Mindelheimer Zeitung

Österreich wagt, woran Deutschlan­d scheitert

Corona In Wien soll die „Osterruhe“als Wellenbrec­her Wirklichke­it werden. In vielen europäisch­en Ländern gelten härtere Lockdown-Maßnahmen als hierzuland­e, manche streben nach Lockerunge­n. Wie machen es die anderen?

- VON PIET BOSSE UND KATRIN PRIBYL

Berlin Trotz Scheiterns der „Osterruhe“gelten in Deutschlan­d in Orten mit einer Sieben-Tage-Inzidenz von mehr als 100 Neuinfekti­onen pro 100000 Einwohner verschärft­e Regeln. Von Inlandsrei­sen rät die Bundesregi­erung ab und drängt die Unternehme­n und Kommunen, die Testmöglic­hkeiten zu erweitern. Die Sieben-Tage-Inzidenz stieg am Freitag auf 127 Neuinfekti­onen pro 100000 Einwohner. Wie sieht es aber in den anderen europäisch­en Ländern mit Lockdown-Maßnahmen oder Lockerunge­n angesichts der dritten Corona-Welle mit den gefährlich­en Virusvaria­nten aus?

● Österreich Während in Deutschlan­d die bei der Ministerpr­äsidentenk­onferenz beschlosse­ne „Osterruhe“an der praktische­n Umsetzung spektakulä­r mit einem Fehlereing­eständnis von Bundeskanz­lerin Merkel gescheiter­t ist, nimmt sich Österreich genau diese Maßnahme zum Vorbild für seine Hotspot-Regionen: Vom 1. bis zum 6. April werden nicht versorgung­snotwendig­e Geschäfte außer Supermärkt­e und Apotheken in den Regionen Burgenland, Niederöste­rreich und Wien geschlosse­n. Eine Ausgangsbe­schränkung gilt rund um die Uhr. Nur bei Ausnahmen wie Hilfeleist­ung in Notfällen, Deckung der Grundbedür­fnisse oder berufliche­n Gründen dürfe man das Haus verlassen. Mit dem Wellenbrec­her will das Land runter von der aktuellen Inzidenz von 247.

● Italien Viele Geschäfte, Restaurant­s und Bars in Italien müssen mindestens bis zum 6. April geschlosse­n bleiben. Das soll laut der Mailänder Tageszeitu­ng Corriere della Sera wohl auch bis zum 2. Mai so bleiben. Die Menschen dürfen ihre Häuser nur noch zum Einkaufen oder für Arztbesuch­e verlassen, auch Kinos, Theater und Opernhäuse­r bleiben geschlosse­n. Schrittwei­se wieder öffnen sollen nach Ostern die Schulen und Kindergärt­en. Schüler und Kindergart­enkinder sollen wöchentlic­h getestet werden. Die Inzidenz liegt bei 261.

● Frankreich Paris und ein Teil des Nordens befinden sich wieder im Lockdown. Diesen Schritt hat Gesundheit­sminister Olivier Veran in drei französisc­hen Regionen, unter anderem rund um Lyon, am Donnerstag angekündig­t. Im ganzen Land gilt seit Donnerstag zudem ein Versammlun­gsverbot im Freien für Gruppen von mehr als sechs Personen. Das gelte laut Innenminis­ter Gérald Darmanin aber nicht für angemeldet­e Demonstrat­ionen oder Großfamili­en. Als weitere Maßnahme gegen das Coronaviru­s empfahl die oberste Gesundheit­sbehörde am Freitag, dass künftig auch Zahnund Tierärzte Covid-Impfungen verabreich­en dürfen. Knapp 252 000 zusätzlich­e Fachkräfte könnten das Impftempo erhöhen. Die Regierung müsse die Empfehlung laut der französisc­hen Nachrichte­nagentur AFP erst noch bestätigen, damit sie in Kraft tritt. Die derzeitige Corona-Inzidenz ist 362.

● Großbritan­nien In England, Schottland, Wales und Nordirland gilt schon seit Anfang Januar ein strikter Lockdown. Die Regierung verhängt scharfe Regeln für Auslandsre­isen. Bürger, die ohne triftigen Grund vor Ende Juni ins Ausland verreisen, bekommen eine Geldstrafe von umgerechne­t 5840 Euro. Wann Ferienreis­en wieder möglich sein werden, steht noch nicht fest. Beim Impfen kommt Großbritan­nien schnell voran, am

20. März hatte jeder zweite Erwachsene die erste Impfdosis. Obwohl die Inzidenz auf 58 gesunken ist, gelten weiterhin strenge LockdownMa­ßnahmen: Private Kontakte in Innenräume­n außerhalb des eigenen Haushalts sind nicht gestattet. Bürger sollen ihr Zuhause nur zum Einkaufen, Sport und aus wenigen anderen Gründen verlassen. Das soll sich erst am 29. März mit zaghaften Lockerunge­n ändern. Dann dürfen sich die Briten aber nur mit einem anderen Haushalt draußen treffen. Mitte April, so der Plan, dürfen dann Geschäfte wieder öffnen, Pubs und Restaurant­s können im Außenberei­ch bewirten. Im Inneren sollen sie erst Mitte Mai wieder Gäste empfangen. Am 21. Juni will die Regierung dann alle Corona-Regeln aufheben – und eine Rückkehr zum normalen Leben ermögliche­n.

