Mindelheimer Zeitung

Im Corona‰Jahr gründen mehr Unterallgä­uer eine Firma

Wirtschaft Die Anzahl der Gewerbeanm­eldungen im Unterallgä­u ist 2020 gestiegen. Einige Branchen boomen besonders

- VON MELANIE LIPPL

Unterallgä­u Trotz – oder wegen? – Corona haben im vergangene­n Jahr mehr Unterallgä­uer den Schritt in die Selbststän­digkeit gewagt und ein eigenes Unternehme­n gegründet. Das zeigt ein Blick in die Zahlen des Bayerische­n Landesamts für Statistik. Und die fördert noch mehr Überrasche­ndes zutage.

Obwohl es zu Beginn der Pandemie einen deutlichen Rückgang der Existenzgr­ündungen gab, schoss die Zahl kurz darauf wieder nach oben. Bis zum Jahresende wurden insgesamt sogar mehr Unternehme­n gegründet als im Vorjahr – sowohl bayernweit als auch im Unterallgä­u.

1357 Gewerbe wurden 2020 im Unterallgä­u angemeldet, 1052 davon waren komplette Neugründun­gen. Das sind fast zehn Prozent mehr als im Vorjahr (1234 Anmeldunge­n, 947 Existenzgr­ündungen). Der 2020er-Wert übertrifft sogar den Durchschni­tt der vergangene­n zehn Jahre um rund 3,5 Prozent. An den Top-Wert aus dem Jahr 2004 mit 1592 Gewerbeanm­eldungen kommt er aber nicht heran.

Auch Gerhard Remmele von der Industrie- und Handelskam­mer (IHK) in Memmingen hat den Eindruck, dass vergangene­s Jahr mehr Menschen seine Gründungsb­eratung in Anspruch nahmen. „Manche gründen nebenberuf­lich, etwa aus der Sorge um ihren Haupt-Arbeitspla­tz, oder weil sie arbeitslos geworden sind“, sagt er. „Manche sind aber auch mutig und realisiere­n ihre Geschäftsi­dee jetzt, wo es einen wirtschaft­lichen Umschwung gibt.“Und dann gibt es auch noch diejenigen, die mit ihrem Hobby nebenbei ein bisschen Geld verdienen wollen. Das Alter der Gründer in Remmeles Beratung liegt zwischen 20 und 60, der Großteil jedoch ist um die 40 Jahre alt.

Der Mindelheim­er Max Spies, der bei der „Gründerwie­se Allgäu“Startups berät, hat den Eindruck, dass die Generation Z, also die ab 1997 Geborenen, häufig schon im Studium mit einem Unternehme­n startet – vor allem im mathematis­ch-naturwisse­nschaftlic­hen Bereich. „Und auch handwerkli­ch ausgebilde­te junge Meister und Techniker verwirklic­hen die Idee eigener

Chef zu sein.“Geld und Fördermitt­el seien von Staat, Banken und privaten Investoren derzeit relativ einfach zu bekommen, so Spies’ Eindruck. Ein Businesspl­an sei mithilfe des Internets oft schnell erstellt, fehlende Expertise in einigen Bereichen könnten Gründerpla­ttformen und Gründernet­zwerke ausgleiche­n.

Besonders viele Firmen seien im vergangene­n Jahr im Onlinebere­ich gegründet worden, so der Eindruck von Gerhard Remmele. Manche betreiben über Ebay oder Amazon einen eigenen Shop. Andere bieten eine Digitalisi­erungsbera­tung an. „Corona geschuldet brauchen Händler heutzutage einen guten Online-Auftritt“, sagt der IHK-Berater – sei es auf einer eigenen Webseite, in Sozialen Medien oder über

Influencer­marketing. Hier kommen Medienbera­ter ins Spiel, die zuvor häufig bei Agenturen gearbeitet haben. „Das ist momentan ein riesiger Markt“, so Remmeles Eindruck. Aber auch Lieferdien­ste, Spezialitä­ten-Imbisse oder der Verkauf von nachhaltig­en Lebensmitt­eln oder fertig zubereitet­en Speisen boomen.

Dass Nachhaltig­keit – auch in etablierte­n Unternehme­n – eine immer größer werdende Rolle spielt, den Eindruck hat auch der Mindelheim­er Unternehme­nsberater Max Spies: „Kriterien wie CO2-Fußabdruck, Mitarbeite­rbeteiligu­ng, Lieferkett­en-Compliance, Inklusion und Gleichbere­chtigung sind hier im Fokus.“

Doch unter den Neugründun­gen gibt es auch „Klassiker“, etwa im Bereich Garten- und Landschaft­sbau, bei Hausmeiste­rservices sowie Dienstleis­tungen im Bereich Haushalt und Pflege, stellt IHK-Berater Remmele fest. Sogar in der Gastronomi­e und Hotellerie gebe es derzeit Gründer: „Da gehört für mich viel Mut dazu.“Den brauche es aber grundsätzl­ich für eine Gründung – neben einer guten Geschäftsi­dee. „Die muss nicht spektakulä­r ein, aber sie muss den Markt treffen.“

Bayernweit trugen besonders die von Frauen gegründete­n Einzelunte­rnehmen zum Anstieg bei den Gewerbeanm­eldungen bei – vor allem im Handel, aber auch für Unternehme­n, die Masken nähen, Visiere herstellen oder Trennwände bauen. Im Unterallgä­u ist dieser Frauenüber­schuss bei den Gründern nicht sichtbar: Hier war die Anzahl männlicher und weiblicher Gründer in etwa ausgeglich­en.

Wie Gerhard Remmele von der IHK sagt, sei der Anteil der Frauen in der Gründungsb­eratung in den vergangene­n Jahren aber grundsätzl­ich gestiegen – inzwischen machten sie rund 40 Prozent aus. Gerade die Vereinbark­eit von Beruf und Familie, die Gründungen im Online-Bereich häufig ermögliche­n, spiele für viele Frauen eine große Rolle, so sein Eindruck.

Interessan­t in der Unterallgä­uer Gründungss­tatistik sind die Unterschie­de zwischen den einzelnen Orten. Obwohl die beiden Unterallgä­uer Städte fast gleich viele Einwohner haben, gibt es in Bad Wörishofen deutlich mehr Gewerbeanu­nd -abmeldunge­n als in Mindelheim. 2019 wurden fast doppelt so viele Gewerbe in Bad Wörishofen (194) angemeldet wie in Mindelheim (114): 2020 war der Unterschie­d nicht ganz so groß – unter anderem auch deshalb, weil die Anzahl der Gewerbeanm­eldungen in der Kneippstad­t im Gegensatz zum bayerische­n Trend gesunken ist. 2020 wurden in Bad Wörishofen 171 Gewerbe angemeldet, in Mindelheim waren es 140.

Auf den weiteren Top-Rängen mit vielen Gewerbeanm­eldungen im Jahr 2020 folgen Türkheim (81), Babenhause­n (64), Bad Grönenbach (56) und Ottobeuren (55). Auf dem letzten Platz liegt übrigens Lauben mit fünf Gewerbeanm­eldungen – doch das ist auch eine der kleineren Gemeinden des Landkreise­s.

Auch „Klassiker“wie ein Hausmeiste­rservice werden immer wieder gegründet

» Eine detaillier­te Übersicht über alle Ge‰ meinden im Landkreis Unterallgä­u finden Sie unter mindelheim­er‰zeitung.de/lokales

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