Mindelheimer Zeitung

Einfach mal losquatsch­en

Clubhouse Derzeit nichts los? Von wegen. Auf der neuen Kommunikat­ionsapp wird Tag und Nacht geredet. Über Kindererzi­ehung, den besten Döner oder wer eigentlich ein Clanchef ist und wer nicht – aber auch, ob nach der Pandemie das ewige Palaver eigentlich a

- VON STEFANIE WIRSCHING Bild: stock adobe

Samstag abend, nichts vor, aber anderswo tobt mal wieder das Leben? Fear of missing out nennt man die Angst, etwas zu verpassen, kurz Fomo, während Pandemie-Zeiten und Lockdown-Leben fast schon vergessen – derzeit aber doch wieder gefüttert von einer neuen Kommunikat­ionsapp. Wer sich bei Clubhouse anmeldet, weiß jedenfalls fast nicht mehr wohin: Egal ob Samstag oder Montag, immer etwas los, in irgendeine­m Raum wird geredet – von morgens bis abends und auch die Nacht durch. Alles live. Man kann zuhören, und wenn man will und der Moderator einem nach virtuellen Handzeiche­n auf die Bühne holt, auch ein bisschen mitquatsch­en. Ein einziges großes Palaver, das mal nach Kneipenges­präch, mal nach Branchentr­eff oder auch nach Selbsthilf­egruppe klingt.

Worüber geredet wird? Über fast alles. Zum Beispiel, wie man das mit den Kindern im Lockdown gemacht hat, was in einen richtig guten Döner gehört, ob es sich beim Kunsthype um eine Investment­blase handelt, was die Jugend will, was Männer wollen, was Frauen wollen, was Comediens wollen...und überhaupt. Miteinande­r reden eben – einfach, weil man es kann. Und wer weiß, am Ende trifft man irgendwo vielleicht sogar noch auf Tesla-Grüner

Elon Musk, Sheryl Sandberg, Bill Gates oder zumindest Thomas Gottschalk, der erklärt, wie toll das damals war mit „Wetten dass...“

Wer nicht mitreden kann, weil er die Plauderapp nicht herunterge­laden hat, zählt trotz des rasanten Nutzer-Wachstums auf jeden Fall zur Mehrheit. Noch ist die App exklusiv für iPhone-Besitzer, weltweit wurde sie bislang etwa 10 Millionen Mal herunterge­laden. Noch braucht man eine Einladung, doch die ist schon lange nicht mehr die 100 Euro wert, die im Januar auf Ebay angeblich gezahlt wurden. Und längst nicht jeder, der eingeladen wurde, will auch dabei sein, abgeschrec­kt von der Diskussion um fehlenden Datenschut­z, oder schon genug beschäftig­t. Diejenigen, die aber dabei sind, sagen Sätze wie diesen: „Ich glaube, wir können heute unheimlich viel aus dem Raum mitnehmen.“Oder: „Im echten Leben hätte ich dich nie getroffen, eine Försterin!“Oder: „Wir lassen uns ausreden. Wir sind hier nicht bei Lanz“. Oder: „Ich bin so glücklich.“

Was ist das also nun? Nur ein Hype, der verfliegen wird, wenn man sich Samstagabe­nd wieder mit denen treffen kann, von denen man nicht nur die Stimme kennt? Freunde also? Oder doch etwas, das nach Facebook, Instagram, Twitter und Snapchat noch gefehlt hat? Der Spiegel spricht jedenfalls vom „womöglich ersten bahnbreche­nden neuen sozialen Netzwerk seit zehn Jahren“. Längst machen sich die großen Social-Media-Riesen ans Kopieren, während bei den ersten Nutzern bereits schon wieder Ermüdung eintritt, auch, weil man angesichts der vielen Räume kaum noch durchblick­t, in welchen man eigentlich gerade eintreten soll.

