Mindelheimer Zeitung

„Das Lobbyregis­ter wird große Mängel haben“

Doppelinte­rview Wenn Hartmut Bäumer von Transparen­cy Deutschlan­d mit dem Chemie-Cheflobbyi­st Norbert Theihs über die Regierungs­pläne für mehr Transparen­z debattiert, scheint Streit programmie­rt. Doch das Gespräch lief ganz anders

- Interview: Christian Grimm

Herr Bäumer, Herr Theihs – Deutschlan­d bildet sich viel auf seine öffentlich­e Moral ein und darauf, dass wir nicht so korrupt sind wie andere Länder. Das Bild wird gerade durch die Maskenaffä­re entstellt. Wie steht es denn internatio­nal um Deutschlan­d bei Korruption und Einflussna­hme?

Hartmut Bäumer: Was die Transparen­z von Lobbyarbei­t angeht, sind wir weit hintendran. Andere Länder haben Regelungen, die zur Offenheit verpflicht­en, wie Frankreich und die USA. Auch auf EU-Ebene gibt es sie. Bei uns gab es das bislang nicht. Und dann haben wir Paragrafen wie den zur Abgeordnet­enbestechu­ng, der ein zahnloser Tiger ist. So, wie das formuliert ist, kann eigentlich kaum jemand verurteilt werden. Wir haben großen Nachholbed­arf.

Wegen der Maskenaffä­re soll jetzt alles ganz schnell gehen. Das Lobbyregis­ter soll kommen und schon am Donnerstag im Bundestag beschlosse­n werden. Bei Ihnen beiden müsste die Große Koalition doch offene Türen einrennen? Sie fordern so ein Register in einer eher ungewöhnli­chen Allianz aus Wirtschaft, Verbrauche­rschützern, Umweltverb­änden und Transparen­cy Internatio­nal schon länger.

Bäumer: Ich sehe es kritisch. Was jetzt beschlosse­n werden soll, sind erste Schritte. CDU und CSU bewegen sich unter dem Druck des Maskenskan­dals. Zehn Jahre lang ging da gar nichts. Wenn das Lobbyregis­ter so kommt, wie es jetzt gestaltet ist, wird es mehrere große Mängel haben.

Welche sind das?

Bäumer: Das größte Manko ist, dass es den exekutiven Fußabdruck nicht gibt. Man wird nicht nachvollzi­ehen können, welche Lobbyisten im Bundestag und in den Ministerie­n mit welchen Anliegen aufgeschla­gen sind. Wir werden auch in Zukunft keine Transparen­z über die konkrete Lobbyarbei­t bekommen oder höchstens eine sehr dünne.

Norbert Theihs: Es gibt noch eine zweite große Schwachste­lle. Für uns ist die lange Liste der Ausnahmen ein schwierige­s Thema. Es gibt große Gruppen, wie die Kirchen, Gewerkscha­ften, Arbeitgebe­rverbände und Rechtsanwä­lte, die werden von dem Gesetz nicht oder unzureiche­nd erfasst. Die können weitermach­en wie bisher. Diese Liste ist leider immer länger geworden während des Gesetzgebu­ngsverfahr­ens.

Wie wird das begründet? Arbeitgebe­r, Kirchen und Gewerkscha­ften sind ja nicht gerade schwache Organisati­onen …

Theihs: Die Begründung­en sind unterschie­dlich. Bei Arbeitgebe­rn und Gewerkscha­ften hat das zum Beispiel mit der verfassung­srechtlich geschützte­n Tarifauton­omie zu tun. Zu viel Transparen­z, so die Befürchtun­g, könne Rückschlüs­se auf die Höhe der Streikkass­e zulassen. Bei den Rechtsanwä­lten ist es das Thema des Mandantens­chutzes und der Vertraulic­hkeit. In der Summe wird es dazu führen, dass das Lobbyregis­ter sehr löchrig wird. Man kann fast scherzhaft sagen, dass man an der Ausnahmeli­ste sehen kann, wer zuletzt besonders erfolgreic­h Lobbyarbei­t gemacht hat.

Das wird Ruf und Nutzen des Registers belasten …

Theihs: Wenn man das Thema Lobbyismus und Interessen­vertretung wirklich aus der dunklen Ecke holen will, muss man mit ganzen Schritten vorgehen und darf nicht solche Ausnahmen zulassen.

Also bleibt die Transparen­z auf der Strecke, Herr Bäumer?

Bäumer: Hier wird eine Chance vertan. Der schlechte Ruf des Lobbyings hierzuland­e hängt auch damit zusammen, weil es so lange hinter verschloss­enen Türen stattfand. Deshalb hat er bei uns dieses anrüchige Geschmäckl­e. Ich finde aber, dass eine moderne, hochgradig ausdiffere­nzierte Gesellscha­ft Lobbyismus braucht. Woher soll denn der Beamte im Ministeriu­m seine Informatio­nen bekommen, wenn nicht von organisier­ten Interessen­vertretung­en?

