Von CoronaKrise keine Spur
Industrie Warum der Maschinenbauer Multivac etwa 35 Millionen Euro im Unterallgäuer Wolfertschwenden investiert und wie er den Verbrauch von Folien reduziert. Bei Verpackungen gehört das Unternehmen zu den Weltmarktführern
Wolfertschwenden Entspannt durch einen Supermarkt gehen – das ist für Christian Traumann nicht leicht. Immer schaut der 57-Jährige in die Regale. Weniger, weil er im Kaufrausch wäre. Vielmehr gilt sein Blick den Verpackungen der einzelnen Produkte. Denn Traumann ist einer der beiden Geschäftsführenden Direktoren von Multivac. Das Unternehmen mit Hauptsitz in der Unterallgäuer 2000-Einwohner-Gemeinde Wolfertschwenden ist einer der Weltmarktführer, wenn es ums Erfinden, Bauen und Verkaufen von Verpackungslösungen geht. Die Bandbreite der zu verpackenden Produkte reicht von Lebensmitteln über sterile Medizinprodukte bis zu Industriegütern.
„Die Aussicht ist ein Traum“, sagt Traumann und blickt durch eine Glasfront von der Unterallgäuer Zentrale auf die Alpenkette im Süden. Der Chef meint aber auch die Geschäftslage des Unternehmens. Etwa 1,2 Milliarden Euro Jahresumsatz macht der Gesamtkonzern. Dies liegt auch daran, dass das Unternehmen nicht nur auf eine Branche fixiert ist. „Wir haben keinen Kunden, der 20 Prozent unseres Umsatzes ausmacht, sondern sind breit aufgestellt und beliefern führende Lebensmittel-Konzerne ebenso wie viele ganz kleine Unternehmen.“Gerade letztere will Multivac quasi von Anfang an begleiten – „das ist unser spezielles Steckenpferd“, sagt Traumann. Da werde eine Maschine anfangs auch nur vermietet und nicht gleich verkauft, damit der Kunde langsam wachsen könne. Das sei freilich nicht völlig selbstlos, „schließlich müssen wir ja auch mittelfristig von etwas leben“.
Der zunehmende Umweltschutz sei für Multivac kein Bremser, sondern „ein Treiber“, sagt Traumann. „Zwar wird das Thema Kunststoff heutzutage sehr kritisch gesehen, aber wir kommen ohne Kunststoff zur Sicherstellung von Haltbarkeit und Hygiene der Produkte auf absehbare Zeit nicht aus.“Man müsse jedoch daran arbeiten, dass weniger Kunststoff für Verpackungen benötigt werde. Aber auch, dass der Kunststoff wesentlich besser wiederverwertet werden kann – „das ist wertvolles Material und kein Müll!“Da arbeitet Multivac beispielsweise mit führenden Folienherstellern zusammen. „Bei einigen Produkten lässt sich inzwischen die Verpackung um bis zu 90 Prozent reduzieren,
die Folien ganz dünn, aber trotzdem noch fest sind, und die Stabilisierung des Produkts etwa durch Pappe erfolgt.“
Gerade auch in der Corona-Krise spiele das eine wichtige Rolle – „da wollen die Verbraucher verpackte Produkte, die haltbar und auch sicher sind – egal ob im Lebensmittelsektor oder im Medizinbereich“. Daher habe Multivac von der Pandemie eher profitiert: „Wir verzeichnen dieses Jahr rund zehn Prozent Eingangsplus trotz oder gerade wegen Corona.“Da viele Techniker nicht real bei den Kunden vor Ort sein können, schalten sich vor allem die rund 850 Servicetechniker von Multivac digital zum Beispiel per Skype zu. „So haben wir beispielsweise die Kundenabnahme einer Maschine in China organisiert.“
Traumann zeigt auch die neueste Großinvestition von Multivac. Auf dem Firmengelände nahe der A7 entsteht gerade für 35 Millionen Euro das neue Kompetenzzentrum für Schneide- und Automatisie
rungslösungen. Über 100 Spezialisten des Unternehmens – vom Lebensmittel-Technologen bis zum Maschinenbauer – sollen dort ab dem nächsten Frühjahr mit den Kunden neue Verpackungslösungen entwickeln, so wie aktuell bereits im Anwendungszentrum. Das passiert quasi im Praxistest.
Die Kunden bringen die zu verpackenden Produkte mit – vom Leberkäs bis zum medizinischen Katheter. Dann lautet der Arbeitsauftrag: „Machen Sie dafür mal eine Verpackung.“Am Ende steht beispielsweise eine Verpackungslinie, die ein großes Stück Käse in dünne Scheiben schneidet und sofort portioniert und abgewogen auf einer Schale mit Folie verschließt. Gut aussehen sollen die Produkte am Ende natürlich auch noch. Jede Maschine wird übrigens nicht nur in Wolfertschwenden entwickelt, sondern dort auch aufgebaut und getestet, bevor sie an den Kunden geliefert wird. Und Multivac will weiter expandieren. Dafür hat das Unternehmen jüngst in Wolfertweil schwenden ein etwa 49. 000 Quadratmeter großes Areal gekauft – voraussichtlich für ein Ersatzteile-Logistikzentrum und eine Halle zum Testen von großen Maschinen. Dass es dem Unternehmen, das Sepp Haggenmüller im Jahr 1961 in einer Garage im nur wenigen Kilometer entfernten Böhen gegründet hatte, gut geht – davon profitiert auch die Region. Multivac ist der größte Gewerbesteuerzahler in Wolfertschwenden. Zudem sponsert das Unternehmen viele Vereine zwischen Oberstdorf und Neu-Ulm – vom Sport bis zur Kultur. So war das Unternehmen beispielsweise einer der Gründungsstifter für das Museum des Künstlers Diether Kunert in Ottobeuren, finanzierte auch mehrere Jahre eine Stiftungsprofessur an der Hochschule in Kempten. Am Hauptsitz in Wolfertschwenden unterstützt Multivac den Kindergarten, der von der Gemeinde betrieben wird. „Das ist gut für unsere Mitarbeiter, die teilweise schon in der dritten Generation bei uns sind. Aber das hilft natürlich
auch der Kommune und dem Landkreis, mit denen die Zusammenarbeit sehr gut ist“, sagt Traumann.
Damit sich die Mitarbeiter auch sonst wohlfühlen, gibt’s nicht nur eine Kantine, sondern auch mehr Gehalt, als der Tarif vorsieht – und eine zusätzliche Altersversorgung. „Wir sind ein typisch schwäbisches Unternehmen“, sagt Christian Traumann: „Bei uns ist alles ordentlich und wir geben kein Geld für Dinge aus, die nicht direkt einen Kundennutzen haben.“Dabei zeigt Traumann auf den Tisch vor sich in einem der Konferenzräume: „Das ist immer noch derselbe, an dem ich vor bald 19 Jahren mein Bewerbungsgespräch hatte.“Und ergänzt lachend: „Aber der Teppich ist neu – und natürlich die gesamte Technik.“
Zurück zu den Einkaufsregalen. Da wird Traumann nach eigenen Angaben erfreulich oft fündig – und denkt sich dann: „Super, diese Verpackung hat einer unserer Kunden auf einer unserer Maschinen hergestellt!“