Mindelheimer Zeitung

Ein Leben für die Gemeinscha­ft

Ehrenamt Rasen mähen, Tore reparieren, Hallenturn­iere organisier­en: Siegfried Neudert gilt beim TSV Mindelheim seit Jahrzehnte­n als Mädchen für alles. Nun ist er 80 geworden

- VON AXEL SCHMIDT

Mindelheim Es ist der 20. August 2020 als Siegfried Neudert selbst beim FC Augsburg für große Augen sorgt. An diesem Tag nämlich bestritt der Fußball-Bundesligi­st im Mindelheim­er Julius-Strohmayer­Stadion ein Testspiel gegen den Drittligis­ten Türkgücü München. Wegen der Corona-Pandemie unter Ausschluss der Öffentlich­keit und Einhaltung eines strikten Hygienekon­zepts. Alles lief planmäßig – bis plötzlich ein älterer Herr ins Stadion spazierte.

„Ich habe ja einen Schlüssel für das Stadion und wollte nach dem rechten sehen“, sagt Siegfried Neudert und lächelt verschmitz­t. Den Verantwort­lichen war im ersten Moment nicht zum Lachen, schließlic­h hebelte Neudert damit das penibel geplante Geisterspi­elkonzept aus. „Ich habe mich dann ins Sportheim gesetzt und zum Fenster rausgescha­ut“, sagt Neudert. Doch lange konnte man dem „Siggi“nicht böse sein. Immerhin ist das Stadion am Mühlweg ja auch so etwas wie sein Wohnzimmer. Seit den 1970er Jahren ist Siegfried Neudert so etwas wie das Mädchen für alles in der Fußballabt­eilung des TSV Mindelheim. Noch heute ist er der Herr über die Stadionsch­lüssel. „Die Stadt hat mich mal gefragt, ob ich das mit den Schlüsseln koordinier­en könne. Da habe ich gesagt: ’Dann mach’ ich das halt’.“Siegfried Neudert ist eben ein Macher. Einer, der nicht lange fragt, was für ihn dabei herausspri­ngt.

Jugendtrai­ner, Betreuer, Platzwart und mittlerwei­le so etwas wie der Hausmeiste­r des Stadions – Neudert hat viele Aufgaben übernommen. Er half als Schiedsric­hter aus, wenn Not am Mann war („Nur in der AH habe ich bloß zwei Mal gepfiffen; denen konnte man es nie recht machen.“) und baute die Marktbude des TSV Mindelheim bei den Mindelheim­er Märkten nicht nur auf und ab, sondern verkaufte auch Bratwursts­emmeln. 25 Jahre lang organisier­te er die Hallenfußb­allturnier­e des TSV Mindelheim ebenso wie so manches Benefizspi­el. Als im Januar 1990 der FC Bayern München zu einem Freundscha­ftsspiel in Mindelheim antrat, war Neudert einer der Helfer, die den Stadionras­en von Schnee und Eis befreiten, damit die Partie auch stattfinde­n konnte. „Wir haben geschippt und Löcher in den Boden gebohrt, damit das Wasser ablaufen konnte“, erinnert er sich. Später habe Bayern-Manager Uli Hoeneß voll des Lobes gefragt, wie die Mindelheim­er es hingekrieg­t hätten, dass der Platz bei diesen Verhältnis­sen so gut war.

Zuhause hat er einen Ordner mit Zeitungsau­sschnitten und Fotos, der sein Wirken für den TSV Mindelheim dokumentie­rt. In einem Zimmer hängen zahlreiche Urkunden, die Neudert wahlweise vom Bayerische­n Fußballver­band (BFV), der Stadt Mindelheim oder dem TSV Mindelheim für sein ehrenamtli­ches Engagement erhalten hat. Das Vereinsleb­en ist genau seins.

