Mindelheimer Zeitung

„Wir haben immer noch unnötige Ballverlus­te“

Interview Heiko Herrlich zieht nach drei Viertel der Saison eine Bilanz. Der FCA-Trainer über Zweikampfv­erhalten, das man als solches nicht bezeichnen konnte, und über Kritik am spielerisc­hen Niveau seiner Mannschaft

- Interview: Marco Scheinhof und Robert Götz

Herr Herrlich, drei Viertel der Saison ist vorbei, der FCA hat 29 Punkte. Wie lautet Ihr Zwischenfa­zit?

Heiko Herrlich: Trainer sind nie zufrieden, die wollen immer mehr erreichen und entwickeln. Es gab Spiele, in denen wir mehr hätten mitnehmen können, so wie in Freiburg zuletzt. Beim ersten Gegentor hatten wir ein Zweikampfv­erhalten, das man als solches nicht bezeichnen kann. Dass man in einem solchen Spiel gar nichts mitnimmt, ärgert einen natürlich. Vor allem, da wir es jetzt zwei Wochen mit uns herumtrage­n. Anderersei­ts hatten wir in anderen Partien wie gegen Gladbach auch Glück, dass wir nicht in Rückstand geraten sind. Da muss man ehrlich sein. Es spricht aber für unsere Mentalität, dass wir immer dran bleiben oder zurückkomm­en. Es wäre natürlich schöner, wenn wir sechs, sieben Punkte mehr hätten. Wir haben ja als Ziel ausgegeben, den Klassenerh­alt diesmal ein bisschen früher sicher zu haben.

Fühlen Sie sich trotzdem im Soll mit den Punkten?

Herrlich: Ich überlege immer, in welchen Bereichen noch mehr möglich ist. Philipp Lahm ist ein gutes Beispiel. Er wollte immer mehr. Er hatte diese Gier, dieses Top-Niveau immer zu halten, auch im Training. Du kannst als Trainer ein Leistungsk­lima schaffen, in dem sich die Spieler entwickeln. Dazu kommen drei Punkte, die jeder Spieler selbst mitbringt: Motivation, Konzentrat­ion und Befindlich­keit.

Können Sie als Trainer darauf Einfluss nehmen?

Herrlich: Ja, das versuchen wir. Es geht aber nicht von heute auf morgen, sondern eher nach dem Motto: Steter Tropfen höhlt den Stein.

Existiert die Spielidee, mit der Sie zum FCA kamen, noch? Oder mussten Sie die den Gegebenhei­ten anpassen? Herrlich: Wir möchten immer, dass wir unser Spiel durchbring­en. Man muss aber auch schauen, welche Stärken und Schwächen hat der Gegner. Wenn ich gegen Leipzig denke, ich muss die ganze Zeit attackiere­n, kann das gewaltig schief gehen. Da muss man sein Spiel auch mal anpassen. Es ist wichtig, taktisch flexibel zu sein. Ein gutes Beispiel ist Diego Simeone bei Atlético Madrid. Der spielt in Spanien immer oben mit, gegen Topmannsch­aften ist er aber auch mal mit 25 Prozent Ballbesitz zufrieden, wenn das die Erfolgsaus­sicht erhöht.

Gerade im spielerisc­hen Bereich fehlt beim FCA aber noch die Entwicklun­g. Herrlich: Da gebe ich Ihnen recht. Die Kritik ist berechtigt, wir haben noch immer viele unnötige Ballverlus­te, die mögliche Aktionen kaputt machen. Uns fehlen aber auch Spieler wie Alfred Finnbogaso­n, der würde uns mit seiner Ruhe sehr guttun. Oder Fredrik Jensen, der ein starker Zwischenra­umspieler ist.

Woran liegen die vielen Fehler? Fehlt letztlich die individuel­le Qualität? Herrlich: Wir haben Spieler mit richtig viel Qualität. Die Spieler müssen in jeder Sekunde eines Spiels Ent

treffen und das bei einem Puls von 170 sowie in Drucksitua­tionen, weil ja auch noch ein Gegner auf dem Platz steht. Dass die Leistungs- und Konzentrat­ionsfähigk­eit in allen Situatione­n hoch bleibt und so diese Fehler vermieden werden, daran arbeiten wir täglich.

Welche Überlegung steckte hinter der Aufstellun­g in Freiburg, als Sie wieder Benes vertrauten und Vargas, der zuvor eine starke zweite Halbzeit gegen Mönchengla­dbach spielte, auf die Bank musste?

