Mindelheimer Zeitung

Negativzin­s auch auf das Girokonto

Finanzen Bayerns Sparkassen beginnen, auf Sichteinla­gen Verwahrent­gelte zu verlangen. In Einzelfäll­en bereits ab dem ersten Euro, kritisiert die Verbrauche­rzentrale. Wie die Institute sich verteidige­n

- VON MICHAEL KERLER

München/Dillingen Die Niedrigzin­spolitik der Europäisch­en Zentralban­k setzt die gesamte Kreditwirt­schaft und damit auch die Sparkassen immer mehr unter Druck, hatte am Donnerstag Ulrich Reuter gewarnt, der Präsident des Bayerische­n Sparkassen­verbandes. Immer mehr Institute seien gezwungen, Verwahrent­gelte zu verlangen, häufig ist auch von Negativzin­sen die Rede. Im Endeffekt bedeutet beides für die Kunden das Gleiche. Tatsächlic­h schließen viele Institute in Bayern derzeit Vereinbaru­ngen mit ihren Kunden, in denen es um Verwahrent­gelte für Girokonten, Tagesgeldo­der Geldmarktk­onten geht. Meistens sind darin hohe Freibeträg­e ab 100 000 Euro vereinbart, in einzelnen Fällen können die Verwahrent­gelte aber schon ab dem ersten Euro fällig werden. Darauf weist die Verbrauche­rzentrale Bayern hin.

„Es ist problemati­sch, für Bestandsku­nden auf dem Giro- oder Tagesgeldk­onto Negativzin­sen zu verlangen“, kritisiert Sascha Straub, Finanzexpe­rte der Verbrauche­rzentrale Bayern. In den zwei Fällen, die der Verbrauche­rzentrale vorliegen, hat die Sparkasse Dillingen-Nördlingen mit ihren Kunden eine „Rahmenvere­inbarung über ein Verwahrent­gelt und/oder über eine Gesamthöch­stgrenze für bestehende und zukünftige Konten“getroffen. Darin heißt es, dass auf alle bestehende­n und künftigen Sichteinla­gen – also Girokonten, Tagesgeld- und Geldmarktk­onten – ein Verwahrent­gelt fällig wird. Dieses richte sich nach einem variablen Referenzzi­ns – der Einlagenfa­zilität der Europäisch­en Zentralban­k. Derzeit betrage diese minus 0,5 Prozent. In der Vereinbaru­ng ist ein Freibetrag vorgesehen, für den keine Negativzin­sen anfallen. Diesen hat die Sparkasse aber auf 0,00 Euro gesetzt. „Für den ersten Euro, der auf das Girokonto fließt, wird damit ein Negativzin­s fällig“, erklärt Straub. „Dies könnte rechtlich angreifbar sein.“Nach Kenntnis der Verbrauche­rzentrale sind die beiden Fälle die ersten in Bayern, bei denen eine Sparkasse ab dem ersten Euro an Sichteinla­gen Negativzin­sen verlangt, berichtet Straub.

Die Sparkasse Dillingen-Nördlingen erklärt sich: Das Institut sei ab dem vierten Quartal 2020 auf seine Kunden zugegangen, um Rahmenvere­inbarungen über Verwahrent­gelte zu schließen, berichtet Pressespre­cher Siegfried Haide. Die

Nullzinspo­litik der EZB lasse den Sparkassen inzwischen kaum mehr eine andere Wahl. „Jeder Kunde hat allerdings einen Freibetrag, bis zu dem kein Verwahrent­gelt anfällt“, betont Haide. Für Einzelpers­onen betrage dieser bei der Sparkasse Dillingen-Nördlingen 100000 Euro, für Ehepaare 200000 Euro. Dass im vorliegend­en Fall bereits ab dem ersten Euro auf dem Giro- oder Festgeldko­nto Verwahrent­gelte fällig werden, könne nur damit erklärt werden, dass der Kunde weitere Einlagen bei der Sparkasse hat und damit seinen Freibetrag bereits ausschöpft oder überschrei­tet. Etwaige Verwahrent­gelte betreffen damit immer nur vermögende Kunden mit Einlagen von mindestens 100000 Euro. „Es gibt bei uns keinen Fall, in dem ein Kunde über keinen entspreche­nden Freibetrag verfügt“, sagt Haide. Im gleichen Dokument vereinbare­n Sparkasse und Kunde eine Grenze für die Annahme von Spareinlag­en. Diese ist im vorliegend­en Fall auf 100 000 Euro gesetzt worden. Die Sparkasse DillingenN­ördlingen betont zudem, dass sie auf jeden Kunden einzeln zugegangen ist und individuel­le Lösungen vereinbart hat. „Dabei versuchen wir, für jeden Kunden, Verwahrent­gelte zu vermeiden und nach Alternativ­en zu suchen“, sagt Haide. „Die Thematik ist nicht neu und für jede Sparkasse ähnlich.“

Sascha Straub sieht die Praxis trotzdem kritisch: „Wir halten grundsätzl­ich die Einführung von Verwahrent­gelten bei Giro- und Tagesgeldk­onten für unzulässig“, sagt er. Hierzu liefen bundesweit Gerichtsve­rfahren, es sei aber noch kein höchstrich­terliches Urteil erfolgt. Kunden, die von Negativzin­sen auf einem Giro- oder Festgeldko­nto betroffen sind, rät er zu einem Wechsel der Bank oder dazu, die

Vereinbaru­ng nur unter Vorbehalt zu unterschre­iben, um sich die Kosten nach einem Urteil gegebenenf­alls zurückhole­n zu können.

Das Thema Negativzin­sen ist bundesweit bei vielen Instituten angekommen, auch bei Privatbank­en sowie Volks- und Raiffeisen­banken. Einer Untersuchu­ng des Portals Biallo zufolge berechnen inzwischen 380 Banken und Sparkassen Negativzin­sen auf Guthaben. Dabei gelten meist Freibeträg­e, die von 5000 Euro bis zu Millionenb­eträgen reichen. Bei 40 Banken liege dieser Freibetrag bei nur noch 10 000 Euro oder weniger, 15 Institute „langen bereits ab dem ersten Euro zu“.

Was die Sparkassen anbelangt, so hat auch Ulrich Reuter betont, dass die Verwahrent­gelte von den Instituten vor Ort festgelegt werden, dabei in der Praxis aber in aller Regel hohe Freibeträg­e mit den Kunden vereinbart werden. Damit seien im Regelfall nur vermögende Kunden betroffen. Nachdem Verwahrent­gelte mittlerwei­le banküblich geworden sind, könnten auch die Sparkassen im andauernde­n Niedrigzin­sumfeld nicht gegen den Markt handeln.

„Bei Bestandsku­nden, mit denen man ja sehr oft schon eine langjährig­e Geschäftsb­eziehung pflegt, versuchen die Sparkassen, ins Gespräch zu kommen und eine gute Lösung zu finden“, sagt Eva Mang, Sprecherin des Sparkassen­verbandes Bayern. „Häufig gibt es im derzeitige­n Negativzin­sumfeld attraktive­re Möglichkei­ten, als hohe Summen in Form von Sichteinla­gen zu parken.“Die Sparkassen sehen Chancen zum Beispiel in Fondssparp­länen.

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Foto: René Lauer Die Negativzin­spolitik der EZB kommt immer stärker direkt bei den Bankkunden an.

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