So hart kann Corona Kinder treffen
Lange ging man davon aus, dass Kinder eine Infektion gut wegstecken. Jetzt tauchen immer mehr Fälle auf, die große Sorge bereiten. Das berichtet der Direktor der Augsburger Unikinderklinik. Was eine Studie herausfinden will
Augsburg Der Junge ist nicht mehr der Gleiche wie früher, erzählt seine Mutter. Er habe ständig Kopfschmerzen, sei vergesslicher. Der Bub erkrankte an Covid-19. Er hatte nur milde Symptome. Doch ein paar Wochen danach zeigte sich plötzlich ein schweres Erkrankungsbild, schildert Professor Michael Frühwald einen aktuellen Fall. Frühwald ist der Direktor der Klinik für Kinder- und Jugendmedizin am Universitätsklinikum Augsburg. Es ist ein Multi-Entzündungssyndrom mit der Abkürzung PIMS für Englisch „Paediatric Inflammatory Multisystem Syndrom“, an dem der Junge leidet. Und gerade diese Folgeerkrankung von Covid, die immer häufiger zu beobachten sei, bereitet Frühwald große Sorge.
Es sind alles Kinder, die im Alter zwischen acht bis zwölf Jahren eine zunächst oft harmlos verlaufende Covid-Infektion ohne gravierende Symptome durchmachen. Etwa acht bis zwölf Wochen später aber kommen die Kinder plötzlich mit einem schweren Erkrankungsbild in die Klinik. Sie haben Fieber, Ausschlag, Bauch-, Atem- und Herzbeschwerden sowie erhöhte Entzündungszeichen im Blut. Untersucht man die jungen Patienten, sieht man oft Ergüsse in der Lunge und im Herzbeutel sowie Gerinnungsstörungen, erklärt Frühwald das Erkrankungsbild. „Von den sieben Kindern, die wir in den letzten Monaten mit diesem Krankheitsbild gesehen haben, waren vier zum Glück nur vorübergehend auf unserer Intensivstation. Sie brauchten herzstützende Medikamente, weil das Risiko eines Herzversagens sehr groß war.“
Der Körper reagiere also auf eine unproblematisch erscheinende Covid-Infektion mit einer massiven Autoimmunreaktion, die schwer krank macht. Anders als bei Erwachsenen, die bei schweren Covid-Verläufen oftmals Vorerkrankungen haben oder übergewichtig sind, könnten bei Kindern mit PIMS bislang keine gesicherten Risikofaktoren festgestellt werden. Kinder mit Vorerkrankungen laufen eher Gefahr einer schweren akuten Covid-Infektion. „Doch die Kinder mit PIMS waren vorher gesund“, sagt Frühwald, der zugibt, dass er und sein Team vor dieser entzündlichen Folgeerkrankung einen Heidenrespekt haben. Denn keiner könne sagen, wann sich die gesundheitlichen Probleme der jungen Patienten ganz zurückbilden, ob die Folgen eventuell sogar fortbestehen. Das gelte auch für das nicht weniger rätselhafte Post-Covid-Syndrom bei Erwachsenen, die aber oft rein körperlich gesund erscheinen, dafür mit sehr belastenden Erscheinungen wie Erschöpfung oder auch Sprach- oder Gedächtnisschwierigkeiten kämpfen. „Vieles wissen wir einfach noch nicht“, räumt der erfahrene Mediziner Frühwald ein. Doch große Sorge bereiten die Post-Covid-Symptome in jedem Fall.