Herrlich: Laszlo Benes hatte die Woche über gut trainiert und auch davor mit Ausnahme der Halbzeit gegen Gladbach keine schlechten Spiele gebracht. Zudem war ich sicher, dass er es nach der schwachen Leistung gegen Gladbach allen zeigen will. Ruben hat auch gut trainiert, aber er hatte auch eine Phase, in der ihm die Leichtigke­it etwas gefehlt hat. Es hat ihm gutgetan, mal etwas hinten dran zu stehen. Das gehört zu einer Entwicklun­g dazu.

Wie war es denn in der Halbzeitpa­use beim Gladbach-Spiel? Da haben sich die Spieler gegenseiti­g die Meinung gesagt, als Sie draußen waren. Lassen Sie die Mannschaft bewusst in den ersten Minuten alleine?

Herrlich: Ja, der Fußball hat sich weiter entwickelt. Wir besprechen uns zunächst im Trainertea­m zusammen mit dem Videoanaly­sten und wählen Sequenzen aus, die man zeigen will. Aber auch früher habe ich die Mannschaft erst einmal vier, fünf Minuten alleine gelassen, damit die Spieler runter kommen und etwas trinken können. Die Spieler lösen in dieser Zeit manchmal Dinge auch selbst. Da kann es ruhig auch mal laut werden.

Wie sehen Sie Marco Richter? Könnte er häufiger hinter der Spitze spielen?

Herrlich: Er hat oft gute Aktionen. Aber eben auch immer wieder Ballverlus­te, nach denen die ganze Mannschaft 50, 60 Meter zurücklauf­en muss, um das auszubügel­n. Es hat sich schon verbessert, aber auf diesem Weg muss er weiter arbeiten. Statt den einfachen Pass zu spielen, will er häufig etwas Besonderes machen.

In welche Richtung können Sie den FCA entwickeln?

Herrlich: Das große Ziel ist der Klassenerh­alt. Das zweite Ziel ist, ein bisschen früher Ruhe zu haben als vergangene­s Jahr. Das ist weiterhin möglich. Wir wollen an den Details weiter arbeiten, um spielerisc­he Elemente und die Durchschla­gskraft zu verbessern. Am Ende brauchst du aber die Punkte, denn Fußball ist und bleibt ein Ergebnissp­ort. Es fragt niemand, ob du schön gespielt hast, wenn du abgestiege­n bist.

Hatten Sie darum schon Sorgen um ihren Arbeitspla­tz?

Herrlich: Ich empfinde immer noch große Dankbarkei­t, dass ich nach meiner Profi-Karriere als Trainer arbeiten kann. Für mich hat es nie eine Rolle gespielt, ob ich eine U17, eine Regionalli­gamannscha­ft oder ein Bundesliga­team trainiere. Mir geht es um das Trainersei­n. Darum, dass ich mit jungen Menschen arbeiten kann, die ich auf ihrem Weg unterstütz­en möchte. Wenn man im Profiberei­ch arbeitet, muss man wissen, es gibt Kritik, wenn die Ergebnisse nicht stimmen. Aber wenn du dann anfängst, dir Sorgen zu machen, hast du etwas falsch verstanden, denn es hat dich niemand zu dem Job gezwungen.

Hatten Sie so ein dickes Fell gegen Kritik schon immer?

Herrlich: Das entwickelt sich im Laufe der Zeit. Seit ich mit 17 in Lescheidun­gen verkusen Profi wurde, hatte ich kurze Phasen, in denen ich dachte: jetzt läuft es. In der Rückschau überwiegen die Zeiten, in denen du von Mitspieler­n, Trainern, Managern und auch von der Presse immer wieder hörst: du kannst das nicht und das nicht. So war meine Wahrnehmun­g. Das muss man akzeptiere­n und aushalten. Diese Form von Resilienz, psychische­r Widerstand­sfähigkeit, möchte ich den Spielern vorleben.

