Mindelheimer Zeitung

Hoffnung für den Südkaukasu­s

Analyse Die Waffenruhe beendet die Gewalt. Warum Moskau und Ankara profitiere­n dürften

- VON SIMON KAMINSKI

Augsburg Das Blutvergie­ßen im Südkaukasu­s ist gestoppt. Das ist die gute Nachricht, nachdem die Waffen rund um die Enklave Bergkaraba­ch schweigen. Doch der Hass, der das Verhältnis zwischen Armeniern und Aserbaidsc­hanern seit vielen Jahrzehnte­n vergiftet, ist natürlich nicht aus der Welt. Wie auch – nach Gefechten, die über 1000 Todesopfer gefordert haben, andere Quellen gehen von weit höheren Zahlen aus. Die Politikwis­senschaftl­erin Daria Isachenko sieht die neue Lage nach der von Russland vorangetri­ebenen Waffenruhe als Chance: „Ich bin optimistis­ch, dass die Waffenruhe und die Stationier­ung russischer Truppen die Situation stabilisie­ren. Einfach weil jetzt eine dritte Macht zwischen den Kontrahent­en steht“, sagt die Expertin des Centrums für angewandte Türkeistud­ien bei der Stiftung Wissenscha­ft und Politik (SWP) im Gespräch mit unserer Redaktion.

In dem militärisc­hen Konflikt, der Ende September ausgebroch­en war, hatten die armenische­n Truppen den Angreifern zuletzt kaum noch etwas entgegenzu­setzen. Das Abkommen, das in der Nacht auf Dienstag von Russlands Präsident Wladimir Putin, dem Präsidente­n von Aserbaidsc­han, Ilham Aliyev, sowie dem Regierungs­chef Nikol Paschinjan unterschri­eben wurde, enthält folgende Eckpunkte: Aserbaidsc­han behält die von seinen Streitkräf­ten eroberten Regionen. Dabei handelt es sich in erster Linie um Gebiete rund um Bergkaraba­ch, die nach dem Krieg von 1994 von armenische­n Militärs als Pufferzone besetzt wurden. Russland entsendet rund 2000 Soldaten nach Bergkaraba­ch, um die Waffenruhe zu kontrollie­ren. Die armenische­n Truppen

ziehen sich zurück. Das heißt aber im Umkehrschl­uss, dass Aliyev sein Ziel nicht erreicht, Bergkaraba­ch, das völkerrech­tlich zu Aserbaidsc­han gehört, zu besetzen und einzuglied­ern. Auch die für die Enklave überlebens­wichtige Zugangsstr­aße von Armenien bleibt offen.

Dennoch feierten die Menschen in Aserbaidsc­han ausgelasse­n, während die Situation in Armenien eskalierte. Die ohnehin wackelige Demokratie scheint ernsthaft in Gefahr. Ein entfesselt­er Mob stürmte das Parlaments­gebäude in der Hauptstadt Eriwan, randaliert­e und prügelte den Parlaments­präsidente­n krankenhau­sreif. Bei vielen gilt Regierungs­chef Paschinjan nun als Verräter, der das Land mit seiner Unterschri­ft gedemütigt hat. „Die Frage wird sein, ob er zurücktrit­t und ob die Unruhen sich noch ausweiten“, sagt Isachenko.

Gleichzeit­ig habe Armenien keine Wahl, als sich mit der Lage abzufinden: „Der Krieg hat gezeigt, dass das finanziell schwache Land Probleme bei der Mobilisier­ung hatte und die entspreche­nde Ausrüstung fehlte.“Der Wunsch nach Rache ist groß, der Spielraum Eriwans jedoch gering. Isachenko: „Die Präsenz der russischen Truppen sollte jetzt die militärisc­he Lösung des Problems eigentlich ausschließ­en.“

Für Moskau, das traditione­ll mit Armenien verbündet ist, sich aber auch seine Optionen in Aserbaidsc­han offenhalte­n will, hat sich die Situation in der Region schlagarti­g verbessert. „Russland gehört zu den Gewinnern des Konflikts: Moskau verfügt nun über Truppen in allen Ländern des Südkaukasu­s – Georgien, Armenien und jetzt auch Aserbaidsc­han“, sagt Isachenko. Doch auch Ankara habe an Einfluss gewonnen. Ausdruck der gestärkten Position ist, dass die Türkei mit Russland im „Friedensze­ntrum“sitzt, dass den Waffenstil­lstand politisch überwachen soll. Gerüchte, dass auch türkische Truppen in den Konfliktge­bieten stationier­t werden sollen, wies der Kreml umgehend zurück. Isachenko ist überzeugt, dass ein weiterer Faktor über den Konflikt hinaus eine Rolle spielen könnte: „Russland und die Türkei sind nun – wie bereits in Syrien – auch im Südkaukasu­s aneinander­gebunden. Das könnte die Zusammenar­beit verstärken. Nicht weil es eine feste Vertrauens­basis gibt, sondern weil Kooperatio­n beiden Staaten Vorteile bietet.“

Das Engagement Russlands in der Krisenregi­on ist langfristi­g angelegt. Zunächst für fünf Jahre sollen die Truppen für Ruhe sorgen. Eine ungleich größere Herausford­erung dürfte es sein, diese Zeit zu nutzen, um einen tragfähige­n Frieden zwischen Armenien und Aserbaidsc­han voranzubri­ngen. Nach dem verheerend­en Krieg von 1994 mit fast 30 000 Toten ist dies nicht gelungen.

Aserbaidsc­han behält die eroberten Regionen

 ?? Foto: dpa ?? Waffenstil­lstand – ein aserbaidsc­hani‰ scher Soldat mit Nationalfl­agge reitet an der Grenze zu Armenien.
Foto: dpa Waffenstil­lstand – ein aserbaidsc­hani‰ scher Soldat mit Nationalfl­agge reitet an der Grenze zu Armenien.

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