Daher ist Frühwald überzeugt: „Wir müssen nicht nur Senioren oder vorerkrankte Menschen vor Covid schützen. Wir müssen verstärkt auch Kinder und Jugendliche besser schützen. Wir müssen jeden schützen, weil Covid eine Erkrankung ist, die, wenn man sie durchgemacht hat, einen ganz sicher nicht stärker macht, sondern einem unter Umständen noch Jahre später Probleme bereitet.“Gerade mit Blick auf die jetzt sich so rasch ausbreitenden aggressiveren Varianten des Virus sei ein verstärkter Schutz extrem wichtig. Die Kinder sind nach Ansicht von Frühwald bisher zu wenig im Fokus, zu oft hieß es, sie stecken die Erkrankung gut weg: „Jetzt zeigt sich, dass das Virus auch für Kinder viel heimtückischer sein kann als bisher angenommen.“
Auch deswegen hat das Universitätsklinikum Augsburg eine eigene Studie „Augsburg plus“begonnen, die speziell Kinder und Jugendliche beim Infektionsgeschehen in den Blick nimmt: Mit insgesamt 480 Freiwilligen wollen Labormediziner, Kinderärzte, Epidemiologen und Hygieniker des Uniklinikums unter anderem nachweisen, wie dynamisch sich das Infektionsgeschehen in Augsburger Kindergärten, Grund- und weiterführenden Schulen über einen Zeitraum von sechs Monaten darstellt. Dafür werden noch teilnehmende Kindergärten und Grundschulen gesucht. Der Aufwand für die Teilnehmer ist nicht groß, betont Studienleiterin Dr. Katrin Burkhardt vom Institut für Labormedizin und Mikrobiologie am Uniklinikum. Alle zwei Monate müssten die Kinder mit einem Elternteil an die Uniklinik, damit den Testteilnehmern aus der sogenannten Fingerbeere, dem inneren vorderen Teil des Fingergliedes, Blut abgenommen werden kann. Mit dem Blut wird ein Antikörperschnelltest durchgeführt. Auch die Eltern haben bei den Besuchen die Gelegenheit, sich testen zu lassen.
Wie Studienleiterin Burkhardt ausführt, will man mit dieser Studie auch herausfinden, welche Hygienemaßnahmen denn nun in Kindergärten und Schulen wirklich schützen. Wie sinnvoll ist beispielsweise der Abstand zwischen den Kindern? Müssen die Hände nur gründlich gewaschen werden oder ist die Desinfektion unentbehrlich?
Für Frühwald ist jetzt entscheidend, dass so viel wie möglich getestet und geimpft wird. Auch beim Impfstoff für Kinder wünscht sich der Kinderarzt eine Beschleunigung. Großbritannien hat nun begonnen, auch Kinder zu impfen. Nach einer Studie an Freiwilligen zwischen sechs und 17 Jahren erwartet man eine Sonderzulassung für AstraZeneca. Wobei Frühwald wichtig ist, dass erst aussagekräftige Daten vorliegen. So habe zum Beispiel ein Säugling ein ganz anderes Blutgerinnungssystem als ein Jugendlicher. Gerade bei AstraZeneca ist Frühwald daher mit Blick auf die bekannten möglichen Nebenwirkungen des Impfstoffs wie Sinusvenenthrombosen vorsichtig. Bei jungen Erwachsenen ab dem 16. Lebensjahr etwa sieht er weniger Gefahr bei einer Impfung. Im Gegenteil: „Es wäre aus medizinischer Sicht falsch zu sagen, bei den jungen Leuten können wir ruhig noch warten mit dem Impfen.“
Doch nicht nur vor den körperlichen Folgeschäden bei Kindern und Jugendlichen warnt Professor Frühwald: „Wir sehen auch immer mehr psychische Probleme infolge der Pandemie.“Bei Jugendlichen werden vor allem Müdigkeit, Perspektivlosigkeit, Resignation und depressive Verstimmungen beobachtet. Bei den jüngsten Patienten seien es vor allem Ängste. So erlebte der Kinderarzt erst kürzlich eine Situation, die ihn sehr nachdenklich stimmt: Er meinte, das dreijährige, ihm gut bekannte Mädchen erkenne ihn nicht und fürchtet sich, wenn er es mit Maske aus einigen Metern Entfernung begrüßt. Also hat er sie kurz abgenommen. Doch das Gegenteil war der Fall. Die Kleine weinte unaufhörlich und wiederholte immer wieder die Worte: „Mundschutz auf“.
ⓘ Studie Kindergärten und Grundschu len, die an der Studie teilnehmen wol len, nehmen bitte Kontakt auf mit Vincen za Leone unter Telefon (0821) 400165581 oder per EMail unter v.leo ne@unikat.de; bis 12. Mai läuft auch noch ein Wettbewerb unter dem Titel „Wir beugen der CoronaInfektion vor!“Bilder, Lieder, Videos, Animationen zum Thema Hygiene und Präventionsmaß nahmen können eingereicht werden.
Grundschulen und Kindergärten gesucht