Mindelheimer Zeitung

„Die Autos sind sehr aggressiv“

Interview Der ehemalige Formel-1-Fahrer Timo Glock spricht über den Saisonstar­t am Wochenende, die Entwicklun­g der Fahrzeuge, die Favoritenr­olle und die Erwartunge­n an Sebastian Vettel und Mick Schumacher

- Interview: Marco Scheinhof

Herr Glock, am Wochenende startet die Formel 1 in die neue Saison. Welche Erwartunge­n haben Sie?

Timo Glock: Ich hoffe, dass ein bisschen mehr Spannung reinkommt. Und dass Lewis Hamilton nicht so einen Durchmarsc­h hinlegt wie in den vergangene­n Jahren. Vielleicht kann Red Bull mit Max Verstappen und Sergio Perez mehr Druck auf Mercedes aufbauen. Ich traue auch McLaren-Mercedes eine Überraschu­ng zu, die beim Test ein gutes Paket hatten. Ähnlich wie Alpha Tauri. Wobei dort Tsunoda mit weniger Sprit gefahren ist, um ein Gefühl für die Formel 1 zu bekommen. Vielleicht sind ja die Schwestert­eams Red Bull und Alpha Tauri auf einem Niveau und können Mercedes mit vier Autos unter Druck setzen.

Wie aussagekrä­ftig waren denn die drei Testtage in Bahrain?

Glock: Das ist immer schwer zu sagen. Red Bull hat schon analysiert, dass Mercedes dort mit weniger Motorenlei­stung gefahren sein soll. Erkennbar war aber auch, dass die neue Aerodynami­kregel für den Unterboden Mercedes offenbar mehr zu schaffen macht. Das Auto liegt noch nicht so auf der Straße, wie sich das Lewis Hamilton wünscht. Diese neue Regel könnte die Teams tatsächlic­h näher zusammenbr­ingen. Anderersei­ts kann Mercedes immer irgendwo was aus dem Köcher zaubern. Das Team ist sehr erfahren. Es würde mich überrasche­n, wenn sie nicht wieder ihre gewohnte Performanc­e finden würden.

Die neue Regel betrifft den Unterboden, der eingeschni­tten ist.

Glock: Ja, vor dem Hinterrad wurde Fläche weggenomme­n. Das kommt den Autos entgegen, deren Heck im Stehen sehr hoch ist, die also eine Art Keilform haben. Der Mercedes ist dagegen etwas flacher.

Waren Sie überrascht, dass Mercedes bei den Tests solche Probleme hatte? Glock: Das Auto sah nicht so konstant aus, wie wir es kennen. Es war auf der Hinterachs­e nervöser. Hamilton hatte da richtig zu kämpfen und war sogar einmal im Kiesbett. Der Wind war sehr kräftig, bei solchen Bedingunge­n wird es noch deutlicher, wenn das Auto unkonstant ist.

Jetzt blieben nur zwei Wochen zwischen Test und Saisonstar­t. Was konnte Mercedes da noch tun?

Glock: Mercedes ist in der Analyse und in der Simulation sehr gut. Jedes aerodynami­sche Update, das ans Auto kam, hat funktionie­rt. Das zeigt, dass die Windkanald­aten sehr gut sind. Was dort funktionie­rt, funktionie­rt auch auf der Strecke. Mercedes wird Lösungen finden. Teamchef Toto Wolff hat es geschafft, das Team lange zusammenzu­halten. Die viele Erfahrung zahlt sich aus.

Bei Lewis Hamilton hat es lange gedauert, bis er seinen Vertrag verlängert hat – und dann nur für ein Jahr. Was erwarten Sie von ihm?

Glock: Er ist weiter sehr stark motiviert, die Chance zu haben, seinen achten WM-Titel einzufahre­n und damit der erfolgreic­hste Fahrer aller Zeiten zu werden. Das treibt ihn an. Spannend ist, was danach passiert. Ob er im Erfolgsfal­l auf seinem Höhepunkt zurücktrit­t und sagt: Jetzt bin ich genug im Kreis gefahren. Oder ob er sich der Herausford­erung mit den neuen Regeln stellt. Offenbar hatte man bei Mercedes in einigen Vertragspu­nkten keine Einigung gefunden, was die Zukunft angeht, deshalb nur die Verlängeru­ng um ein Jahr. Es wird auch spannend, wie sich Mercedes über die Saison gesehen damit auseinande­rsetzt. Ob man es überhaupt angeht oder sich Zeit lässt, bis zum Beispiel der achte WM-Titel eingefahre­n ist. Das bringt zusätzlich Spannung, weil es vielleicht auch Hamilton irgendwann beschäftig­en wird.

Sebastian Vettel hat das Team von Ferrari zu Aston Martin gewechselt.

Kann er jetzt wieder an seine erfolgreic­hen Zeiten anknüpfen?

Glock: Das kommt auf das Gesamtpake­t an. Wenn es gut genug ist wie vergangene­s Jahr, sind viele Möglichkei­ten offen. Wobei er nicht um die WM fahren wird. Er hat aber die Chance, wieder Ausrufezei­chen zu setzen und aufs Podium zu fahren. Oder bei ganz glückliche­n Umständen auch mal zu gewinnen. Ich wünsche ihm, dass er nach diesem Dilemma mit Ferrari wieder positiv nach vorne schauen kann und den Spaß am Rennfahren wieder entdeckt. Er wirkt deutlich positiver. Die Tests sind für ihn nicht optimal gelaufen. Wenn aber das Paket gut ist, wird er sich über das Jahr reinarbeit­en. Wenn er merkt, dass er den Rückhalt hat und keinen politische­n Spielchen ausgesetzt ist, werden wir ihn wieder zu alter Stärke zurückkomm­en sehen. Ich habe bislang aber noch nicht mit ihm gesprochen und habe hoffentlic­h in Bahrain die Möglichkei­t dazu.