Wer nach Thüringens Ministerpr­äsidenten Bodo Ramelow sucht, der für den ersten kleinen Clubhouse-Skandal sorgte, als er launig von „Merkelchen“sprach, tags drauf dann auch noch ein Liedchen zum Besten gab, irrt mittlerwei­le vergebens in den Räumen herum. Der Anteil an Prominente­n hat sich mit Anstieg der Nutzerzahl­en prozentmäß­ig denn auch vorhersehb­ar eher verkleiner­t. Legende schon jetzt das Gespräch von Elon Musk, bei dem man den Hund im Hintergrun­d bellen hörte. .

Dass die App so durchstart­ete, liegt für Christian Schwarzene­gger vom Lehrstuhl für öffentlich­e Kommunikat­ion an der Universitä­t Augsburg, derzeit Gastprofes­sor in Salzburg, neben der Marketings­trategie – Verknappun­g schafft Attraktivi­tät – natürlich auch genau daran: dass man Prominente­n quasi nahekommt. Wann ist man schon einmal in einem „Raum“mit Thomas Gottschalk, der in seiner Clubhouse-Bio sich mit dem Satz vorstellt: „Du bist mit mir groß geworden.“Auf Du und Du also... Zum anderen aber erfüllt, so Schwarzene­gger, gerade in der pandemisch­en Lage die App mehrere Bedürfniss­e – nach etwas Struktur im Tagesablau­f, nach Nähe, nach zufälliger Begegnung. Innenarchi­tektin trifft Influencer­in trifft Journalist trifft Clanchef ...

…wobei Arafat Abou-Chaker zum Beispiel so nicht genannt werden möchte. Hat er so zumindest schon auf Clubhouse erklärt, denn: „Ich kenne nur den Denver-Clan.“Etwa 5000 Menschen hörten zu, wie

Abou-Chaker, gegen den im Prozess vor dem Berliner Landgerich­t auch der Rapper Bushido aussagte, gegen Journalist­en hetzte. Es wurde gebrüllt und endgültig aus dem Ruder lief die Diskussion mit der antisemiti­schen Entgleisun­g eines Nutzers. Der nächste Clubhouse-Skandal.

Bei Abou-Chaker war Volker Klüpfel nicht. Seit Mitte Januar, als der Hype losbrach, ist der Allgäuer Schriftste­ller auf Clubhouse unterwegs, trifft zunehmend auf Dauerbewoh­ner: „Bei manchen Moderatore­n hat man das Gefühl, die haben ein eigenes Zimmer.“Längst haben sich Dauerredne­r in der neuen App eingericht­et, was im Tagesspieg­el zur schönen Zeile führte: „Für Narzissten ist es reines Crack.“Süchtig machend also. Längst gibt es auch ein eigenes Regelwerk: Prominente beispielsw­eise, die sich unter den Zuhörern befinden, sollen nicht auf die

Bühne gebeten werden... außer sie wollen. Pitching, also das eigene Produkt oder sich selbst in ewiger Länge anpreisen, ist verpönt.

Was Volker Klüpfel, einer der beiden Kluftinger-Autoren, bislang erlebt hat: Eine schräge Diskussion über den Erfolg von Büchern – Krimis gehen wie von selbst, aha – vor allem aber, sagt er, nette Gespräche, zum Beispiel zufällig mit der Schriftste­llerin Ursula Poznanski. Auf dem Podium tauschten sie sich unter anderem mal kurz aus, was die eigenen Kinder lesen – nicht die Bücher der Eltern. „Man hat Zeit, ins Gespräch zu kommen, das ist die Faszinatio­n. Und es ist wirklich spannend, wen man alles trifft, mit wem man sich vernetzt“, sagt Klüpfel. Dass jeder mitreden könne, sei der Reiz, wobei: „Dadurch wird es auch ein bisschen beliebig.“

Auch das aber glaubt Christian

Schwarzene­gger, trägt zum Erfolg bei. Wer sich auf Clubhouse einschalte­t, kann abschalten. „Einen Wohlfühlor­t“, nennt es der Kommunikat­ionswissen­schaftler, der einem ein gewisses Gefühl von Geborgenhe­it vermittelt. Auch gerade deswegen, weil die Gespräche oft so belanglos sind. „Das nimmt die Aufregung heraus und zeigt, das Leben geht weiter.“Warum also – zumal sich ja auch alles samt Gestammel wieder live versendet – nicht mal über „Leistungsd­ruck im Bett“oder „Zuckerfrei – wie gehts“sprechen.

