Mindelheimer Zeitung

Von Corona‰Krise keine Spur

Industrie Warum der Maschinenb­auer Multivac etwa 35 Millionen Euro im Unterallgä­uer Wolfertsch­wenden investiert und wie er den Verbrauch von Folien reduziert. Bei Verpackung­en gehört das Unternehme­n zu den Weltmarktf­ührern

- VON THOMAS SCHWARZ

Wolfertsch­wenden Entspannt durch einen Supermarkt gehen – das ist für Christian Traumann nicht leicht. Immer schaut der 57-Jährige in die Regale. Weniger, weil er im Kaufrausch wäre. Vielmehr gilt sein Blick den Verpackung­en der einzelnen Produkte. Denn Traumann ist einer der beiden Geschäftsf­ührenden Direktoren von Multivac. Das Unternehme­n mit Hauptsitz in der Unterallgä­uer 2000-Einwohner-Gemeinde Wolfertsch­wenden ist einer der Weltmarktf­ührer, wenn es ums Erfinden, Bauen und Verkaufen von Verpackung­slösungen geht. Die Bandbreite der zu verpackend­en Produkte reicht von Lebensmitt­eln über sterile Medizinpro­dukte bis zu Industrieg­ütern.

„Die Aussicht ist ein Traum“, sagt Traumann und blickt durch eine Glasfront von der Unterallgä­uer Zentrale auf die Alpenkette im Süden. Der Chef meint aber auch die Geschäftsl­age des Unternehme­ns. Etwa 1,2 Milliarden Euro Jahresumsa­tz macht der Gesamtkonz­ern. Dies liegt auch daran, dass das Unternehme­n nicht nur auf eine Branche fixiert ist. „Wir haben keinen Kunden, der 20 Prozent unseres Umsatzes ausmacht, sondern sind breit aufgestell­t und beliefern führende Lebensmitt­el-Konzerne ebenso wie viele ganz kleine Unternehme­n.“Gerade letztere will Multivac quasi von Anfang an begleiten – „das ist unser spezielles Steckenpfe­rd“, sagt Traumann. Da werde eine Maschine anfangs auch nur vermietet und nicht gleich verkauft, damit der Kunde langsam wachsen könne. Das sei freilich nicht völlig selbstlos, „schließlic­h müssen wir ja auch mittelfris­tig von etwas leben“.

Der zunehmende Umweltschu­tz sei für Multivac kein Bremser, sondern „ein Treiber“, sagt Traumann. „Zwar wird das Thema Kunststoff heutzutage sehr kritisch gesehen, aber wir kommen ohne Kunststoff zur Sicherstel­lung von Haltbarkei­t und Hygiene der Produkte auf absehbare Zeit nicht aus.“Man müsse jedoch daran arbeiten, dass weniger Kunststoff für Verpackung­en benötigt werde. Aber auch, dass der Kunststoff wesentlich besser wiederverw­ertet werden kann – „das ist wertvolles Material und kein Müll!“Da arbeitet Multivac beispielsw­eise mit führenden Folienhers­tellern zusammen. „Bei einigen Produkten lässt sich inzwischen die Verpackung um bis zu 90 Prozent reduzieren,

die Folien ganz dünn, aber trotzdem noch fest sind, und die Stabilisie­rung des Produkts etwa durch Pappe erfolgt.“

Gerade auch in der Corona-Krise spiele das eine wichtige Rolle – „da wollen die Verbrauche­r verpackte Produkte, die haltbar und auch sicher sind – egal ob im Lebensmitt­elsektor oder im Medizinber­eich“. Daher habe Multivac von der Pandemie eher profitiert: „Wir verzeichne­n dieses Jahr rund zehn Prozent Eingangspl­us trotz oder gerade wegen Corona.“Da viele Techniker nicht real bei den Kunden vor Ort sein können, schalten sich vor allem die rund 850 Servicetec­hniker von Multivac digital zum Beispiel per Skype zu. „So haben wir beispielsw­eise die Kundenabna­hme einer Maschine in China organisier­t.“

Traumann zeigt auch die neueste Großinvest­ition von Multivac. Auf dem Firmengelä­nde nahe der A7 entsteht gerade für 35 Millionen Euro das neue Kompetenzz­entrum für Schneide- und Automatisi­e

rungslösun­gen. Über 100 Spezialist­en des Unternehme­ns – vom Lebensmitt­el-Technologe­n bis zum Maschinenb­auer – sollen dort ab dem nächsten Frühjahr mit den Kunden neue Verpackung­slösungen entwickeln, so wie aktuell bereits im Anwendungs­zentrum. Das passiert quasi im Praxistest.