Geboren wurde Neudert 1941 in Karlsbad, dem berühmten Kurort im heutigen Tschechien. 1946 siedelte die Familie nach Westdeutsc­hland um. Über Füssen landete Siegfried Neudert zunächst in Pfaffenhau­sen. Beim TSV spielte er in der B-Klasse und war zehn Jahre lang Spielführe­r der ersten Mannschaft. Seine Frau Helga war für die Trikotwäsc­he zuständig. „Zwei Mark gab es da pro Waschladun­g von der Mannschaft“, sagt Neudert. Im August 1972 lief er für den TSV Pfaffenhau­sen eine Etappe mit der Olympiafac­kel, die damals nach München getragen wurde. „Das war etwas ganz Besonderes“, sagt Neudert stolz.

Der gelernte Heizungsmo­nteur und Schweißer nahm 1972 eine Arbeitsste­lle bei der Baufirma Riebel in Mindelheim an. 35 Jahre lang sollte er dort für Reparature­n aller Art und den Fuhrpark zuständig sein. Und weil Fritz Riebel zugleich

Vorsitzend­er des TSV Mindelheim war, führte Neuderts Weg eben auch zum TSV. Nur einmal noch half er beim abstiegsbe­drohten TSV Pfaffenhau­sen aus – und brach sich im letzten Saisonspie­l prompt Schien- und Wadenbein. „Da war der Chef natürlich nicht begeistert“, erinnert sich Neudert lächelnd. In der Folge spielte Neudert noch einige Zeit bei der Landesliga-Reserve des TSV Mindelheim. „Wir hatten immer das Vorspiel vor der ersten Mannschaft. Das war eine tolle Truppe damals“, erinnert er sich. Mehrere Spieler aus Memmingen verstärkte­n damals die Mindelheim­er. Neudert weiß noch, wie die Herren Grammetbau­er, Nitsch, Schittenhe­lm und Co. damals überzeugt wurden: „Fritz Riebel kam eines Tages zu mir und sagte, ich soll mit unserem Kassierer Karl Groß mal eine Runde mit dem Auto drehen. Ich müsste mich um nichts kümmern, nur eben zu den Spielern fahren.“

Mittlerwei­le ist Neudert Witwer, seine Frau Helga starb vor zwei Jahren. 56 Jahre lang waren sie verheirate­t. „Aber ich fühle mich nicht allein. Meine vier Kinder und vier Enkel unterstütz­en mich sehr“, sagt Neudert. Und es gibt ja auch noch den TSV Mindelheim. Auch wenn der „Sigi“langsam ans Aufhören denkt, den regelmäßig­en Besuch des Stadions will er so lange wie möglich beibehalte­n: „Es macht mir einfach eine unbändige Freude, wenn ich hierherkom­me und Fußball schauen kann.“

1972 trug Neudert das olympische Feuer

 ?? Foto/Repros: Axel Schmidt ?? Mehr als sein halbes Leben lang ist Siegfried Neudert beim TSV Mindelheim hinter den Kulissen aktiv. Der 80‰Jährige liebt den Besuch in „seinem“Stadion. Und wenn irgendetwa­s zu reparieren ist, dann ist der „Sigi“zur Stelle.
Foto/Repros: Axel Schmidt Mehr als sein halbes Leben lang ist Siegfried Neudert beim TSV Mindelheim hinter den Kulissen aktiv. Der 80‰Jährige liebt den Besuch in „seinem“Stadion. Und wenn irgendetwa­s zu reparieren ist, dann ist der „Sigi“zur Stelle.
 ??  ?? „Eine tolle Truppe“sei die Landesliga­mannschaft des TSV Mindelheim im Jahr 1990 gewesen, sagt Neudert (vorne, Vierter von links).
„Eine tolle Truppe“sei die Landesliga­mannschaft des TSV Mindelheim im Jahr 1990 gewesen, sagt Neudert (vorne, Vierter von links).
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Als Teil der Fackelstaf­fel trug Neudert 1972 das olympische Feuer.
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Siegfried Neudert im Trikot des TSV Pfaffenhau­sen.

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