke für den Geburtstag der Kinder. Unions-Fraktionsc­hef Ralph Brinkhaus hat uns erzählt, dass er in seinen ersten Wochen als Parlamenta­rier immer auf den großen Adler im Plenarsaal schaute und sich dachte: „Das ist jetzt ein Traum.“

Die schöne Seite der Macht ist nur eine der beiden…

Knaup: Ja, aber ohne den absoluten Willen zur Macht geht es nicht, wenn du ganz nach vorne willst. Gerhard Schröder hat am Zaun des Kanzleramt­es gerüttelt. Angela Merkel hat im richtigen Moment Helmut Kohl und Wolfgang Schäuble zur Seite gekickt. Das könnte auch ein Defizit von Olaf Scholz sein, wenn er in dieser Hinsicht nicht zulegt. Bei Laschet steckt mehr Power dahinter, obwohl es nicht so wirkt.

Dausend: Gerade beobachten wir allerdings auch das Problem, dass Politiker reihenweis­e Macht fliehen. fast vor der

Wo zeigt sich das?

Dausend: Am auffälligs­ten war es bei der SPD. Andrea Nahles war als Partei- und Fraktionsc­hefin demontiert und es ging um ihre Nachfolge. Doch niemand wollte es machen. Da wurden erst die Ministerpr­äsidenten abgeklappe­rt, auch Olaf Scholz als Vizekanzle­r winkte ab. Wir haben für das Buch mit Leuten gesprochen, die gesagt haben, ich will mir das nicht antun. Ich lasse die Chance an mir vorbeizieh­en. Ein Abgeordnet­er sagte uns zwei Gründe dafür: Ich will nicht so hart attackiert werden wie Nahles von den Parteifreu­nden und den Medien. Und ich will selber nicht hart werden, verhärten und andere brutal niedermach­en.

Zeigt Grünen-Chef Robert Habeck nicht, dass es anders gehen kann? Er will dezidiert offenbleib­en, nicht immer sofort eine Antwort präsentier­en müssen, sensibel sein.

Dausend: Er war auf dem Weg, anders zu sein. Er spricht anders, gibt sich suchend, folgt nicht dem Reflex, alles schlechtzu­reden, was von der Regierung kommt. Das war so lange erfolgreic­h, bis er Fehler machte, also sich inhaltlich nicht auskannte bei der Pendlerpau­schale und der Finanzaufs­icht. Dann wurde er hart attackiert. Der Wille zur Macht hilft einem dabei, solche Phasen zu überstehen. Ob Habeck hart genug ist, weiß ich nicht. Die Zweifel an ihm sind allerdings gewachsen in den letzten Monaten.

Knaup: Mit der Macht ist es ambivalent. Einerseits kommt schnell der Vorwurf der Wähler, der oder die ist nur machtgeil, auf die Inhalte kommt es ihm oder ihr gar nicht an. Anderersei­ts gibt es auch die Sehnsucht nach einem starken Anführer. Markus Söder zum Beispiel strahlt mit jeder Pore aus, die Macht zu wollen. Hinter seiner Entschiede­nheitsrhet­orik versteckt er ja auch erfolgreic­h, dass es in Bayern mit der Eindämmung von Corona gar nicht so toll läuft. Seine Beliebthei­tswerte sind dennoch in die Höhe geschnellt.

Ist es nun ein guter oder mieser Job, Politiker in Berlin zu sein?

Knaup: Noch einmal – die Akteure machen das alle freiwillig und niemand kommt zufällig in den Bundige, destag oder wird Minister. Der Job hier ist beides. Sie holen sich ganz viel ab und werden gebauchpin­selt und zwischendu­rch leiden sie und klagen, was für ein Scheiß-Job das alles ist. Es ist Faszinatio­n und Abscheu zugleich.

Was müsste sich ändern, damit der politische Betrieb besser wird?

Knaup: Unser Schlusskap­itel macht einige Vorschläge. Im Parlament räumen fast alle ein, dass der Bundestag mit 700 Abgeordnet­en zu groß ist. Die geplante – kleine – Wahlrechts­reform wird daran nicht viel ändern. Claudia Roth zum Beispiel hält das Ritual für völlig überkommen, dass die Regierung automatisc­h Vorschläge der Opposition abkanzelt, um sie später manchmal wortgleich als die eigenen wieder einzuspeis­en. Bis auf die AfD sprechen sich alle Fraktionen dafür aus, dass mehr Frauen in den Bundestag gehören. Wenn mehr Frauen vertreten sind, zivilisier­t das die Debatte. Dausend: Der Bundestag ist einerseits riesig, anderersei­ts macht er sich klein und exekutiert viel zu stark den Willen von Kanzleramt, Ministeria­lbürokrati­e und dem Koalitions­ausschuss. Fast alle Gesetze stammen vom Regierungs­apparat. Klein macht sich der Bundestag auch gegenüber den Lobbyisten. Ein Lobbyregis­ter ist überfällig, das heißt, bei Gesetzen müssten die Stellen gekennzeic­hnet werden, an denen Lobbygrupp­en Einfluss genommen haben.

1967 in Saarbrü‰ cken geboren, studierte Amerika‰ nistik, Politikwis­senschaft und Engli‰ sche Philologie in Saarbrücke­n. 1995 begann er als Redakteur bei der „Welt“zu arbeiten. Seit 2008 ist er Parlaments­korrespond­ent der „Zeit“in Berlin.

geboren 1959, hat Politik und Geografie studiert. 1995 ging er für die „Badische Zei‰ tung“nach Bonn und wechselte 1998 zum „Spiegel“, für den er viele Jahre aus dem Hauptstadt­büro schrieb, fünf Jahre war er „Spie‰ gel“‰Korrespond­ent in Nairobi. Seit 2017 freier Journalist und Autor. Das Buch „Alleiner kannst du gar nicht sein“: Unsere Volksvertr­eter zwischen Macht, Sucht und Angst , dtv, 464 Seiten, 22 Euro

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Foto: Jens Oellermann, dtv Politische Befindlich­keitsforsc­her: die Journalist­en Peter Dausend (li.) und Horand Knaup vor dem Berliner Reichstag.

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