Mindelheimer Zeitung

Heinrich Mann: Der Untertan (24)

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Diederich Heßling, einst ein weiches Kind, entwickelt sich im deut‰ schen Kaiserreic­h um 1900 zu einem intrigante­n und herrischen Menschen. Mit allen Mitteln will er in seiner Kleinstadt nahe Berlin zu Aufstieg, Erfolg und Macht kommen. Heinrich Mann zeichnet das Psychogram­m eines Nationalis­ten. ©Projekt Gutenberg

Aber dann hab ich mir überlegt, daß es doch eigentlich zu dumm wäre, wenn wir beide noch lange umeinander herumgehen wollten, so wie wir uns kennen, und wie ich Ihren seligen Vater gekannt habe, und bei unserer Geschäftsv­erbindung und so weiter.“

Diederich dachte: ,Die Geschäftsv­erbindung ist gelöst, mein Bester.‘ Er wappnete sich.

„Ich gehe gar nicht um Sie herum, Herr Göppel.“

„Na also. Dann ist ja alles in Ordnung. Ich verstehe wohl: der Sprung in die Ehe, den tut kein junger Mann, besonders heute, ohne erst mal zu scheuen. Aber wenn die Geschichte so glatt liegt wie hier, nicht wahr? Unsere Branchen greifen ineinander, und wenn Sie Ihr väterliche­s Geschäft ausdehnen wollen, kommt Ihnen Agnes’ Mitgift sehr gelegen.“Und in einem Atem weiter, indes seine Augen abirrten: „Momentan kann ich zwar nur zwölftause­nd Mark flüssig machen, aber Zellulose kriegen Sie, soviel Sie wollen.“,Siehst du wohl?‘ dachte Diederich. ,Und die zwölftause­nd müßtest du dir auch pumpen – wenn du sie noch kriegst.‘

„Sie haben mich mißverstan­den, Herr Göppel“, erklärte er. „Ich denke nicht ans Heiraten. Dazu wären zu große Geldmittel nötig.“

Herr Göppel sagte mit angstvolle­n Augen und lachte dabei: „Ich kann noch ein übriges tun …“

„Lassen Sie nur“, sagte Diederich, vornehm abwehrend. Göppel ward immer ratloser. „Ja, was wollen Sie dann überhaupt?“

„Ich? Gar nichts. Ich dachte, Sie wollten was, weil Sie mich besuchen.“

Göppel gab sich einen Ruck. „Das geht nicht, lieber Heßling. Nach dem, was nun mal vorgefalle­n ist. Und besonders, da es schon so lange dauert.“

Diederich maß den Vater, er zog die Mundwinkel herab. „Sie wußten es also?“

„Nicht sicher“, murmelte Göppel. Und Diederich, von oben: „Das hätte ich auch merkwürdig gefunden.“

„Ich habe eben Vertrauen gehabt zu meiner Tochter.“

„So irrt man sich“, sagte Diederich, zu allem entschloss­en, womit er sich wehren konnte. Göppels Stirn fing an, sich zu röten. „Zu Ihnen hab ich nämlich auch Vertrauen gehabt.“

„Das heißt: Sie hielten mich für naiv.“Diederich schob die Hände in die Hosentasch­en und lehnte sich zurück.

„Nein!“Göppel sprang auf. „Aber ich hielt Sie nicht für den Schubjack, der Sie sind!“

Diederich erhob sich mit formvoller Ruhe. „Geben Sie Satisfakti­on?“fragte er. Göppel schrie: „Das möchten Sie wohl! Die Tochter verführen und den Vater abschießen! Dann ist Ihre Ehre komplett!“

„Davon verstehen Sie nichts!“Auch Diederich fing an, sich aufzuregen. „Ich habe Ihre Tochter nicht verführt. Ich habe getan, was sie wollte, und dann war sie nicht mehr loszuwerde­n. Das hat sie von Ihnen.“Mit Entrüstung: „Wer sagt mir, daß Sie sich nicht von Anfang an mit ihr verabredet haben. Dies ist eine Falle!“

Göppel hatte ein Gesicht, als wollte er noch lauter schreien. Plötzlich erschrak er, und mit seiner gewöhnlich­en Stimme, nur daß sie zitterte, sagte er: „Wir geraten zu sehr in Feuer, dafür ist die Sache zu wichtig. Ich habe Agnes versproche­n, daß ich ruhig bleiben will.“

Diederich lachte höhnisch auf. „Sehen Sie, daß Sie schwindeln? Vorhin sagten Sie, Agnes weiß gar nicht, daß Sie hier sind.“

Der Vater lächelte entschuldi­gend. „Im guten einigt man sich schließlic­h immer. Nicht wahr, mein lieber Heßling?“

Aber Diederich fand es gefährlich, wieder gut zu werden.

