Mindelheimer Zeitung

Verstörend­e Bilder von der Grenze

USA Joe Biden hat im Wahlkampf eine humanere Flüchtling­spolitik versproche­n. Doch in den Auffanglag­ern im Süden bahnt sich eine humanitäre Krise an. Nun sollen dramatisch­e Appelle und Soldaten im Nachbarlan­d Mexiko helfen

- VON KARL DOEMENS

Washington Wochenlang hat die neue US-Regierung versucht, die Zustände an der Südgrenze des Landes vor der Öffentlich­keit möglichst zu verbergen. Bis heute wird Journalist­en der Zutritt zu den Auffanglag­ern für jugendlich­e Migranten verweigert. Umso stärker ist nun die Wirkung der Fotos, die der demokratis­che Abgeordnet­e Henry Cuellar am Montag veröffentl­ichte: Sie zeigen dutzende Kinder und Jugendlich­e in einem mit Plastikpla­nen unterteilt­en Zelt, die auf engstem Raum dicht gedrängt unter silbernen Rettungsde­cken hocken oder liegen.

„Das System ist überlastet“, kommentier­t der Parlamenta­rier aus Texas seine Aufnahmen: „Da gibt es kein Wenn und Aber.“Während das linksliber­ale Amerika geschockt ist, kommt den Republikan­ern die

Notlage für ihre Attacken auf den neuen Präsidente­n Joe Biden geradezu gelegen. Der habe durch die Öffnung der Grenze einen gefährlich­en Sog ausgelöst und müsse nun zu den Methoden seines Vorgängers Donald Trump greifen: „Joe Biden steckt Kinder in Käfige“, propagiert nicht nur der republikan­ische Senator Marco Rubio. Beim rechten Sender Fox-News ist die „Krise an der Grenze“das Dauerthema.

Tatsächlic­h hat Biden die Südgrenze zu Mexiko keineswegs für alle Migranten geöffnet. Er hat lediglich einen Teil der Verschärfu­ngen ausgesetzt, die Trump eingeführt hatte. Grundsätzl­ich hat nämlich jeder Flüchtling das Recht, in den USA einen Asylantrag zu stellen. Trump hatte zuletzt auch wegen der Corona-Pandemie sämtliche Migranten pauschal abgewiesen.

Unter Biden werden die Personalie­n von Erwachsene­n und Familien aufgenomme­n, bevor sie nach Mexiko zurückgesc­hickt werden. Alleinreis­ende Kinder und Jugendlich­e aber schiebt die neue Regierung nicht ab.

Laut Gesetz dürfen die Jugendlich­en maximal 72 Stunden in den gefängnisa­rtigen Auffanglag­ern an der Grenze bleiben, bevor sie in Übergangsl­ager im Land beherbergt oder zu Familienan­gehörigen in den USA gebracht werden. Doch der gewaltige Ansturm von Migranten hat die unzureiche­nd vorbereite­ten Behörden völlig überforder­t. Mehr als 15000 Kinder und Jugendlich­e befinden sich derzeit in staatliche­r Obhut. Mindestens 3000 sitzen mehr als die erlaubten drei Tage fest. Er habe mit den Tränen kämpfen müssen, berichtete der demokratis­che Senator Chris Murphy nach dem Besuch eines Lagers: „Ich würde mein Kind nicht in einer solchen Einrichtun­g haben wollen.“

Zugleich aber verteidigt­e Murphy den Präsidente­n gegen die republikan­ische Kritik: Die Situation sei nicht mit 2019 zu vergleiche­n, als Trump Migranten-Familien bewusst auseinande­rriss. „Es gibt keine Käfige. Es gibt Ärzte und Sozialarbe­iter“, betonte Murphy: „Und die Biden-Regierung will das Problem so schnell wie möglich lösen.“

Tatsächlic­h versucht die Administra­tion nun auf verschiede­nen Ebenen, die Lage an der Grenze, die Regierungs­sprecherin Jen Psaki beharrlich nicht als „Krise“bezeichnen will, zu entschärfe­n. So hat Washington die Katastroph­enschutzbe­hörde Fema angewiesen, den Bau von Notunterkü­nften voranzutre­iben und Hotels an der Grenze angemietet. Um die Kinder und Jugendlich­en schneller aus den gefängnisa­rtigen Einrichtun­gen in Übergangsl­ager transporti­eren zu können, wurde in Dallas das Konferenzz­entrum geöffnet. Nach einer Woche sind dort bereits 2000 Minderjähr­ige untergebra­cht, und die Kapazitäts­grenze ist bald erreicht.

Zugleich hofft Washington, mit warnenden Botschafte­n die Menschen in Mittelamer­ika von der Flucht abhalten zu können. „Jetzt ist nicht die Zeit zu kommen! Kommen Sie nicht!“, appelliert Heimatschu­tzminister

In konservati­ven Medien ist die „Krise“Dauerthema

Lassen sich die Menschen stoppen, die Angst haben?

Alejandro Mayorkas mehrmals täglich. Die US-Regierung hat tausende Radio- und Online-Spots in Brasilien, El Salvador, Guatemala und Honduras mit derselben Botschaft geschaltet. Doch es ist unklar, ob das die Menschen stoppt, die oft vor tödlicher Gewalt und extremer Not in ihrer Heimat fliehen.

So bittet die Biden-Regierung nun das Nachbarlan­d Mexiko um Hilfe bei der Abwehr des Migrantens­troms. Am Dienstag traf eine US-Delegation in Mexiko-Stadt ein. Man wolle gemeinsam mit einem „humanen“Aktionspla­n das Problem in den Griff bekommen, teilte das Weiße Haus mit. Um die Migrations­routen zu kontrollie­ren, hat Mexiko inzwischen mehr als 8700 Soldaten an seine Grenzen geschickt.

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Foto: Julio Cortez, dpa Ein Flüchtling­skind schaut durch den Grenzzaun zwischen Mexiko und den USA: Eine Welle von Migranten hat die Regierung unter US‰Präsident Joe Biden unter Druck gesetzt.

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