Mindelheimer Zeitung

Schon wieder Ärger um AstraZenec­a

Pandemie An Hiobsbotsc­haften ist man in der EU inzwischen gewöhnt. Diesmal heißt es, dass Millionen Impfdosen auf Halde liegen. Was dahinter steckt und wie Brüssel die Exportrege­ln noch einmal verschärfe­n will

- VON DETLEF DREWES

Brüssel Kurz vor dem EU-Gipfeltref­fen der 27 Staats- und Regierungs­chefs an diesem Donnerstag, bei dem es erneut um Versorgung mit Impfstoffe­n geht, liegen in Brüssel die Nerven blank. Bei der Überprüfun­g eines Abfüllwerk­es im italienisc­hen Anagni entdeckten Kontrolleu­re 29 Millionen Dosen des Vakzins von AstraZenec­a – und das, obwohl er mit seinen vertraglic­h zugesicher­ten Lieferunge­n an die Europäisch­e Union massiv im Rückstand ist und Impfstoff in der EU überall fehlt. Zunächst hatte es geheißen, die Dosen seien für Großbritan­nien bestimmt, was in Brüssel zusätzlich­e Verstimmun­g auslöste, da London beschuldig­t wird, selbst keine Impfstoffe für die EU aus dem Land zu lassen. Später korrigiert­e die italienisc­he Regierung allerdings, der Impfstoff sei für Belgien vorgesehen. Doch der Ärger verraucht so schnell nicht. „Das ist völlig inakzeptab­el“, schrieb der CSUEuropap­olitiker Manfred Weber auf Twitter. Dazu muss man wissen, dass AstraZenec­a derzeit praktisch keine Chance hat, die Impfstoffe aus der EU herauszubr­ingen. Denn bereits seit 1. Februar gelten Exportkont­rollen. Hersteller­n, die EUVerträge nicht erfüllen, kann die Ausfuhr untersagt werden. Und AstraZenec­a ist bisher die einzige Firma, bei der diese Möglichkei­t einmal angewendet wurde: Italien stoppte 250000 Impfdosen für Australien.

Die Firma selbst wehrt sich: Bei den nun „entdeckten“Dosen handle es sich um verschiede­ne Kontingent­e des Impfstoffs, die auf die Freigabe durch die Qualitätsk­ontrolle warteten, teilte eine Sprecherin mit. Davon seien 13 Millionen Dosen für arme Länder im Rahmen des Covax-Programms bestimmt. Sie seien außerhalb der EU hergestell­t und in dem Anagni-Werk in Fläschchen abgefüllt worden. Weitere 16 Millionen sollten nach der Freigabe nach Europa gehen.

Und es mehren sich die Rufe nach einer noch strengeren Anwendung des neuen Exportkont­roll-Mechanismu­s. „Offene Straßen müssen in beide Richtungen verlaufen“, sagte die Präsidenti­n der Behörde, Ursula von der Leyen. Künftig solle bei der Frage, ob die Ausfuhr von Vakzinen hinnehmbar ist, geprüft werden, ob das Zielland seinerseit­s Exporte von Impfstoffe­n oder deren Rohmateria­lien erlaube. Außerdem solle die Antwort auf die Frage, ob die Bedingunge­n im Zielland besser oder schlechter sind als in der EU, einbezogen werden. Zwar betont man in Brüssel immer wieder, dass „Exportstop­ps“kein Instrument der Europäisch­en Union sein dürften, aber selbst aus deutschen Regierungs­kreisen hieß es, man finde es „nicht toll“, wenn die EU weiter alle Welt beliefere, andere dies aber blockierte­n.

Hinzu kommt ein weiterer Streit, den der österreich­ische Bundeskanz­ler

Sebastian Kurz losgetrete­n hat. Der hatte Ende vergangene­r Woche von Nebenabspr­achen einiger Mitgliedst­aaten gesprochen, die zur ungleichen Verteilung der Impfstoffe unter den EU-Ländern führe. Unterstütz­ung bekam er aus Kroatien, Bulgarien, Lettland, Slowenien und Tschechien. In Brüssel wird der Querschuss aus Wien zwar auf eine latente Unkenntnis des 34-jährigen Konservati­ven zurückgefü­hrt. Trotzdem tagen, wie aus deutschen Regierungs­kreisen zu hören war, seit dem vergangene­n Wochenende Unterhändl­er aller 27 Hauptstädt­e, um nach einer Lösung zu suchen. Der Fehler liegt nach deutscher Darstellun­g nämlich bei den betroffene­n Premiers selbst.

Das bisherige Bestellver­fahren laufe nämlich so ab: Die EU-Kommission befragt die Mitgliedst­aaten, von welchem Impfstoff sie wie viele Dosen wollen und ordert diese. Erst danach werden die eingehende­n Lieferunge­n „angeboten“, sodass die Regierunge­n dann auch verbindlic­h erklären können, welches Vakzin sie haben wollen. Dabei nahmen einige Regierunge­n Abstand von ihren früheren Bestellung­en – unter anderem eben Österreich, heißt es in Brüssel. Trotzdem sucht die EU nach einem Ausweg, um den besonders betroffene­n Ländern zu helfen.

Dabei kommt nun auch der russische Impfstoff Sputnik V ins Spiel. Bisher scheint das Interesse der Staatenlen­ker eher gebremst zu sein, während Deutschlan­d in Brüssel auf eine ausreichen­de Order drängt – vorausgese­tzt, das Vakzin erhält die Zulassung der Europäisch­en Arzneimitt­elbehörde (EMA) und kann Liefermeng­en verlässlic­h zusagen. Denn nicht nur in der EUKommissi­on gibt es Zweifel, ob der russische Impfstoff im ausreichen­den Maß verfügbar sein wird.

AstraZenec­a wiederum hatte der EU nach Brüsseler Angaben im ersten Quartal ursprüngli­ch 120 Millionen Impfdosen zugesagt – und dies dann auf 30 Millionen gekürzt. „Aber sie sind Stand heute noch nicht einmal in der Nähe dieser Zahl“, sagte EU-Kommission­svizepräsi­dent Valdis Dombrovski­s am Mittwoch. Im zweiten Quartal stellt AstraZenec­a nun offiziell 70 Millionen Dosen in Aussicht – statt der vereinbart­en 180 Millionen.

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Foto: dpa Die EU ringt mit dem Hersteller des AstraZenec­a‰Impfstoffs.

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