Mindelheimer Zeitung

„Ermüdungsb­ruch“der Politik

Corona Die Ministerpr­äsidentenk­onferenz steht als Krisen-Organ schon länger in der Kritik. Nach der jüngsten Sitzung, die alles, aber keine Osterruhe brachte, steht sie noch mehr infrage, sagt der Kommunikat­ionsexpert­e Leonard Novy

- VON STEFAN KÜPPER

Berlin Die Ministerpr­äsidentenk­onferenz (MPK), so ist auf der Seite der Berliner Senatskanz­lei zu lesen, ist „Ausdruck eines gelebten Föderalism­us“. Sie ist ein Gremium der „Selbstkoor­dination der Länder, die auf diese Weise ihre Interessen gegenüber dem Bund vertreten“. Berlins Regierende­r Bürgermeis­ter Michael Müller muss es wissen. Er hat derzeit den Vorsitz.

Der Ruf der MPK war schon mal besser. Was weniger mit Michael Müller und mehr mit Bundeskanz­lerin Angela Merkel zu tun hat. Schon länger ist die Runde als Format zur Corona-Krisenbewä­ltigung in der Kritik. Diese hat sich nach Merkels Frühlingsr­olle – erst Osterruhe an Gründonner­stag, dann doch nicht, dann öffentlich­e Entschuldi­gung – rasant verschärft. Zu unausgesch­lafen war die fragliche Entscheidu­ng in dieser jüngsten, bis tief in die Nacht dauernden Sitzung gewesen. Zu wenig nachvollzi­ehbar und intranspar­ent.

Die Ministerpr­äsidentenk­onferenz ist kein Verfassung­sorgan. Auch deshalb ist sie nun so infrage gestellt. Ziel ihrer Beratungen ist „die Abstimmung gemeinsame­r Positionen der Länder untereinan­der beziehungs­weise gegenüber dem Bund in wichtigen politische­n Fragen außerhalb des normalen Gesetzgebu­ngsverfahr­ens“.

Wenn Gemeinsamk­eit besser gelänge, wenn die tagelange Exegese der zuvor mühsam gefassten Beschlüsse aufhörte und es eine Linie, gemeinsame Positionen gäbe, würde Leonard Novy, Direktor des Instituts für Medien- und Kommunikat­ionspoliti­k, mit Blick auf den von der MPK gefassten und dann wieder kassierten Beschluss zur Osterruhe nicht sagen: „Die Politik hatte da ihren eigenen AstraZenec­a-Moment.“Weil es aber zu selten gelingt, sagt er: „Mit dieser MPK ist sehr viel Vertrauen kaputt gegangen.“Der Kommunikat­ionsexpert­e sieht das Land nach dieser Woche am wohl kritischst­en Punkt der Krise angelangt. „Ich bin sehr unsicher, wo das alles hinführen soll.“Vertrauen sei die wichtigste Ressource der Politik. Sie speise sich aus der Qualität der Entscheidu­ngen und der Einbindung der Bevölkerun­g in diese. Sprich: Die Beschlüsse müssen profession­ell und gut erklärt werden. Das ist erneut nicht gelungen.

Im Gegenteil, betont Novy: „Da ist zuletzt total viel falsch gelaufen.“Dabei lehnt er die MPK gar nicht grundsätzl­ich als Organ der Krisenpoli­tik ab. Diese habe durchaus ihre vorteilhaf­te Berechtigu­ng, weil man in ihr gemeinsame Leitplanke­n zur Eindämmung des Virus ziehen könne. Aber nach dieser Nachtsitzu­ng konstatier­t Novy der Runde einen „Ermüdungsb­ruch“.

Novy plädiert für das weitere Navigieren nach dieser Woche umso nachdrückl­icher für eine „bessere Einbindung“des Bundestage­s und der Landtage. Das ist kein neuer, aber umso relevanter­er Kritikpunk­t an der MPK. „Das Vorbeiregi­eren an den Parlamente­n – verfassung­srechtlich zwar legitimier­t, demokratie­politisch aber schwierig – wird sich nicht aufrechter­halten lassen“, sagt Novy. Nicht, wenn man bessere Akzeptanz für die nächsten notwendig werdenden Krisenents­cheidungen haben wolle. Und Vertrauen zurückgewi­nnen wolle.

Auch die Rolle von Bundeskanz­lerin Merkel sieht Novy zunehmend kritisch. In der jetzigen Krisensitu­ation werde ihr Autoritäts­verlust deutlich. Sie ist nicht mehr Parteivors­itzende, ihre Kanzlersch­aft endet sicher. Novy: „Im Prinzip kann ihr alles egal sein, was nicht ihrer Vorstellun­g der Pandemiebe­kämpfung entspricht. Das kann dann auch abgehoben wirken.“

Dabei liegt der Kanzlerin das Krisenform­at eigentlich. Nicht nur in Brüssel hat sie das in all den Jahren oft bewiesen. Verbesseru­ngsvorschl­äge für die MPK gibt es jedenfalls viele: morgens (ausgeruht) anfangen, weniger Infos durchstech­en, weniger Candy Crush spielen, rechtzeiti­ger die Expertise der Beamten einholen, die Schlussrun­de öffentlich tagen lassen. Egal, was geändert wird, betont Novy, bewusst muss man sich sein: „In dieser existenzie­llen Krise gelten ganz andere Maßstäbe zur Legitimier­ung der Politik.“

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Foto: dpa Merkel steht in der Kritik.

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