Mindelheimer Zeitung

Netanjahu muss noch zittern

Israel Auch nach der vierten Wahl in zwei Jahren steckt das Land in einem politische­n Patt

- VON RUDI WAIS

Augsburg/Tel Aviv Es geht schon auf drei Uhr morgens zu, als Benjamin Netanjahu sich zum Wahlsieger erklärt. So groß wie seit Jahrzehnte­n nicht mehr sei der Vorsprung seines konservati­ven Likud auf die anderen Parteien, sagt der israelisch­e Ministerpr­äsident, und dass er nun zügig eine Regierung bilden wolle. Wie die aussehen könnte, ist allerdings auch am Tag nach der vierten Wahl innerhalb von nur zwei Jahren unklar. Einmal mehr sind das Lager der Netanjahu-Verbündete­n und das seiner Gegner annähernd gleich stark. Endgültig Klarheit wird vermutlich erst am Freitag herrschen, wenn auch die 450000 Stimmen aus den Garnisonen, den Gefängniss­en und den Wahlstatio­nen für coronakran­ke oder in Quarantäne geschickte Israelis ausgezählt sind.

Um weiterregi­eren zu können, braucht Netanjahu eine Mehrheit von 61 Abgeordnet­en in der Knesset, dem israelisch­en Parlament. Nach aktuellem Stand verfehlt das von ihm angestrebt­e Bündnis aus konservati­ven und religiösen Parteien sie um zwei Mandate, der Likud selbst kommt als stärkste politische Kraft auf 30 oder 31 Sitze. Gleichzeit­ig allerdings ist die Opposition zu zersplitte­rt, um daraus Kapital schlagen zu können. Dort sitzen neben dem liberalen Wortführer Jair Lapid zwei linke Parteien, ehemalige Netanjahu-Verbündete aus dem stramm rechten Lager und die Vertreter der arabischen Minderheit. Dass diese ungleichen Partner sich auf eine Allianz zur Ablösung von Netanjahu einigen, gilt als äußerst unwahrsche­inlich. Auch deshalb machten noch am Wahlabend Spekulatio­nen über eine weitere Wahl im Spätsommer die Runde. Netanjahu selbst beteuert, er wolle das vermeiden. Eine Mehrheit der Israelis wünsche sich „eine starke und stabile Rechtsregi­erung“.

Trotz eines laufenden Korruption­sverfahren­s gegen ihn hat Netanjahus Likud kaum Stimmen verloren – vermutlich das Ergebnis seiner Impfkampag­ne, für die Israel in aller Welt bestaunt wird. Netanjahus Problem: Obwohl das Land mit großer Mehrheit konservati­ve, rechte und religiöse Parteien gewählt hat, ist längst nicht jede von ihnen ein potenziell­er Partner für ihn. Mit den sechs Abgeordnet­en der Partei „Neue Hoffnung“zum Beispiel hätte er eine stabile Mehrheit, die aber wird vom früheren Likud-Mann Gideon Saar geführt, der selbst gerne Likud-Chef geworden wäre und auf keinen Fall mit Netanjahu koalieren will. Auch deshalb spekuliert Israel im Moment heftig darüber, ob der Ministerpr­äsident möglicherw­eise die konservati­v-islamische Partei Raàm auf seine Seite zieht.

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Foto: Noam Moskowitz, dpa Benjamin Netanjahu bedankt sich bei sei‰ nen Anhängern.

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