Mindelheimer Zeitung

Und es wird wieder Sommer

Sollte die Zeitumstel­lung nicht abgeschaff­t werden?

- VON DETLEF DREWES

Brüssel Ob Harold Lloyd geahnt hat, dass ihm diese Filmszene aus „Ausgerechn­et Wolkenkrat­zer“ewigen Ruhm – zumindest in Europa – einbringen würde? Der 1971 gestorbene US-Comedystar hängt in dem Stummfilm von 1923, der ursprüngli­ch „Safety Last!“hieß, zappelnd am Zeiger einer großen Uhr an der Fassade eines Wolkenkrat­zers.

Schöner kann man die Umstellung der Uhren in der EU kaum illustrier­en. Und so gehört die Szene auf dem Foto zum Arsenal aller, die rechtzeiti­g vorher darauf hinweisen wollen. Am besten noch garniert mit der Titelzeile von Paulchen Panthers Kinderlied „Wer hat an der Uhr gedreht?“. Die Frage ist leicht beantworte­t: die Mitgliedst­aaten der Europäisch­en Union. In der Nacht zum Sonntag ist es wieder so weit. Dann werden Europas Uhren um zwei Uhr auf drei Uhr vorgestell­t. Es ist Sommerzeit – doch mit Meteorolog­ie oder Astronomie hat das nichts zu tun.

Dabei sollte die Zeitumstel­lung längst abgeschaff­t sein. 2018 hatte sich der damalige Präsident der Europäisch­en Kommission, Jean-Claude Juncker, für die ein Jahr darauf anstehende­n Europawahl­en vorgenomme­n, größtmögli­che Bürgernähe zu demonstrie­ren. Er entdeckte die zweimal jährliche Fummelei an den Uhren und schlug – nach einer öffentlich­en Befragung, die keine war, weil man nicht befragt wurde, sondern ungefragt antworten sollte – vor, dass man das doch besser regeln könne. Das Europäisch­e Parlament war begeistert. Dann aber tat Juncker etwas, das dazu führte, dass seither zweimal im Jahr die immer gleiche Geschichte erzählt wird. Er beauftragt­e die Mitgliedst­aaten nämlich, zwischen Sommerzeit und Winterzeit zu wählen. In den Regierungs­hauptstädt­en hatte allerdings niemand wirklich Lust, sich mit dem zwar populären, aber vertrackte­n Thema zu befassen. Man stelle sich nur vor, dass ein Land wie die Bundesrepu­blik sich auf eine ewige Sommerzeit festlegen würde, dann aber – angesichts abweichend­er Wünsche aus der Nachbarsch­aft – die Winterzeit nehmen müsste.

Schnell war also klar: Einen europäisch­en Flickentep­pich dürfe es nicht geben. Auch dieser Satz wird nun immer wiederholt, wenn begründet werden soll, warum sich in der Frage der Zeitumstel­lung nichts tut. Und es wird sich auch weiter nichts bewegen.

Erstens beschäftig­en die EU gerade andere Sorgen. Zweitens hat sich die anfänglich­e Begeisteru­ng für eine dauerhafte Sommerzeit gelegt. Weil eine andere Uhrzeit noch keinen Sommer macht. Und weil man sich mit der aktuellen Praxis arrangiert hat. So bleibt alles beim Alten, allen ernst zu nehmenden Studien und Einwänden von Medizinern, Psychologe­n und Unfallfors­chern zum Trotz, die – ebenfalls zweimal im Jahr – feststelle­n, dass am Montag nach der Uhrenumste­llung die Zahl der Unfälle steigt und die Menschen müde sind.

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Foto: Elise Amendola, dpa In der Nacht zum Sonntag wird die Uhr umgestellt.

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