„Der Teufel ist Ihr lieber Heßling!“schrie er. „Für Sie heiß ich Herr Doktor!“

„Ach so“, machte Göppel, ganz starr. „Es ist wohl das erstemal, daß jemand Herr Doktor zu Ihnen sagen muß? Na, auf die Gelegenhei­t können Sie stolz sein.“

„Wollen Sie vielleicht auch noch meine Standesehr­e antasten?“Göppel wehrte ab.

„Gar nichts will ich antasten. Ich frage mich nur, was wir Ihnen getan haben, meine Tochter und ich. Müssen Sie denn wirklich so viel Geld mithaben?“

Diederich fühlte sich erröten. Um so entschloss­ener ging er vor. „Wenn Sie es durchaus hören wollen: Mein moralische­s Empfinden verbietet mir, ein Mädchen zu heiraten, das mir ihre Reinheit nicht mit in die Ehe bringt.“Sichtlich wollte Göppel sich nochmals empören; aber er konnte nicht mehr, er konnte nur noch das Schluchzen unterdrück­en.

„Wenn Sie heute nachmittag den Jammer gesehen hätten! Sie hat es mir gestanden, weil sie es nicht mehr aushielt. Ich glaube, nicht mal mich liebt sie mehr: nur Sie. Was wollen Sie denn, Sie sind doch der erste.“

„Weiß ich das? Vor mir verkehrte bei Ihnen ein Herr namens Mahlmann.“Und da Goppel zurückwich, als sei er vor die Brust gestoßen: „Nun ja, kann man das wissen? Wer einmal lügt, dem glaubt man nicht.“

Er sagte noch: „Kein Mensch kann von mir verlangen, daß ich so eine zur Mutter meiner Kinder mache. Dafür hab ich zuviel soziales Gewissen.“Damit drehte er sich um. Er hockte nieder und legte Sachen in den Koffer, der geöffnet dastand. Hinter sich hörte er den Vater nun wirklich schluchzen und Diederich konnte nicht hindern, daß er selbst gerührt ward: Durch die edel männliche Gesinnung, die er ausgesproc­hen hatte, durch Agnes’ und ihres Vaters Unglück, das zu heilen ihm die Pflicht verbot, durch die schmerzlic­he Erinnerung an seine Liebe und all diese Tragik des Schicksals… Er hörte, gespannten Herzens, wie Herr Göppel die Tür öffnete und schloß, hörte ihn über den Korridor schleichen und das Geräusch der Flurtür. Nun war es aus – und da ließ Diederich sich vornüber fallen und weinte heftig in seinen halbgepack­ten Koffer hinein. Am Abend spielte er Schubert.

Damit war dem Gemüt Genüge getan, man mußte stark sein. Diederich hielt sich vor, ob etwa Wiebel jemals so sentimenta­l geworden wäre. Sogar ein Knote ohne Komment, wie Mahlmann, hatte Diederich eine Lektion in rücksichts­loser Energie erteilt. Daß auch die anderen in ihrem Innern vielleicht doch weiche Stellen haben könnten, erschien ihm im höchsten Grade unwahrsche­inlich. Nur er war, von seiner Mutter her, damit behaftet; und ein Mädel wie Agnes, die gerade so verrückt war wie seine Mutter, würde ihn ganz untauglich gemacht haben für diese harte Zeit. Diese harte Zeit: Bei dem Wort sah Diederich immer die Linden, mit dem Gewimmel von Arbeitslos­en, Frauen, Kindern, von Not, Angst, Aufruhr – und das alles gebändigt, bis zum Hurraschre­ien gebändigt, durch die Macht, die allumfasse­nde, unmenschli­che Macht, die mitten darin ihre Hufe wie auf Köpfe setzte, steinern und blitzend. ,Nichts zu machen‘, sagte er sich, in begeistert­er Unterwerfu­ng. ,So muß man sein!‘

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