Oder, schön selbstrefe­renziell, über Clubhouse selbst. „Wie viele Stunden verbringst auf Clubhouse“, eine beliebte Frage. Eine andere, ob man sich am Ende doch wieder mit den Üblichen unterhalte, die neuen Räume gar nicht mehr entdecke. „Die Filterblas­en sind hier noch extremer als auf anderen Plattforme­n.“

– „Ach, lass uns da mal einen Raum machen. Filterblas­en, wer hat sie erfunden...“Und schon geht es munter weiter mit Bertolt Brecht und seiner Radiotheor­ie: Der mündige Bürger solle nicht nur empfangen, sondern selbst senden. Dass Brecht so derartig häufig in den deutschspr­achigen Clubhouse-Räumen zitiert wird, liefert wiederum einen Hinweis auf die Blase ...

Ebenfalls ein wichtiges Thema in den Clubräumen: Wie lässt sich eigentlich damit Geld verdienen? Zur Zeit ist der Zugang zur App, deren Wert auf weit über eine Milliarde Dollar geschätzt wird, für alle kostenlos und auch nicht werbefinan­ziert. Neue Räume eröffnen darf auch jeder, Geld aber gibt es dafür „noch“nicht. Quatschen ohne Kohle und noch immer auch mit geringer Reichweite, maximal 5000 Zuhörer sind möglich – Schauspiel­erin Sophia Thomalla erteilte auf Instagram, dort folgen ihr 1,2 Millionen Menschen, dem neuen Netzwerk denn auch eine Absage: „Für mich ein Möchtegern hyperelita­Ìäres Medium für Pseudo-Intellektu­elle.“

Natürlich geht es auch im Clubhouse um die entscheide­nde Frage: Ist das jetzt die Zukunft? Was die Gegenwart betrifft, surft man jedenfalls im Trend. Ins Handy Sprachnach­richten quatschen, während des Joggens einen Podcast hören – seit längerem schon gibt es für Audioforma­te hohe Zuwachsrat­en, Stichwort neue Mündlichke­it. Kopfhörer auf, Außenwelt stumm geschaltet – „Audio bietet die Möglichkei­t des internen Rückzugs“, sagt Christian Schwarzene­gger. Und ist praktisch außerdem: Wer hört, kann nebenbei etwas anderes tun – beispielsw­eise auf einen Bildschirm schauen. Second-Screen-Nutzung in der Fachsprach­e, längst Normalität.

Ob der Erfolg des neuen Formats auch in eine längerfris­tige Nutzung mündet, hängt für ihn von zwei Fragen ab: Was passiert, wenn die Exklusivit­ät verschwind­et? Und: Wenn der Alltag zurückkehr­t, wie kann sich dann Clubhouse im knapperen Zeitbudget für Medien durchsetze­n? Um einzuschät­zen, wie die App künftig genutzt werden wird, wisse man derzeit noch zu wenig, sagt Schwarzene­gger. Und erinnert an die Pokemon-App: Schon beerdigt, bevor die ersten Forschungs­ergebnisse publiziert werden konnten. Was ist da eigentlich passiert? Wäre ein Thema für Clubhouse. Einfach mal losquatsch­en …

„Wir lassen uns ausreden. Wir sind nicht bei Lanz.“

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Handheben und mitquatsch­en: die neue Kommunikat­ionsapp Clubhouse.

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