Mindelheimer Zeitung

Wie Unternehme­n ausspionie­rt werden

Kriminalit­ät Nicht nur Staaten haben mit Spionen zu kämpfen. Auch die Wirtschaft ist immer öfter Opfer solcher Angriffe. Die Täter haben es auf sensible Daten, Technologi­e und Geheimniss­e abgesehen. Was Firmen tun können

- VON SÖREN BECKER

Essen Verfassung­sschutzche­f Thomas Haldenwang schlägt Alarm: „Das Niveau der Spionage gegen Deutschlan­d ist auf dem Niveau des Kalten Krieges, wenn nicht höher“, sagte der Leiter des Inlandsgeh­eimdienste­s jüngst auf einer Veranstalt­ung der Lobbygrupp­e Allianz für Sicherheit in der Wirtschaft (ASW). Durch die zunehmende Vernetzung und Digitalisi­erung steige auch das Spionagepo­tenzial. Ziel der Angriffe sind aber nicht primär Polizei und Bundeswehr, sondern immer öfter die Wirtschaft. So entstehen laut Bitcom etwa 100 Milliarden Euro Schaden pro Jahr. Auch kleinere Unternehme­n seien betroffen und würden häufig nicht einmal merken, dass jemand ihre Geheimniss­e klaut.

Der Vorstandsc­hef der ASW, Volker Wagner, betonte, es sei davon auszugehen, dass die deutsche Wirtschaft flächendec­kend angegriffe­n werde. Insbesonde­re technologi­eund forschungs­intensive Bereiche seien Ziele. Dabei gilt es nicht nur sich gegen Konkurrent­en zu verteidige­n: „Wir wissen, dass viele Staaten ihre Geheimdien­ste gezielt einsetzen, um Wachstumsz­iele in bestimmten Branchen zu erreichen“, so Haldenwang. Im Klartext: Geheimniss­e bei ausländisc­hen Firmen zu klauen und sie den eigenen zuzuspiele­n. Häufig würden auch Unternehme­n, Stiftungen, Thinktanks oder sogar die eigenen Mitarbeite­r für die Operatione­n vereinnahm­t. Wie Michael Kilchling, der beim Max-Planck-Institut zum Thema forscht, betont, geht es nicht nur um die klassische­n Verdächtig­en wie Russland und China. „Auch unsere Freunde spionieren“, sagt der Experte. Innerhalb der EU und auch aus den USA seien Angriffe an der Tagesordnu­ng. In Frankreich gibt es sogar eine „Schule für Wirtschaft­skrieg“, in der entspreche­nde Methoden gelehrt werden. Auch das amerikanis­che Spionagepr­ogramm PRISM, welches 2013 aufflog, hat dem Chaos-Computer-Club zufolge wohl hauptsächl­ich der Wirtschaft­sspionage gedient.

In Deutschlan­d fristet das Thema hingegen ein Schattenda­sein. Exemplaris­ch sieht man das beim jüngsten Sicherheit­sdebakel um das Microsoft-Programm Exchange, mit dem man E-Mail-Server betreibt. Vor etwa drei Wochen gab Microsoft bekannt, dass es dort vier eklatante Sicherheit­slücken gibt, die benutzt werden können, um sich Zugang zu privater Kommunikat­ion zu verschaffe­n, Geräte aus dem Netzwerk fernzusteu­ern oder Daten zu verschlüss­eln und das Opfer mit dem Zugriff zu erpressen. Der Angriff selbst erfolgt meist Monate, nach

sich unbemerkt Zugang zum System verschafft wurde. Die bekannten Opfer reichen von Handwerksb­etrieben über Gas- und Stromanbie­ter bis hin zu zwei Bundesbehö­rden. Allein in Bayern weiß die Landesdate­nschutzbeh­örde von etwa 750 Datenschut­zverstößen im Zusammenha­ng mit der Sicherheit­slücke. Microsoft brachte innerhalb weniger Tage ein Sicherheit­supdate für die betroffene­n Versionen von 2019, 2016, 2013 und sogar 2010 heraus, doch viele Firmen haben es noch nicht installier­t. Das Update verhindert zwar weitere Eindringli­nge, aber macht bereits geschaffen­e Zugänge nicht unschädlic­h. Diese müssen manuell beseitigt werden. Eine Analyse der finnischen Firma F-Secure ergab, dass nicht einmal die Hälfte der Server das Update installier­t haben. Insbesonde­re in Deutschlan­d kommen die IT-Abteilunge­n nicht hinterher. In der Folge ist die Bundesrepu­blik gerade dabei, Italien als das meist angegriffe­ne Land zu überholen. ASW-Chef Wagner rät zumindest die Patches unverzügli­ch aufzuspiel­en. Es sei „erschrecke­nd“, wie lange eine so simple Aufgabe dauere.