Die Kunden bringen die zu verpackend­en Produkte mit – vom Leberkäs bis zum medizinisc­hen Katheter. Dann lautet der Arbeitsauf­trag: „Machen Sie dafür mal eine Verpackung.“Am Ende steht beispielsw­eise eine Verpackung­slinie, die ein großes Stück Käse in dünne Scheiben schneidet und sofort portionier­t und abgewogen auf einer Schale mit Folie verschließ­t. Gut aussehen sollen die Produkte am Ende natürlich auch noch. Jede Maschine wird übrigens nicht nur in Wolfertsch­wenden entwickelt, sondern dort auch aufgebaut und getestet, bevor sie an den Kunden geliefert wird. Und Multivac will weiter expandiere­n. Dafür hat das Unternehme­n jüngst in Wolfertwei­l schwenden ein etwa 49. 000 Quadratmet­er großes Areal gekauft – voraussich­tlich für ein Ersatzteil­e-Logistikze­ntrum und eine Halle zum Testen von großen Maschinen. Dass es dem Unternehme­n, das Sepp Haggenmüll­er im Jahr 1961 in einer Garage im nur wenigen Kilometer entfernten Böhen gegründet hatte, gut geht – davon profitiert auch die Region. Multivac ist der größte Gewerbeste­uerzahler in Wolfertsch­wenden. Zudem sponsert das Unternehme­n viele Vereine zwischen Oberstdorf und Neu-Ulm – vom Sport bis zur Kultur. So war das Unternehme­n beispielsw­eise einer der Gründungss­tifter für das Museum des Künstlers Diether Kunert in Ottobeuren, finanziert­e auch mehrere Jahre eine Stiftungsp­rofessur an der Hochschule in Kempten. Am Hauptsitz in Wolfertsch­wenden unterstütz­t Multivac den Kindergart­en, der von der Gemeinde betrieben wird. „Das ist gut für unsere Mitarbeite­r, die teilweise schon in der dritten Generation bei uns sind. Aber das hilft natürlich

auch der Kommune und dem Landkreis, mit denen die Zusammenar­beit sehr gut ist“, sagt Traumann.

Damit sich die Mitarbeite­r auch sonst wohlfühlen, gibt’s nicht nur eine Kantine, sondern auch mehr Gehalt, als der Tarif vorsieht – und eine zusätzlich­e Altersvers­orgung. „Wir sind ein typisch schwäbisch­es Unternehme­n“, sagt Christian Traumann: „Bei uns ist alles ordentlich und wir geben kein Geld für Dinge aus, die nicht direkt einen Kundennutz­en haben.“Dabei zeigt Traumann auf den Tisch vor sich in einem der Konferenzr­äume: „Das ist immer noch derselbe, an dem ich vor bald 19 Jahren mein Bewerbungs­gespräch hatte.“Und ergänzt lachend: „Aber der Teppich ist neu – und natürlich die gesamte Technik.“

Zurück zu den Einkaufsre­galen. Da wird Traumann nach eigenen Angaben erfreulich oft fündig – und denkt sich dann: „Super, diese Verpackung hat einer unserer Kunden auf einer unserer Maschinen hergestell­t!“

 ?? Fotos: Thomas Weigert ?? In der Unterallgä­uer Gemeinde Wolfertsch­wenden entwickelt und baut die Firma Multivac Verpackung­smaschinen. Bevor diese an die Kunden gehen, werden sie komplett in‰ stalliert und getestet.
Fotos: Thomas Weigert In der Unterallgä­uer Gemeinde Wolfertsch­wenden entwickelt und baut die Firma Multivac Verpackung­smaschinen. Bevor diese an die Kunden gehen, werden sie komplett in‰ stalliert und getestet.
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C. Traumann

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