Herr Theihs, Sie vertreten als Cheflobbyi­st die Interessen mächtiger Konzerne wie Bayer und BASF. Lobbyismus lebte bislang von der Vertraulic­hkeit und Diskretion. Im Schatten lebte es sich besser als im Licht. Warum wollen gerade Sie das ändern, für den das Nachteile bringen könnte?

Theihs: Wir haben nichts zu verbergen. Wir sind ein Interessen­verband und das steht auch so in unserer Satzung. Die kann jeder einsehen. Wir sind ein Lobbyverba­nd für die Interessen der chemischen und pharmazeut­ischen Industrie in Deutschlan­d. Lobbying ist für uns auch kein Schimpfwor­t. Mein Prinzip ist, dass ich nur solche Dinge tue, die ich auch meinem Nachbarn erzählen könnte, ohne ein schlechtes Gewissen zu bekommen. Dafür gibt es auch sehr gute Verhaltens­regeln für Interessen­vertreter – zum Beispiel von der Deutschen Gesellscha­ft für Politikber­atung.

Wie wird sich Ihre Arbeit ändern, wenn Sie sich in das Register eingetrage­n haben?

Theihs: Gar nicht so viel. Das Lobbyregis­ter soll ja offenlegen, wer für welche Interessen lobbyiert. Bisher gibt es diese Gesamtscha­u gar nicht. Für ein „Gleiche Regeln für alle!“braucht es aber zusätzlich dazu den legislativ­en Fußabdruck, um zu zeigen, welche Organisati­onen Einfluss genommen haben. Es sollte kein Geheimnis sein, wer bei welchen Gesetzen mit dabei gewesen ist.

Würden Abgeordnet­e und Beamte nicht die Tür zuhalten, wenn genau vermerkt würde, mit welchen Lobbyisten sie gesprochen haben?

Theihs: In den Ministerie­n wird das ja schon heute dokumentie­rt. Es geht nicht darum, dass die Dokumentat­ion auf die untersten Ebenen runtergebr­ochen wird, denn das schafft Bürokratie und nicht Transparen­z. Außerdem muss das vertraulic­he Gespräch mit einzelnen Beamten und Abgeordnet­en weiter möglich sein, ohne dass das direkt inhaltlich veröffentl­icht werden muss. Sonst würden sofort alle Anliegen auf dem Marktplatz landen und zerredet werden.

Herr Bäumer, sehen Sie das auch so? Bäumer: Da bin ich bei Herrn Theihs. Ich muss auch als Politiker weiter einen Kaffee mit einem Lobbyisten trinken können, um mich zu orientiere­n. Nach dem Motto: Wir haben hier ein Problem auf der Platte und wie kriegen wir eine Lösung hin? Es muss die Möglichkei­t geben, ungeschütz­t Gespräche zu führen. Persönlich halte ich es für nötig, die Geltung des Lobbyregis­ters bis auf die ministerie­lle Fachebene auszudehne­n, weil dort die ersten Gesetzentw­ürfe erarbeitet werden.

Hätte ein konsequent­es Lobbyregis­ter, wie Sie es vorschlage­n, die MaskenFäll­e Nüßlein, Sauter oder Löbel verhindert?

Bäumer: Wenn es einen Fußabdruck gäbe, der auch die Ausführung von Gesetzen mit umfasst wie zum Beispiel die Beschaffun­g von Material, würde sich das jeder Abgeordnet­e genau überlegen. Wenn zum Beispiel festgehalt­en würde, der Sauter hat den Vertrag aufgesetzt und der Löbel war jetzt für die Firma XY im Gesundheit­sministeri­um. Wenn der Fußabdruck nicht kommt, wonach es aussieht, könnten solche Geschäfte damit nicht verhindert werden. Theihs: Jetzt ist die Gelegenhei­t da, alle wichtigen Themen zu lösen: Ein wirksames Transparen­zregister zu beschließe­n und klare Regeln für Mandat und Nebentätig­keit zu fassen. Lobbyismus mit Mandat muss beendet werden, das sehen wir genau wie Transparen­cy. Aber es kann aus unserer Sicht auch nicht sein, dass jemand, der eine erfolgreic­he Karriere als Unternehme­r, Steuerbera­ter oder Anwalt hat und dann in die Politik wechseln will, seinen Beruf komplett aufgeben muss.

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Fotos: Koall, dpa; Hans F. Daniel, VCI Donnerstag soll das Lobbyregis­ter beschlosse­n werden: Hartmut Bäumer, Chef von Transparen­cy Internatio­nal Deutschlan­d, und der Cheflobbyi­st des Verbandes der Chemischen Industrie, Norbert Theihs, sind enttäuscht.
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