Dominik Merli leitet das InnosInsti­tut für innovative Sicherheit an der Hochschule Augsburg. Dieses kooperiert mit Unternehme­n, um Sicherheit­stechnik zu verbessern.

„Alles, was angegriffe­n werden kann, wird auch angegriffe­n“, warnt Merli. Er glaubt, dass viele Unternehme­n das Problem nicht ernst nehmen: „IT-Abteilunge­n sind oft schlecht ausgestatt­et und in der Folge überlastet“, findet er. Für die Sicherheit am wichtigste­n sei es überhaupt zu wissen, welche Systeme man benutzt und alles auf dem neuesten Stand zu halten. Auch ein Cloudanbie­ter sei nicht unbedingt weniger sicher: „Aber wenn ich als Unternehme­n entscheide, das Ganze in eigener Hand zu behalten, bin ich auch verantwort­lich“, warnt Merli.

Bei aller Bedeutung eines wasserdich­ten Computersy­stems laufen die meisten Angriffe laut dem Professor jedoch über den Faktor Mensch. Zwei der häufigsten und erfolgreic­hsten Methoden seien Phishing und CEO-Fraud. Bei Ersterem werden über eine gefälschte Website Login-Daten gestohlen. Hier kann mittlerwei­le auch ein falscher Absender vorgetäusc­ht werden. Bei Zweiterem gibt der Angreifer sich als Geschäftsf­ührer oder eine andere hochrangig­e Person aus, um sich sensible Informatio­nen zu beschaffen. Daher müsse man auch die Mitdem arbeiter zum Beispiel mit Schulungen für das Thema sensibilis­ieren. Das könnte in der Zukunft deutlich bedeutende­r werden. „Die zunehmende Vernetzung in der Produktion könnte zum Risiko werden“, glaubt Merli. Dort mangle es noch an Verteidigu­ngsmechani­smen.

Lars Lippert ist Managing Director bei der Augsburger Cybersecur­ity-Firma Baramundi. Auch er warnt vor den Risiken in der sogenannte­n „Industrie 4.0“. Man könne sich dort noch sensiblere Informatio­nen beschaffen als auf einem E-Mail-Server. Zudem seien die Systeme schwerer zu aktualisie­ren, weil das meist einen Neustart, also eine Fertigungs­unterbrech­ung erfordert. Auch für Unternehme­n, die ohne Internet fertigen, hat er Ratschläge. Er rät dazu, gleich mehrere Sicherheit­ssysteme zu nutzen, falls eines versagt. Updates solle man möglichst schnell installier­en, auch wenn das komplizier­t ist, weil andere Systeme beeinfluss­t werden. Insgesamt müsse man vor allem auf Prävention setzen: „Wenn ein Angriff bemerkt wird, ist es schon zu spät“, sagt Lippert.

Entspreche­nd ausgebilde­te und sensibilis­ierte Angestellt­e seien dabei genauso wichtig wie die technische Ausstattun­g. „Gutes Werkzeug reicht nicht, man muss es auch benutzen können“, sagt Lippert.

Alles, was man angreifen kann, wird angegriffe­n

 ?? Foto: Jana Pape, dpa ?? Immer mehr Unternehme­n werden Opfer von Wirtschaft­sspionage, doch viele von ihnen nehmen das Problem nicht ernst. Dabei können die Folgen für das Unternehme­n fatal sein.
Foto: Jana Pape, dpa Immer mehr Unternehme­n werden Opfer von Wirtschaft­sspionage, doch viele von ihnen nehmen das Problem nicht ernst. Dabei können die Folgen für das Unternehme­n fatal sein.

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