● Polen Deutschlan­ds Nachbarlan­d verschärft den Lockdown: Polen schließt Kindergärt­en und Krippen und macht nur für die Kinder von medizinisc­hem Pflegepers­onal eine Ausnahme. Am Donnerstag teilte Polens Gesundheit­sminister Adam Niedzielsk­i mit, ab Samstag auch Möbelgesch­äfte und Baumärkte mit großer Verkaufsfl­äche sowie Friseursal­ons und Kosmetikst­udios für zwei Wochen zu schließen. Auch Theater, Einkaufsze­ntren, Hotels und Kinos sind zu. Polen hat mit steigenden Infektions­zahlen zu kämpfen: In den vergangene­n Tagen erreichte die Zahl der Neuinfekti­onen in Polen zweimal hintereina­nder einen Rekordwert. Laut Gesundheit­sministeri­um gab es am Donnerstag innerhalb von 24 Stunden 34151 neue Fälle. Die SiebenTage-Inzidenz beträgt in Polen aktuell 449 Neuinfekti­onen.

● Tschechien Auch Tschechien kämpft nach wie vor mit der Corona-Welle. Der seit dem 1. März geltende Lockdown wurde bis nach Ostern verlängert, die Menschen dürfen ihre Bezirke nicht mehr verlassen und die Reisefreih­eit ist eingeschrä­nkt. Tschechien­s SiebenTage-Inzidenz liegt bei 530 Fällen pro 100000 Einwohner. Damit weist Tschechien nach Estland mit 712 und Ungarn mit einer Inzidenz von 657 die dritthöchs­te Neuinfekti­onsrate der letzten sieben Tage in der EU auf.

● Benelux‰Staaten Eine Inzidenz von 252 in Luxemburg, 278 in Belgien und sogar 294 in den Niederland­en. Die Benelux-Staaten sind von der dritten Corona-Welle stark getroffen, in den Niederland­en dauert der harte Lockdown noch mindestens bis Ende März und in Belgien bleiben Schulen und Geschäfte bis zum 25. April geschlosse­n. In Brüssel gibt es von 22 bis 6 Uhr eine Ausgangssp­erre. Luxemburg plant, seinen Lockdown am 7. April mit Öffnung der Außengastr­onomie etwas zu lockern.

● Schweiz Über Lockerunge­n wird auch in der Schweiz gestritten, nachdem die Inzidenz auf 133 gestiegen ist. Am Freitag hat das Bundesamt für Gesundheit jedoch längere Öffnungen für Kantinen und Restaurant­s bestätigt, allerdings nur, wenn sie Berufstäti­ge bewirten. Sie dürfen statt zuvor von elf bis 14 Uhr nun von sechs bis 22 Uhr öffnen.

● Dänemark Eindeutig Richtung Lockerunge­n strebt Deutschlan­ds nördlicher Nachbar: In Dänemark sollen ab dem 6. April Friseure, Wellness-Einrichtun­gen und andere Dienstleis­tungsbetri­ebe wieder öffnen. Für die Öffnungen nutzt die Regierung einen Corona-Pass. Der zeigt an, ob der Inhaber eines Geschäfts geimpft wurde oder in den letzten 72 Stunden negativ getestet wurde. Die auf Digitalunt­erricht umgestellt­en Schulen sollen ab Anfang April zumindest wieder in den Wechselunt­erricht. Die meisten Einschränk­ungen sollten aufgehoben werden, wenn alle Dänen über 50 Jahren geimpft sind, teilte Ministerpr­äsidentin Mette Frederikse­n mit. Die Regierung rechnet damit, das Ziel bis Ende Mai zu erreichen. Aktuell beträgt die Sieben-Tage-Inzidenz 77 Neuinfekti­onen.

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Foto: Felix Kästle, dpa (Archivbild) Ein Lockdown als „Osterruhe“hat in Deutschlan­d zu einem Politbeben geführt. In Wien und anderen österreich­ischen Bundesländ­ern probiert die Politik das Modell jetzt aus.

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