Gab es da in ihrer Karriere ein besonders einschneid­endes Erlebnis? Herrlich: Das war 1995 mein Wechsel von Gladbach nach Dortmund. Damals hatte ich die mündliche Zusage, wechseln zu dürfen. Daran konnte sich aber plötzlich niemand mehr erinnern und ich wollte mit dem Kopf durch die Wand. Mit der Erfahrung von heute würde ich das wohl anders machen. Ich bin schließlic­h für elf Millionen Mark verkauft worden und war in ganz Deutschlan­d plötzlich der Buhmann, obwohl ich nur um mein Recht gekämpft hatte. Die sechs Wochen waren nicht schön. Ich habe sogar mit dem Gedanken gespielt aufzuhören. Ich dachte einfach, was machen die mit mir, was schreiben die über mich als Mensch, ohne dass sie mit mir gesprochen haben. Damals habe ich gelernt, diese Kritik nicht mehr so nah an mich heranzulas­sen. Ich akzeptiere sie, aber Sorgen mache ich mir um andere Dinge.

Noch einmal, hatten Sie Sorge um ihren Arbeitspla­tz beim FCA? Herrlich: Ich liebe meine Arbeit hier und möchte sie solange wie möglich machen. Darum gebe ich jeden Tag mein Bestes. Das wissen die Verantwort­lichen. Aber ich mache mir um mich keine Sorgen.

Umso wichtiger ist es, wenn der Geschäftsf­ührer Sport hinter einem steht.

Herrlich: Das ist nicht selbstvers­tändlich und hat mich natürlich gefreut. Stefan Reuter kann meine Arbeit am besten beurteilen, weil er bei fast allen Trainingse­inheiten, Besprechun­gen und Sitzungen dabei ist. Es ist wichtig, sich auszutausc­hen. Stefan hat einen riesigen Erfahrungs­schatz.

Ist es für Sie ein Nachteil, in Ihrer Zeit beim FCA noch nie in einem vollen Stadion gespielt zu haben?

Herrlich: Die Zuschauer fehlen uns ganz klar. Gerade die Fans hier in Augsburg können der Mannschaft einen großen Schub geben. Diesen Vorteil gibt es jetzt nicht. Wir sind aber dankbar, dass wir unserer Arbeit nachgehen dürfen, wenn auch ohne Zuschauer. Natürlich bin ich hier im März vergangene­n Jahres angetreten und habe gedacht, wir haben in meinem ersten Heimspiel die Hütte voll und überrennen Wolfsburg, das drei Tage zuvor gegen Donezk gespielt hat. Ich hatte mich auf das Publikum gefreut, dann kam Corona.

Hätten Sie auch von der Stadt schon gerne mehr gesehen?

Herrlich: Natürlich. Aber in dieser Zeit ist man sehr vorsichtig. Wir sollen Kontakte auf ein Minimum reduzieren. Und daran halte ich mich. Niemand möchte das Virus in das Team tragen. Außerdem bin ich nach meiner Zahnpasta-Affäre im ersten Quarantäne-Trainingsl­ager ein gebranntes Kind.

Hat Sie dieser Fauxpas in den Umgang mit den Medien vorsichtig­er gemacht?

Herrlich: Es war ein Fehler und ich stehe dazu. Ich bin danach offensiv mit dem Thema umgegangen. Den Shitstorm mussten wir ertragen. Was mich gefreut hat: Die Leute auf der Straße haben mich nie persönlich verhöhnt. Da bekam ich eher Zuspruch und Verwunderu­ng, was aus der Geschichte gemacht wurde.

Es sieht danach aus, dass so ein Trainingsl­ager vom 14. bis 26. April wieder bevorsteht. Was halten Sie davon? Herrlich: Es sind kluge Überlegung­en, auch wenn ich natürlich lieber in meiner Wohnung in Göggingen übernachte­n würde. Das Risiko einer Ansteckung würde durch eine solche Maßnahme weiter minimiert. Wenn in diesem Zeitraum mit der englischen Woche eine Mannschaft für einen längeren Zeitraum in Quarantäne gehen müsste, gäbe es kaum Spielraum für Verlegunge­n. Die letzten beiden Spieltage sollen schließlic­h zum selben Zeitpunkt parallel stattfinde­n. Aber eines kann ich Ihnen verspreche­n, wenn es zu so einem Trainingsl­ager kommen sollte: Ich werde genug Zahnpasta und Hautcreme dabei haben. (lacht)

● Heiko Herrlich, 49, ist seit dem

10. März 2020 Trainer beim FCA. Sein Vertrag ist bis Ende Juni 2022 datiert. Sein Punkteschn­itt bei 35 Bundesliga­partien (10 S /8 U /17 N) beträgt 1,09.

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Foto: Ulrich Wagner „Trainer sind nie zufrieden, die wollen immer mehr erreichen und entwickeln“, sagt Heiko Herrlich.

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