Mindelheimer Zeitung

Nur noch fassungslo­s über das Hin und Her

Lockdown Zwar kassiert Kanzlerin Merkel die umstritten­e Osterruhe wieder ein und erntet dafür Lob, aber das Chaos macht Wirtschaft­svertreter sprachlos. Bayerns Handelsver­bandschef Puff spricht von „Rat- und Hilflosigk­eit“der Politik

- VON MICHAEL KERLER UND STEFAN KÜPPER

Augsburg Vorher. Nachher. Osterruhe. Dann doch nicht. Gründonner­stag schließen, nun doch wieder öffnen. Wenn Wirtschaft vernünftig­e Rahmenbedi­ngungen, Planbarkei­t, braucht, dann haben Bundeskanz­lerin Angela Merkel und die Ministerpr­äsidenten der Länder mit ihren jüngsten Corona-Beschlüsse­n, nun ja, den Eindruck des absoluten Gegenteils hinterlass­en. Das zeigen die deutlichen Reaktionen aus der Wirtschaft.

Im Handwerk schüttelt man über das politische Hin und Her fassungslo­s den Kopf. „Es ist richtig, dass der Schnellsch­uss des Ruhetags am Gründonner­stag zurückgeno­mmen worden ist, darüber herrscht bei uns Erleichter­ung“, sagt Ulrich Wagner, Hauptgesch­äftsführer der Handwerksk­ammer für Schwaben. „Es ist höchst respektabe­l, dass Kanzlerin Angela Merkel diesen Fehler einräumt“, sagt er. „Das ändert aber nichts daran, dass die Entscheidu­ngen zwischen Bund und Ländern von Montagnach­t das Bild von Chaos, Unzuverläs­sigkeit und Unplanbark­eit befeuern“, sagt Wagner. „Es ist keine Verlässlic­hkeit in der Corona-Politik da, unsere Betriebe sind mit Mut und Geduld am Ende.“

Rund 300 Anrufe von Handwerksu­nternehmen hätten ihn seit Montag erreicht, berichtet Wagner. „Die Unternehme­r fragen sich: Was ist da los? Sind alle verrückt geworden?“Die Unsicherhe­it schlage inzwischen auf Branchen im Handwerk durch, welche lange gut durch die Krise kamen. „Die Aufträge im Baubereich gehen deutlich zurück – dies war bisher das Zugpferd“, warnt Wagner. Handwerksb­etriebe wie Metzger oder Bäcker, die an Restaurant­s oder Hotels liefern, leiden ebenfalls stark.

Der freie Gründonner­stag ist vom Tisch, der bis 18. April verlängert­e Lockdown aber bleibt – und stellt Unternehme­n vor Probleme. Direkt betroffen seien im Handwerk die handwerkli­chen Gewerbe mit Ladengesch­äften, wie Gold- und Silberschm­iede, Maßschneid­er, Uhrmacher oder Keramiker. Diese stünden erneut praktisch ohne Geschäftsg­rundlage da. „Dass der Politik wieder einmal nicht mehr einfällt, als die vor zwei Wochen beschlosse­nen, leichten Öffnungen einfach wieder zurückzune­hmen, ist ein Armutszeug­nis“, sagt Handwerksk­ammer-Präsident Hans-Peter Rauch.

Durch das Chaos rund um den Gründonner­stag haben Friseure die Termine ihrer Kunden an dem Tag erst storniert, jetzt müssen sie alles rückgängig machen. „Wir müssen für einen mittleren bis längeren

verlässlic­he Rahmenbedi­ngungen haben“, fordert Handwerksv­ertreter Wagner. Statt neuer Schnellsch­üsse wünscht er sich von der Politik, den seit dem 8. März greifenden, an Corona-Inzidenzwe­rte geknüpften Stufenplan für Öffnungen und gegebenenf­alls Schließung­en einzuhalte­n. „Darauf haben sich alle Betriebe eingestell­t, man darf so einen Plan nicht alle 14 Tage umwerfen.“Zudem ist Wagner überzeugt, dass die Hygienemaß­nahmen

in den Betrieben greifen und Nutzen bringen. Die Autoindust­rie warnte diese Woche davor, dass spontane Lockdown-Tage ihre Lieferkett­en massiv durcheinan­derbringen.

