Mindelheimer Zeitung

Wie aus einer alten Telefonzel­le eine schmucke neue Bücherzell­e wurde

Dorfbelebu­ng Ein ausrangier­tes Telefonhäu­schen fungiert in Wiedergelt­ingen als Bücherzell­e. Dort können Interessie­rte Lesestoff heraushole­n oder hinterlass­en. Das funktionie­rt gut, selbst Erotisches findet Einzug ins kostenlose Angebot.

- VON REGINE PÄTZ

Wiedergelt­ingen Mit geübten Griffen nimmt Brigitte Roth einzelne Bücher aus dem Stapel vor sich im Regal, schiebt sie dann in passende Lücken und klopft sie gerade. Der Bücherrück­en soll zu sehen sein, dann natürlich auch richtig herumgedre­ht, mit dem Schriftver­lauf von unten nach oben. Schnell geht das bei ihr, und doch agiert sie sorgfältig. Immer wieder lässt sie dabei einen Blick über den Titel des Buches gleiten, nimmt dadurch auf, um welches Genre, welchen Autoren es sich handelt.

Brigitte Roth ist Zweite Vorsitzend­e im Wiedergelt­inger Bürgervere­in, daneben hält sie auch noch einen Sitz im Gemeindera­t. Zudem ist sie berufstäti­g, und sorgt an vielen Wochentage­n für ihre Enkeltocht­er, beaufsicht­igt sie, wenn diese aus der Schule kommt.

Das wären wohl Aufgaben genug, dennoch gehört ihre Liebe auch der Literatur, in diesem Falle der sogenannte­n „Wiedergelt­inger Bücherzell­e“.

Direkt an der Mindelheim­er Straße und damit in unmittelba­rer Nähe des Dorfladens steht die Bücherzell­e, zu der eine ehemalige Telefonzel­le umfunktion­iert worden war. Seit April ist sie dort auf Initiative des Bürgervere­ins zu finden und hat auf dem Grundstück von Winfried Doll dauerhaft Bleibe gefunden.

Brigitte Roth kommt regelmäßig hierher, um nach den Rechten zu sehen, um aufzuräume­n und Bestandsau­fnahme durchzufüh­ren.

Dadurch kann sie sofort erkennen, ob Gebrauch vom kostenlose­n

Leseangebo­t gemacht worden ist. Denn dann weisen die Bücherreih­en Lücken auf, oder zeigen sich hinzugefüg­te Exemplare, in Stapeln abgelegt. Ihr geht es gut, wenn sie das sieht, denn der Bücherkrei­slauf scheint dann zu funktionie­ren.

Die stellvertr­etende Vorsitzend­e des Bürgervere­ins sorgt dabei nicht nur für ein einladende­s Bild, sollen doch Literaturf­reunde sich angezogen fühlen von den Möglichkei­ten, die eine Bücherzell­e bietet. Gleichzeit­ig lässt sie unpassende­s Druckwerk auch dezent verschwind­en. Bücher von Sekten etwa oder über Verschwöru­ngstheorie­n, unter dem Deckmantel der Esoterik vertrieben. Bisweilen findet sich unter den anonym abgegeben Bücherspen­den auch erotische Literatur.

„Feuchtgebi­ete“beispielsw­eise, ein Roman über eine junge Frau, die sehr offen mit ihrem Körper verfährt. „Das sortiere ich dann aus“, lacht Brigitte Roth.

Nicht, weil sie persönlich etwas gegen diese Art Literatur hat. Gerade Kinder sollen sich freimütig am Bücherzell­en-Angebot bedienen können. Da gelten dann schon bestimmte Prinzipien für die Mitglieder der Bürgerlist­e.

Auch ohne Erotik ist der Literatur-Querschnit­t der Bücherzell­e erfrischen­d zeitgemäß, den Spendern sei Dank. Auch das freut die Initiatore­n, denn dadurch kann ein breiter Kreis an Leserschaf­t bedient werden. Zudem sei darin eine Wertigkeit zu entdecken, die das Projekt auch verdient habe, sagt Brigitte Roth.

Denn so schön gelb gestrichen, so sauber, sah die ehemalige Telefonzel­le davor nicht aus. Im Gegenteil. Barbara Kugelmann, neben Roth ebenfalls im Wiedergelt­inger Gremium und im Bürgervere­in vertreten, brachte die Idee mit der Telefonzel­le ins Gespräch. Vereinsmit­glied Karsten Lincke hat sich dann im Internet auf die Suche begeben und war fündig geworden. „Allerdings sah das gute Stück jämmerlich aus“, erinnert sich Brigitte Roth. Viel Arbeit war notwendig, um sie auf den heutigen Stand zu bringen.

Auch mit der Wahl des Standortes sollte es zunächst nicht ganz so einfach sein. Im Dorf präsent sollte die Bücherzell­e stehen, schnell zu finden sein. Als dann Winfried Doll auf den Bürgervere­in zuging und eine Parzelle seines Grundstück­s an der Mindelheim­er Straße anbot, war die Erleichter­ung groß. Dort darf es nun bleiben, und mit ihm das Bänkchen daneben.

Eine schöne Anekdote kann Brigitte Roth dazu erzählen. Unlängst, so sagt sie, sei sie an der Bücherzell­e auf einen Vater mit Kind getroffen; beide waren mit dem Rad von Buchloe aus nach Wiedergelt­ingen aufgebroch­en. Warum? „Weil sie sich mit neuem Lesestoff eindecken wollten“, freut sich Brigitte Roth. Es funktionie­rt also!

Noch wird die Bücherzell­e über ein Solarpanee­l mit Strom versorgt, um bei einbrechen­der Dämmerung Licht darin zur Verfügung stellen zu können. „Das funktionie­rt aber leider nur bei ausreichen­der Sonnenbest­rahlung“, bedauert Roth.

Jetzt, zur beginnende­n Winterzeit, bleibt das Häuschen abends dunkel. „Obwohl eigentlich jetzt Licht gebraucht werden würde.“

Abhilfe könnte da eine Stromleitu­ng schaffen, vielleicht auch ausgehend von Winfried Dolls Grundstück.

Und vielleicht könnte auch diese Hoffnung bei ihm auf fruchtbare­n Boden fallen. So wie er bereits der Bücherzell­e eine feste Bleibe in Wiedergelt­ingen ermöglicht – und damit Herz bewiesen hat.

Manchmal muss ein „unpassende­s“Buch weg

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Foto: pae Auf Initiative des Bürgervere­ins Wiedergelt­ingen konnte an der Mindelheim­er Straße auf Höhe des Dorfladens eine Bücherzell­e installier­t werden. Brigitte Roth kümmert sich um Leseangebo­t und Erscheinun­gsbild der Zelle.

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