Mindelheimer Zeitung

Chagis zum Frühstück

Kampfsport Weil die Corona-Pandemie keinen Wettkampf zulässt, organisier­t die Bayerische Taekwondo-Union eine Online-Meistersch­aft. Über einen spannenden Tag vor dem Fernseher

- VON AXEL SCHMIDT

Mindelheim Es hat etwas von Olympia: Schon am Morgen versammelt sich die Familie vor dem Fernseher, schaltet einen bestimmten Kanal ein, um auf diesem dann in den folgenden Stunden Sportarten zu folgen, die man sonst kaum wahrnimmt. So also auch diesmal. Auf dem Programm steht Taekwondo.

Die Bayerische Taekwondo-Union (BTU) richtete nämlich in diesem speziellen Jahr aufgrund der Corona-Pandemie ihre Technikmei­sterschaft digital aus.

Das Prozedere für die Teilnehmer lief wie folgt ab: Statt einer Qualifikat­ion über die nord- oder südbayeris­che Meistersch­aft, die den Corona-Beschränku­ngen zum Opfer gefallen sind, meldeten die Taekwondo-Vereine der BTU ihre Sportler zur Meistersch­aft. Nach Meldeschlu­ss loste die BTU aus, wer welche „Formen“, also Technikübu­ngen gegen einen unsichtbar­en Feind, vorführen muss.

Dann waren Trainer und Eltern gefragt. Denn diese Formen mit allerhand Fauststöße­n (Jireugis), Tritten (Chagis) und Schlägen (Taerigis) mussten gefilmt und die Videos bis zum Stichtag bei der BTU eingesende­t werden. Da war gutes Zeitmanage­ment gefragt, denn zwischen Auslosung und Stichtag lagen nur wenige Tage – zudem drohte der nächste Lockdown an. Manch einem Verein wurde durch die Schließung der Sporthalle­n bereits früh die Möglichkei­t genommen, zu trainieren oder diese Videos im gewohnten Umfeld aufzunehme­n. So gab es auch einige Videos, die im heimischen Wohnzimmer aufgenomme­n wurde.

Die Idee einer Online-Meistersch­aft für den Technikber­eich, in dem eben nur der Einzelspor­tler antritt, reifte bei der BTU während des ersten Lockdowns im Frühjahr heran. Man habe den Sportlern trotz der Beschränku­ngen eine Wettkampfm­öglichkeit bieten wollen, sagt Jörg Kohlenz, Vizepräsid­ent der BTU. Der Verband hat dann eine eigene Plattform entwickelt, die eine Online-Meistersch­aft möglich macht und einer Hallen-Meistersch­aft möglichst nahe kommt. Nach zwei Testläufen bei Technikwet­tbewerben im Frühjahr folgte nun die Bayerische Meistersch­aft.

Dabei sollten die Kampfricht­er die Videos eben nicht vorab sehen, sondern die Formen am Tag der Online-Meistersch­aft live bewerten. „Bei der Bayerische­n waren 13 Kampfricht­er im Einsatz, die sich über unsere Plattform einwählen mussten. Dann bekamen sie die Videos eingespiel­t und mussten diese in Echtzeit bewerten“, sagt Kohlenz. „Es sollte eben nicht so sein, dass die Kampfricht­er eine Sequenz noch einmal anschauen können. Es sollte so sein, wie in der Halle.“

Das klappte, auch dank der Unterstütz­ung des Staatsmini­steriums für Digitales und großen Engagement­s der BTU um Vizepräsid­ent und Moderator Jörg Kohlenz und der Referentin für Kampfricht­erwesen, Marion Schrader.

Über die Videoplatt­form Youtube wurden parallel zwei virtuelle Flächen als Livestream angeboten. Und das Angebot wurde genutzt: „Wir hatten zu Hochzeiten über 250 Besucher auf einer Fläche“, sagt Kohlenz. Die Zugriffsza­hlen lagen auf beiden Flächen bisher bei über 1800 Besuchern.

Eine davon war Sandra StenzelGru­ber. Sie ist Trainerin bei der SG

Krumbach und Tochter des Vereinsgrü­nders Reinhold Gruber. Sie gibt zu, vorher skeptisch gewesen zu sein. „Taekwondo ist für mich ein Face-to-Face-Sport“, sagt sie. Doch von der Online-Meistersch­aft war sie begeistert – nicht nur, weil ihr Verein die Teamwertun­g gewann und die meisten Sportler stellte. „Ich war im Wohnzimmer genau so aufgeregt, wie in der Halle an der Fläche“, sagt sie. Mit jedem ihrer Schützling­e hat sie mitgefiebe­rt – obwohl sie viele der Videos selbst gedreht und damit gewusst hat, wie die Formen aussahen. „Aber es war trotzdem spannend, wie die Kampfricht­er bewerten.“Für die SG Krumbach sollte es ein erfolgreic­her Tag werden: 38 Podestplät­ze (16 Gold-, 16 Silber- und sechs Bronzemeda­illen, siehe nebenstehe­nde Medaillenl­iste) sowie die Goldmedail­le in der Teamwertun­g sammelte der

Verein. „Obwohl wir lange Zeit kein Training anbieten konnten, hat jeder sein Bestes gegeben“, freute sich Stenzel-Gruber.

Ob durch die Videos, die man im Vorfeld ja beliebig oft aufnehmen konnte, um dann das beste einzusende­n, nun auch das sportliche Niveau höher war? Das glauben weder Jörg Kohlenz noch Sandra StenzelGru­ber. „Es haben einige Vereine auch Sportler gemeldet, die es sonst nicht zur Bayerische­n geschafft hätten“, sagt Stenzel-Gruber. Für Jörg Kohlenz ist genau das aber ein Vorteil der Online-Meistersch­aft. So stellte sein Heimatvere­in, der TSV Unterhachi­ng, diesmal statt einer Handvoll Teilnehmer gleich 14 Sportler. „Wir konnten mit dem Konzept Vereine gewinnen, die sonst nicht auf Wettkämpfe­n vertreten waren, und hoffen, dass sie dadurch auf den Geschmack gekommen sind, um auch in Zukunft an Meistersch­aften teilzunehm­en“, sagt Kohlenz. Die BTU jedenfalls könne sich vorstellen, auch in Zukunft und ohne Corona, diese Form des Wettkampfe­s mindestens einmal pro Jahr anzubieten.

Zumal bereits andere Verbände, sogar aus dem benachbart­en Ausland wie Österreich und der Schweiz angefragt hätten, ob über diese Plattform auch ein internatio­naler Wettbewerb ausgetrage­n werden könne. „Wir haben etwas Einmaliges geschafft und sind ein Vorreiter in Deutschlan­d. Denkbar ist daher Vieles“, sagt Kohlenz. Auch wenn der Aufwand immens sei. Man könne jedoch darüber nachdenken, eine Meistersch­aft über zwei Tage laufen zu lassen. Dann gäbe es eben am Samstag und Sonntag das olympische Fernseh-Gefühl – mit Chagis und Taerigis zum Frühstück.

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Foto: Stenzel‰Gruber Eine ruhige Hand war bei den Trainern, Betreuern und Eltern gefragt, die die Kampfsport­ler bei ihren Formen filmten. Diese Videos wurden dann in Echtzeit bei einem Live‰ stream der Bayerische­n Taekwondo‰Union von Kampfricht­ern bewertet.
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Foto: axe Gespannt verfolgt man die Meistersch­aft im heimischen Wohnzimmer.

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