Mindelheimer Zeitung

Wiener Seele

Die Amme Moritz Eisner und Bibi Fellner suchen einen Psychopath­en – und inneren Frieden

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Krimi ganz traditione­ll geht so: Unbekannte­r tötet Opfer, es gibt Verdächtig­e, einer wird überführt, Abspann. Kann gut gehen, im Münster-„Tatort“erst recht, aber da reicht es ja schon für zwölf Millionen Zuschauer, wenn sich Thiel und Boerne im Treppenhau­s begegnen.

Eine Alternativ­e ist: Opfer tot, Zuschauer kennt den Täter, spannend ist, wie er überführt wird. Kann auch funktionie­ren. Im Fall der Wiener „Tatort“–Ermittler funktionie­rt das diesmal grandios.

Österreich­s Hauptstadt mit den Augen von Moritz Eisner (Harald Krassnitze­r) und Bibi Fellner (Adele Neuhauser) betrachtet, bedeutet stets viel Sozialkrit­ik, schwarzen Humor und offenes Visier. Am Sonntag (20.15 Uhr, ARD) blitzt der Humor nur sporadisch auf. Als ein zu Unrecht Verdächtig­ter, der die Polizei über einen Mord informiert hat, die Kommissare bejammert: „Das versteh ich ned, ich hab Sie doch anonym angerufen.“Oder als Eisner Bibi fragt: „Sag mal, schau ich eigentlich aus wie ein Sozialarbe­iter?“Ansonsten prägen Düsternis und emotionale Abgründe diesen Film.

„Die Amme“erzählt die Geschichte eines drogensüch­tigen Psychopath­en, der zwei Prostituie­rte ermordet und ihre Kinder entführt. Das Gruselige daran ist: Er verkleidet sich jedes Mal als Frau, fühlt sich in Gegenwart der Jungen als „gute Mama“, wird selbst zum Kind, als er sich auf der Bettkante sitzend an der Lektüre der „Kleinen Raupe Nimmersatt“berauscht.

Der Zuschauer weiß sehr früh sehr viel über ihn. Sieht, wie ein nichts ahnender Eisner einen Pakt mit dem Teufel namens Janko (schauerlic­h-überzeugen­d: Max Mayer) schließt. Denn außerhalb seiner Frauenklam­otten ist der Mann Undercover-Ermittler vom Drogendeze­rnat in Graz. Die Frage ist: Wird er weiter morden? Und: Wo sind die Kinder?

Nie hat man so tief in die Seele der Wiener Ermittler geschaut. Bibi Fellner, notorisch gereizt, weil unter Schlaflosi­gkeit leidend, taumelt panisch durch den Fall. Einmal sitzt sie zuhause und lauscht dem Meeresraus­chen auf einer CD, die Eisner ihr als Einschlafh­ilfe besorgt hat. Dann legt sich der meditative Sound des Ozeans über Szenen, die die scheinbare Aussichtsl­osigkeit der Lage widerspieg­eln. Das Grundrausc­hen der Düsternis. Ein großartige­r Moment des Widerspruc­hs von Bild und Ton.

Und der muffelige Eisner? Seit seine Filmtochte­r Claudia 2014 in einem manipulier­ten Auto verunglück­t ist, das er hätte fahren sollen, hat man ihn nicht mehr so aufgewühlt gesehen. Hier der Polizist und der Wettlauf mit der Zeit, da der Mensch und die leidende Kollegin. „Die Amme“ist Eisners 50. „Tatort“. Er ist einer seiner besten. Am Ende streichelt er Bibi über die Stirn und weint. Andreas Frei

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