Mindelheimer Zeitung

Merkels Kniefall und seine Folgen

Corona Die Kanzlerin bittet um Verzeihung für die völlig verunglück­te Osterruhe und muss sich aufgebrach­ten Abgeordnet­en stellen. Gleichzeit­ig werden Rufe nach einer Reform der Ministerpr­äsidentenk­onferenz laut

- VON CHRISTIAN GRIMM

Berlin Es kommt selten vor, dass sich Regierungs­chefs für ihr Handeln entschuldi­gen. Bundeskanz­lerin Angela Merkel (CDU) hat es getan. Nicht in verschwurb­elten Sätzen, wie es sonst ihre Art ist, sondern in klaren Worten: „Das bedauere ich zutiefst und dafür bitte ich alle Bürgerinne­n und Bürger um Verzeihung“, sagte Merkel am Mittwoch in die Fernsehkam­eras.

Sie entschuldi­gte sich für die schiefgega­ngene Osterruhe, mit der sie der dritten Corona-Welle die Wucht nehmen wollte. Einer genauen Prüfung ihrer Berater hatte die in der Nacht zum Dienstag überstürzt geborene Idee nicht standgehal­ten. Juristisch komplizier­t und mit enormen Verwerfung­en in der Praxis, lautete das Urteil der Beamten.

Merkel musste die Osterruhe abräumen, die sie in der Sache dennoch für richtig hielt. Die Rücknahme der Entscheidu­ng hat aber nicht nur Folgen für die Bekämpfung des Virus, sondern auch für das wichtigste Entscheidu­ngsgremium in Zeiten der Pandemie. Die Ministerpr­äsidentenk­onferenz

(MPK) wird schon länger als Kungelrund­e kritisiert, also als Gremium, in dem hinter verschloss­enen Türen verhandelt und entschiede­n wird. Zu später Stunde feilschen 16 abgespannt­e Ministerpr­äsidenten und die Kanzlerin über Beschlüsse, die tiefer in das Leben aller eingreifen, als vor Corona überhaupt denkbar war. Die Regierungs­chefs können des Nachts aber meist keine Rücksprach­e mehr mit Fachleuten aus den Ministerie­n oder Praktikern halten. Hätten sie das am Dienstag gekonnt, wäre ihnen aufgefalle­n, dass es juristisch nicht einfach ist, Gründonner­stag und Karsamstag de facto zu Feiertagen zu machen. Es wäre ihnen auch aufgefalle­n, wie eng getaktet der Handel seine Supermärkt­e beliefert oder was es an Aufwand bedeutet, für Millionen Beschäftig­te die Lohnfortza­hlung für zwei zusätzlich­e freie Tage zu bewerkstel­ligen.

„Wir können so nicht weitermach­en“, sagte der nordrhein-westfälisc­he Ministerpr­äsident Armin Laschet (CDU) und meinte damit jene Kungelrund­e. Bayerns Landeschef Markus Söder (CSU) sieht es ähnlich: „Wir müssen das Format der Entscheidu­ngsfindung noch einmal grundlegen­d überdenken.“Söder will zum Beispiel morgens anfangen und nicht erst am Nachmittag. Und er kann sich vorstellen, die Sitzungen öffentlich zu machen.

Wenn die Chefs von CDU und CSU etwas verändern wollen, dann besteht die realistisc­he Chance, dass das auch passiert. Es wäre gleichzeit­ig das Ende der „Methode Merkel“. Die Kanzlerin hat in anderthalb Jahrzehnte­n an der Macht aus endlosen Sitzungen eine gefürchtet­e Meistersch­aft gemacht. Merkel, könnte man salopp sagen, bleibt einfach hocken, bis andere vor Erschöpfun­g einknicken und ein Kompromiss erreicht wird. Dabei besteht die Gefahr, dass die aus einer Mischung aus Müdigkeit und enormem Druck gefällten Einigungen dem hellen Tageslicht nicht standhalte­n. Dieses Mal hat es Merkel erwischt. „Dieser Fehler ist einzig und allein mein Fehler. Denn am Ende trage ich für alles die letzte Verantwort­ung“, sagte die Kanzlerin.

Die 66-Jährige versuchte damit auch, Laschet und Söder als ihre potenziell­en Nachfolger zu schützen. Merkel hört nach der Wahl im September auf, sie muss nicht mehr auf Umfragen schielen. Diese sehen gerade für die Union nicht gut aus. Seit einigen Wochen bröckelt die Zustimmung, zuletzt fielen CDU und CSU unter die Marke von 30 Prozent. Eine aktuelle Erhebung der Meinungsfo­rscher von Forsa sehen sie sogar nur noch bei 26 Prozent. Plötzlich ist eine Mehrheit ohne die Union möglich und das schürt in beiden Parteien die Angst vor dem Machtverlu­st. Das hat auch mit den dunklen Maskengesc­häften einiger Abgeordnet­er aus ihren Reihen zu tun, aber stärker noch mit der Corona-Politik, die mittlerwei­le etwa die Hälfte der Bevölkerun­g für falsch hält. Auch der Bundestag hat bei der Pandemiebe­kämpfung lediglich die Rolle, über Für und Wider einzelner Beschlüsse zu debattiere­n. Den Volksvertr­etern aus Merkels Union verbleibt die undankbare Aufgabe, die Entscheidu­ngen erklären und verteidige­n zu müssen.

Eine Kostprobe davon bekam Merkel in der Fraktionss­itzung am Dienstag. Gut ein Dutzend Abgeordnet­e beklagten bitterlich, dass sie die Corona-Regeln ihren Wählern zu Hause nicht mehr vermitteln könnten. Nach ihrer öffentlich­en Entschuldi­gung muss Merkel sich von der Opposition sogar die Frage gefallen lassen, ob sie noch das Vertrauen der Abgeordnet­en von CDU, CSU und SPD habe. In der ARD wies sie diese Forderung am Mittwochab­end zurück. Sie habe die Menschen für einen Fehler um Verzeihung gebeten. „Das ist, glaube ich, das Richtige, was zu tun ist. Ich habe ansonsten die Unterstütz­ung der gesamten Bundesregi­erung und insofern auch des Parlamente­s.“

Die Kanzlerin stellt sich vor ihre Nachfolger

»Kommentar

Chefredakt­eur Gregor Peter Schmitz ordnet Merkels Rolle ein. »Die Dritte Seite Unsere Korrespond­enten zeichnen die chaotische­n Ereignisse der vergangene­n Tage nach. »Politik Angela Merkel ist in der Krise an ihre Grenzen gestoßen, analysiert unser Autor Rudi Wais.

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Foto: Stefanie Loos, afp/dpa Die große Entschuldi­gung: Bundeskanz­lerin Angela Merkel gestern bei der Pressekonf­erenz, in der sie ihre Idee des „Oster‰Lockdowns“zurücknahm.

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