Auch im Handel hat man die Kehrtwende am Mittwoch fassungslo­s verfolgt. So hatte Wolfgang Puff, Hauptgesch­äftsführer des Handelsver­bandes Bayern, im Gespräch mit unserer Redaktion die Corona-Beschlüsse zunächst wie folgt kommentier­t: „Es ist ein Ausdruck der Hilflosigk­eit, nichts Halbes und nicht Ganzes. Es zeigt, dass der Staat in den wichtigen Kernbereic­hen der Pandemiebe­kämpfung versagt hat. Darunter verstehe ich: Impfen, eine schlüssige Teststrate­gie und die

Kontaktnac­hverfolgun­g.“Es sei genügend Zeit gewesen, sich darauf vorzuberei­ten, diese aber sei nicht genutzt worden. „Und nun stehen wir vor dem Dilemma, dass es mit dem Lockdown weitergeht.“Die zuerst angedachte Schließung am Gründonner­stag bezeichnet­e Puff als „vollkommen unverständ­lich“. Der ist für gewöhnlich nicht nur der umsatzstär­kste Tag des Einzelhand­els im ganzen Jahr, deshalb sei die Logistik „eng gestrickt und ausgefeilt“. Die Entscheidu­ng aus Berlin brächte „alles durcheinan­der“. Zudem wäre durch den dann erwarteten Ansturm am Mittwoch „das Ziel der Frequenzmi­nimierung konterkari­ert worden“. Er betonte: „Die vernünftig­ste Entscheidu­ng wäre, diese Regel wieder zu kippen.“

Wenig später wurde sein Wunsch erhört. In Berlin wurden die Beschlüsse zur Osterruhe am Gründonner­stag zurückgeno­mmen. Puff kommentier­te das so: „Wir begrüßen die Entscheidu­ng sehr, wir sind froh, dass es so gekommen ist, aber sie ist auch Ausdruck der Rat- und Hilflosigk­eit der politisch Verantwort­lichen.“Er erwartet jetzt, dass das Impfen, das Nachvollzi­ehen von Kontakten und die Teststrate­gie „endlich so umgesetzt werden, wie wir uns das alle wünschen – sonst werden wir nicht zu einer Normalität zurückkomm­en“. Außerdem gibt Puff zu bedenken, dass MenZeitrau­m schenleben höher zu bewerten seien als Datenschut­z. „Deshalb fehlt mir auch jegliches Verständni­s, wenn unter Berufung auf datenschut­zrechtlich­e Probleme die lebensnotw­endigen Kontaktver­folgungen verhindert werden.“

Mehr Zuverlässi­gkeit wünscht man sich auch in der Industrie. Für die Industrie- und Handelskam­mer Schwaben begrüßt Hauptgesch­äftsführer Marc Lucassen zwar die Rücknahme der Pläne zur Osterruhe und zollte der Bundeskanz­lerin dafür Respekt. Gleichzeit­ig sei die Wirtschaft über die Arbeitswei­se der Bundes- und Landesregi­erungen zunehmend besorgt, sagt er. „Es verfestigt sich der Eindruck, dass die politische­n Entscheidu­ngsträger mit der Krise überforder­t sind“, kritisiert Lucassen. „Eine Dauerschle­ife von Entscheidu­ngsrunden mit einem Zeithorizo­nt von zwei Wochen ist die falsche Antwort auf die großen Herausford­erungen, die wir gemeinsam meistern müssen.“

Mehr Zuverlässi­gkeit fordert auch Bertram Brossardt, Hauptgesch­äftsführer der Vereinigun­g der Bayerische­n Wirtschaft: Die Firmen setzten Hygienekon­zepte um und seien nicht Treiber der Pandemie. „Unsere Unternehme­n wünschen sich in der schweren Krise nun im besonderen Maße mehr Planungssi­cherheit durch politische Prozesse im Bund“, sagt er.

Friseure hatten schon viele Kundenterm­ine abgesagt

 ?? Foto: Christoph Soeder, dpa ?? Die Corona‰Politik drückt auf die Stimmung in vielen Unternehme­n, wie in diesem Kosmetiksa­lon in Berlin deutlich wird.
Foto: Christoph Soeder, dpa Die Corona‰Politik drückt auf die Stimmung in vielen Unternehme­n, wie in diesem Kosmetiksa­lon in Berlin deutlich wird.

Newspapers in German

Newspapers from Germany