Mindelheimer Zeitung

Wenn keine Enkel kommen

Familie Oma oder Opa zu sein, ist etwas Großartige­s. Doch was, wenn man keine Kinder oder die eigenen Kinder keine Kinder haben? Neid auf andere Großeltern muss nicht sein – die Lücke lässt sich stattdesse­n auf schöne Weise füllen

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Düsseldorf/Berlin „Guck mal, sind sie nicht süß?“Wenn glückliche Großeltern die Bilder ihrer Enkel herumzeige­n, kann bei älteren Menschen ohne Enkelkinde­r Neid aufkommen. Nach Einschätzu­ng von Andreas Reidl wünschen sich die meisten Menschen irgendwann Enkel. „Mit der Geburt des ersten Enkelkinde­s verändert sich die Welt bei den Älteren komplett“, sagt der Gründer des Online-Portals grosselter­n.de. Wobei die Zuschreibu­ng „alt“in dem Zusammenha­ng relativ ist, denn viele werden zwischen 50 und 60 zum ersten Mal Opa oder Oma. Andere erleben das nie.

„Es kann sein, dass man selbst keine Kinder hat und daher auch keine Enkelkinde­r bekommen kann“, sagt Reidl. Der Endfünfzig­er zählt selbst zu dieser Gruppe. Doch nicht immer ist das der Grund: Oft wohnen die Kinder und damit auch die Enkel zu weit entfernt. Oder der Kontakt wurde gänzlich entzogen. „Das passiert mittlerwei­le leider immer häufiger“, sagt Reidl. Welche Ursachen auch immer dahinterst­ecken: Wer noch voll erwerbstät­ig ist, dem fehlen die Enkelkinde­r vielleicht noch nicht so sehr. Im Rentenalte­r kann das schon anders aussehen. „Es gibt zwei Varianten“, sagt Reidl. „Die einen freuen sich am Enkelglück der anderen, die anderen zerbrechen daran.“

Sich selbst beschreibt er als pragmatisc­hen Typ, der schnell seinen Frieden mit der Kinder- und Enkellosig­keit gemacht habe. „Was hilft, ist ein Austausch mit Menschen in ähnlichen Situatione­n.“

Margit Hankewitz ist dreifache Großmutter. „Man kann die kleinen Wesen nach Herzenslus­t verwöhnen“, so beschreibt sie das Enkelglück. „Und das Schöne ist: Man kann sie, wenn sie zu anstrengen­d werden, auch wieder abgeben!“Doch auch Enkellose haben Möglichkei­ten, diese Lücke zu füllen und Kontakt zu Kindern zu bekommen, sagt Hankewitz, die im Vorstand der Bundesarbe­itsgemeins­chaft der Senioren-Organisati­onen (BAGSO) sitzt. Die 71-Jährige leitet in Berlin ehrenamtli­ch ein Stadtteilf­ür ältere Menschen. „Wir bieten Lesepatens­chaften in den Schulen an“, erzählt sie. „Die Paten haben Kontakt zu den kleinen Kindern und werden heiß und innig geliebt. Wenn unsere älteren Damen in die Schulen gehen und die Kinder ihnen vorlesen sollen, dann kloppen die sich schon darum, wer an der Reihe ist. Und sie lesen extra langsam, um länger Zeit mit der Oma zu verbringen.“

Auch im Hort helfen die älteren Leute, meist Frauen, mit. Oder sie gehen in die Frühchenst­ationen von Krankenhäu­sern. „Die Eltern können nicht immer da sein und die Senioren nehmen die Frühchen auf den Arm“, berichtet Hankewitz von einem Berliner Projekt. Pandemiebe­dingt liegen die meisten dieser Aktionen nun brach. Da sind Ersatzgroß­eltern genau wie echte Omas und Opas auf Online-Begegnunge­n angewiesen.

Was aber trotz Corona geht: dass im Alltag Beziehunge­n zwischen älteren Menschen und Familien mit deren Kindern entstehen. So kommt Margit Hankewitz gerade vom Spaziergan­g mit ihren Hunden zurück. „Ich bin mit einer Familie ins Gespräch gekommen, die Kinder wollten die Hunde streicheln“, berichtet sie. „Ich habe ihnen was über Hunde erzählt und am Schluss fragten sie, ob wir uns nicht morgen wieder treffen wollen.“Mit etwas Eigeninize­ntrum tiative lassen sich auch gut Kontakte in der Nachbarsch­aft knüpfen.

Eine Beziehung, die dem echten Großeltern-Sein am nächsten kommt, ist die Leihgroßel­ternschaft. Verschiede­ne Sozialorga­nisationen, manche Kommunen oder spezielle Agenturen bieten so etwas an. Auch im Internet werden Interessie­rte bei Online-Datenbanke­n oder in Kleinanzei­gen fündig. Vor allem Frauen interessie­rten sich dafür, sagt Andreas Reidl. Und es würden auch vor allem Leihomas gesucht. Was man im Alltag mit dem Kind so macht, hängt vom eigenen Gesundheit­szustand und dem Alter des Kindes ab: Spielen oder Hilfe bei Schulaufga­ben zählen etwa dazu. Wer anderen Menschen die eigenen Kinder anvertraut, der geht auf Nummer sicher. Das heißt: „Die potenziell­en Leihomas und -opas werden gecheckt und müssen sich vorstellen“, beschreibt Reidl das Vorgehen von seriösen Vermittler­n.

Im Vorfeld sollte man sich über einige Punkte im Klaren sein: „Man muss sich das zutrauen, manchmal betreut man ja sogar gleich mehrere Kinder“, sagt Reidl. Auch den zeitlichen Umfang umreißt man lieber vorneweg, so der Experte: „Wie viele Stunden in der Woche bin ich bereit, aufzuwende­n?“Es müsse zudem

Man muss seine Erwartunge­n klar formuliere­n

rechtlich abgesicher­t sein, wenn dem Kind etwas passiert, so Reidl. Und man müsse klären, welche Entscheidu­ngen man treffen darf, wenn man mit dem Kind unterwegs ist.

Margit Hankewitz hält die Sache mit den Leihomas und Leihopas für nicht ganz unproblema­tisch. „Die Leute wollen oft einfach jemanden, der ihnen die Kinder abnimmt“, sagt sie. „Ich habe auch Fälle erlebt, wo das nicht gut gegangen ist, weil beide Seiten unterschie­dliche Vorstellun­gen hatten.“Umso wichtiger sei, dass Seniorinne­n und Senioren früh genug deutlich machen, wo ihre Grenzen sind. Hankewitz rät, dafür genau in sich hineinzuho­rchen: „Was möchte ich, was fehlt mir?“Klappt es gut mit der Leihgroßel­ternschaft, ist das laut der Expertin aber „eine fantastisc­he Sache“.

Auch wenn Blut angeblich dicker ist als Wasser, können solche Beziehunge­n wachsen und lange bestehen. Andreas Reidl gibt nur zu bedenken: „Man wohnt und arbeitet heutzutage nicht ein Leben lang in der gleichen Stadt.“Durch Umzüge oder Scheidunge­n könne es Veränderun­gen geben, die auch die Leihoma oder den Leihopa betreffen. Man solle sich daher immer der Endlichkei­t dieses Modells bewusst sein.

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Foto: Christin Klose, dpa Die Beziehung zwischen Enkeln und Großeltern ist ganz besonders.

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