Dabei wohnen Sie in der Schweiz doch gar nicht weit auseinande­r.

Glock: Das stimmt. Er ist aber viel unterwegs, ich auch. Jetzt nehmen wir uns hoffentlic­h, wenn es wegen Corona möglich ist, in Bahrain mal die Zeit.

Mit Mick ist auch ein Schumacher in der Formel 1 zurück. Die Erwartunge­n werden groß sein, kann er die beim Team Haas erfüllen?

Glock: Da muss man auf die Bremse treten. Sein Auto bietet nicht die Möglichkei­t, dass er auf dem Podest steht oder ständig in die Punkte fährt. Aber er kann sich in die Formel 1 reinarbeit­en und ein Gefühl dafür bekommen. Mit einem Team wie Haas in dieser Größe ist es gut möglich, Fuß zu fassen. Ich hoffe, dass er sich nicht selbst zu viel Druck macht, sondern sich die Zeit gibt wie zuletzt in den Nachwuchss­erien.

Wo liegen denn seine Stärken und Schwächen?

Glock: Er ist ein sehr cleverer Rennfahrer, hat eine gute Übersicht und kann Situatione­n gut einschätze­n. Ich habe ihn noch nie mit einem Harakiri-Manöver erlebt. Er bereitet das Überholen clever vor und weiß genau, wann er attackiere­n und wann zurücknehm­en muss. Einen richtigen Schwachpun­kt sehe ich bei ihm nicht.

Kann man ihn mit seinem Vater vergleiche­n oder wäre das unfair?

Glock: Er muss seine eigene Karriere starten. Man kann auch die sieben WM-Titel von Michael Schumacher nicht mit denen von Lewis Hamilton vergleiche­n. Jeder hat zu seiner Zeit eine herausrage­nde Leistung gebracht. Mick muss seinen eigenen Weg gehen. Nur weil ein Schumacher zurück ist, heißt das nicht, dass Mick jetzt auch sieben Mal Weltmeiste­r werden muss.

Sie waren lange in der Formel 1 dabei, allerdings zuletzt 2012. Wie hat sich die Formel 1 seitdem verändert? Glock: Die Autos sind noch komplexer und schneller geworden. Die Geschwindi­gkeit auf einer Runde in der Qualifikat­ion mit wenig Sprit ist unfassbar. Die Autos sind zudem sehr aggressiv. Wenn es mal ausbricht, ist es nur schwer einzufange­n. Das ist eine andere Dimension.

Reizt es Sie, so ein Auto noch mal fahren zu können?

Glock: Das würde ich sofort machen. Aber mein Nacken würde das wohl keine zwei Runden mitmachen.

Sie waren lange Formel-1-Experte bei RTL, jetzt bei Sky. Sind Sie gut angekommen dort?

Glock: Es ist sehr spannend und angenehm. Meine Stimmbände­r müssen sich allerdings noch an die neuen Sprechzeit­en gewöhnen, die deutlich mehr geworden sind. Ich habe mehr Redeanteil durch den verlängert­en Vor- und Nachlauf bei Sky. Das Kommentier­en der Rennen kommt neu hinzu. Auch die Zusammenar­beit mit dem anderen SkyExperte­n Ralf Schumacher funktionie­rt sehr gut. Er hat eine klare Meinung, was ich sehr schätze.

In dieser Saison wird es voraussich­tlich kein Rennen in Deutschlan­d geben. Glock: Das ist sehr schade. Der Hockenheim­und Nürburgrin­g haben beide eine große Tradition. Sie gehören zum Standardpr­ogramm der Formel 1. Auch für die deutschen Fans wäre es schön, ein Heimrennen zu haben. Vor allem jetzt mit Mick Schumacher und Sebastian Vettel.

Wie sehen Sie generell die Zukunft der Formel 1?

Glock: Die Formel 1 muss darüber nachdenken, wie sie dem Fan den Sport näherbring­en kann. Da ist die Distanz noch zu groß. Die Formel 1 muss den Fans eine gute Show bieten. Wegen der Unterhaltu­ng kommen sie an die Strecke. Mehr Kopfzerbre­chen macht mir allerdings die Lage wegen Corona, da die Pandemie eben nicht zulässt, Fans an die Strecke zu bringen. Davon leben die Strecken und die Formel 1 aber.

Mit welchem Gefühl fliegen Sie nun während der Pandemie nach Bahrain? Glock: Mit einem ganz normalen. Außer, dass das Reisen durch die vielen Tests schwierige­r geworden ist. Trotzdem freue ich mich, hinzuflieg­en, um den Zuschauern anderes zu bieten als immer nur Corona. Ein bisschen Abwechslun­g und etwas mehr Normalität.

war von 2008 bis 2012 in der Formel 1, zuletzt fuhr er DTM. Der 39‰Jährige ist verheirate­t und hat zwei Kinder.

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Foto: dpa Max Verstappen könnte Hamiltons gro‰ ßer Konkurrent werden.
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Foto: dpa Sebastian Vettel hat wieder mehr Freude an seinem Job.
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Foto: dpa Mick Schumacher will in der Formel 1 Fuß fassen.
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Foto: dpa Lewis Hamilton hatte im Mercedes unge‰ wohnte Probleme.
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Timo Glock

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